gesetzliches Vorhaben, aber Tausende von Rothmützen mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung unterzieht sich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den Wegweisern erkennt man den nervigen Fleischer Legendre, und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio- nalversammlung war gewarnt, sie berathschlagte noch über die Mittel die Tuilerien zu schützen, als Santerre für sich und seine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000 Bittstellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme unterstützte den Antrag, und die Versammlung willfahrte dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem Kriege; sie schildert den König, der seine patriotischen Minister fortgeschickt hat, als Verräther an der Volkssache. "Wir verlangen die Vollziehung der Menschenrechte! Darf ein Mensch, den man aus Rücksicht (par un souvenir) an seinem Posten gelassen hat, sich gegen den Willen von 25 Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld, so werde sie vernichtet." Nicht lange darauf drang die ganze Masse in den Sitzungssaal ein und durchzog densel- ben unter kriegerischer Musik. Dieser schimpfliche Auftritt dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch Weiber und Kinder schlossen sich an, und noch wälzte sich das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieser Hor- den bereits in den Tuilerien schaltete. Denn hier hatte man sich freilich in Vertheidigungszustand gesetzt, die Na-
geſetzliches Vorhaben, aber Tauſende von Rothmützen mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung unterzieht ſich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den Wegweiſern erkennt man den nervigen Fleiſcher Legendre, und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio- nalverſammlung war gewarnt, ſie berathſchlagte noch über die Mittel die Tuilerien zu ſchützen, als Santerre für ſich und ſeine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000 Bittſtellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme unterſtützte den Antrag, und die Verſammlung willfahrte dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem Kriege; ſie ſchildert den König, der ſeine patriotiſchen Miniſter fortgeſchickt hat, als Verräther an der Volksſache. „Wir verlangen die Vollziehung der Menſchenrechte! Darf ein Menſch, den man aus Rückſicht (par un souvenir) an ſeinem Poſten gelaſſen hat, ſich gegen den Willen von 25 Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld, ſo werde ſie vernichtet.“ Nicht lange darauf drang die ganze Maſſe in den Sitzungsſaal ein und durchzog denſel- ben unter kriegeriſcher Muſik. Dieſer ſchimpfliche Auftritt dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch Weiber und Kinder ſchloſſen ſich an, und noch wälzte ſich das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieſer Hor- den bereits in den Tuilerien ſchaltete. Denn hier hatte man ſich freilich in Vertheidigungszuſtand geſetzt, die Na-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0448"n="438"/>
geſetzliches Vorhaben, aber Tauſende von Rothmützen<lb/>
mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung<lb/>
unterzieht ſich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines<lb/>
Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den<lb/>
Wegweiſern erkennt man den nervigen Fleiſcher Legendre,<lb/>
und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio-<lb/>
nalverſammlung war gewarnt, ſie berathſchlagte noch<lb/>
über die Mittel die Tuilerien zu ſchützen, als Santerre<lb/>
für ſich und ſeine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000<lb/>
Bittſtellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme<lb/>
unterſtützte den Antrag, und die Verſammlung willfahrte<lb/>
dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt<lb/>
Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem<lb/>
Kriege; ſie ſchildert den König, der ſeine patriotiſchen<lb/>
Miniſter fortgeſchickt hat, als Verräther an der Volksſache.<lb/>„Wir verlangen die Vollziehung der Menſchenrechte! Darf<lb/>
ein Menſch, den man aus Rückſicht (<hirendition="#aq">par un souvenir</hi>) an<lb/>ſeinem Poſten gelaſſen hat, ſich gegen den Willen von 25<lb/>
Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld,<lb/>ſo werde ſie vernichtet.“ Nicht lange darauf drang die<lb/>
ganze Maſſe in den Sitzungsſaal ein und durchzog denſel-<lb/>
ben unter kriegeriſcher Muſik. Dieſer ſchimpfliche Auftritt<lb/>
dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch<lb/>
Weiber und Kinder ſchloſſen ſich an, und noch wälzte ſich<lb/>
das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieſer Hor-<lb/>
den bereits in den Tuilerien ſchaltete. Denn hier hatte<lb/>
man ſich freilich in Vertheidigungszuſtand geſetzt, die Na-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[438/0448]
geſetzliches Vorhaben, aber Tauſende von Rothmützen
mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung
unterzieht ſich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines
Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den
Wegweiſern erkennt man den nervigen Fleiſcher Legendre,
und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio-
nalverſammlung war gewarnt, ſie berathſchlagte noch
über die Mittel die Tuilerien zu ſchützen, als Santerre
für ſich und ſeine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000
Bittſtellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme
unterſtützte den Antrag, und die Verſammlung willfahrte
dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt
Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem
Kriege; ſie ſchildert den König, der ſeine patriotiſchen
Miniſter fortgeſchickt hat, als Verräther an der Volksſache.
„Wir verlangen die Vollziehung der Menſchenrechte! Darf
ein Menſch, den man aus Rückſicht (par un souvenir) an
ſeinem Poſten gelaſſen hat, ſich gegen den Willen von 25
Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld,
ſo werde ſie vernichtet.“ Nicht lange darauf drang die
ganze Maſſe in den Sitzungsſaal ein und durchzog denſel-
ben unter kriegeriſcher Muſik. Dieſer ſchimpfliche Auftritt
dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch
Weiber und Kinder ſchloſſen ſich an, und noch wälzte ſich
das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieſer Hor-
den bereits in den Tuilerien ſchaltete. Denn hier hatte
man ſich freilich in Vertheidigungszuſtand geſetzt, die Na-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/448>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.