Schooß der Nationalversammlung begeben, dort seine Sicherheit suchen. Und unter der Bedeckung von 200 Schweizern und einer Abtheilung Nationalgarde brach Ludwig auf, begleitet von Gemahlin und Schwester und den königlichen Kindern. Als er in die Versammlung trat, sprach er: "Ich bin hieher gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhindern, und ich denke daß ich nirgend sicherer seyn kann als in Ihrer Mitte," nahm dann Platz an der Seite des Präsidenten Vergniaud. Allein auf die Bemerkung daß der gesetzgebende Körper nicht in Gegen- wart der vollziehenden Gewalt berathen dürfe, mußte der Monarch seinen Ehrenplatz verlassen und mit seiner Familie in die enge Loge eines Schnellschreibers für die Tages- presse treten. Hier sah man ihn den langen Tag hindurch bis nach Mitternacht unbeweglich sitzen; die Krone von Frankreich ward vor seinen Augen zerbrochen.
Zuerst fielen die Tuilerien in die Hände ihrer Bestür- mer, unvertheidigt. Denn kaum hatte der König das Schloß verlassen, als die Nationalgarde abzog; sie be- trachtete ihre Aufgabe als beendigt. Soll sie leere Wände vertheidigen? Wie gern hätte der König nur seine Schweizer gerettet, ein neu angekommenes Regiment, welches sicher nicht, das wußte er, ohne seinen Befehl vom Platze wich! Aber ehe noch die Deputirten der Nationalversammlung zur Stelle kamen und dazwischen treten konnten, hörten sie schon den Donner der Kanonen. Der Kampf hatte begonnen, zuerst im Freien; hierauf, als die Schweizer
Französische Revolution. 29
Schooß der Nationalverſammlung begeben, dort ſeine Sicherheit ſuchen. Und unter der Bedeckung von 200 Schweizern und einer Abtheilung Nationalgarde brach Ludwig auf, begleitet von Gemahlin und Schweſter und den königlichen Kindern. Als er in die Verſammlung trat, ſprach er: „Ich bin hieher gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhindern, und ich denke daß ich nirgend ſicherer ſeyn kann als in Ihrer Mitte,“ nahm dann Platz an der Seite des Präſidenten Vergniaud. Allein auf die Bemerkung daß der geſetzgebende Körper nicht in Gegen- wart der vollziehenden Gewalt berathen dürfe, mußte der Monarch ſeinen Ehrenplatz verlaſſen und mit ſeiner Familie in die enge Loge eines Schnellſchreibers für die Tages- preſſe treten. Hier ſah man ihn den langen Tag hindurch bis nach Mitternacht unbeweglich ſitzen; die Krone von Frankreich ward vor ſeinen Augen zerbrochen.
Zuerſt fielen die Tuilerien in die Hände ihrer Beſtür- mer, unvertheidigt. Denn kaum hatte der König das Schloß verlaſſen, als die Nationalgarde abzog; ſie be- trachtete ihre Aufgabe als beendigt. Soll ſie leere Wände vertheidigen? Wie gern hätte der König nur ſeine Schweizer gerettet, ein neu angekommenes Regiment, welches ſicher nicht, das wußte er, ohne ſeinen Befehl vom Platze wich! Aber ehe noch die Deputirten der Nationalverſammlung zur Stelle kamen und dazwiſchen treten konnten, hörten ſie ſchon den Donner der Kanonen. Der Kampf hatte begonnen, zuerſt im Freien; hierauf, als die Schweizer
Franzöſiſche Revolution. 29
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Schooß der Nationalverſammlung begeben, dort ſeine
Sicherheit ſuchen. Und unter der Bedeckung von 200
Schweizern und einer Abtheilung Nationalgarde brach
Ludwig auf, begleitet von Gemahlin und Schweſter und
den königlichen Kindern. Als er in die Verſammlung trat,
ſprach er: „Ich bin hieher gekommen, um ein großes
Verbrechen zu verhindern, und ich denke daß ich nirgend
ſicherer ſeyn kann als in Ihrer Mitte,“ nahm dann Platz
an der Seite des Präſidenten Vergniaud. Allein auf die
Bemerkung daß der geſetzgebende Körper nicht in Gegen-
wart der vollziehenden Gewalt berathen dürfe, mußte der
Monarch ſeinen Ehrenplatz verlaſſen und mit ſeiner Familie
in die enge Loge eines Schnellſchreibers für die Tages-
preſſe treten. Hier ſah man ihn den langen Tag hindurch
bis nach Mitternacht unbeweglich ſitzen; die Krone von
Frankreich ward vor ſeinen Augen zerbrochen.
Zuerſt fielen die Tuilerien in die Hände ihrer Beſtür-
mer, unvertheidigt. Denn kaum hatte der König das
Schloß verlaſſen, als die Nationalgarde abzog; ſie be-
trachtete ihre Aufgabe als beendigt. Soll ſie leere Wände
vertheidigen? Wie gern hätte der König nur ſeine Schweizer
gerettet, ein neu angekommenes Regiment, welches ſicher
nicht, das wußte er, ohne ſeinen Befehl vom Platze wich!
Aber ehe noch die Deputirten der Nationalverſammlung
zur Stelle kamen und dazwiſchen treten konnten, hörten
ſie ſchon den Donner der Kanonen. Der Kampf hatte
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/459>, abgerufen am 04.12.2024.
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