möglich wäre, ein Bündniß zwischen Frankreich und Eng- land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit- glied der constituirenden Versammlung, zwar nicht als Botschafter auftreten, allein er überwand die Schwierig- keiten seiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht entfernt zu denken, allein die Zusicherung, daß England nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten. Von Kaiserin Katharina wußte man daß sie ihren lieben Nachbarn den Krieg eben so gern gönnte, als selber drau- ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug, um beide nicht zu fürchten. Im äußersten Falle machte man überall auf die Völker Rechnung.
Ich sagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein disciplinirtes Heer. Man hatte sonst noch die alte gewor- bene Truppe, allein seine Officiere waren zum Theil aus- gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän- dern bestanden. Man hoffte sie bald durch zahlreiche Frei- willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten, ersetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff- nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von fast glei- cher Stärke an der deutschen Gränze vertheilt waren, unter den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld wirthschaftete, welches in gewaltigen Lasten ins Lager versandt und hier, wie aus langem Stroh das Häcksel
möglich wäre, ein Bündniß zwiſchen Frankreich und Eng- land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit- glied der conſtituirenden Verſammlung, zwar nicht als Botſchafter auftreten, allein er überwand die Schwierig- keiten ſeiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht entfernt zu denken, allein die Zuſicherung, daß England nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten. Von Kaiſerin Katharina wußte man daß ſie ihren lieben Nachbarn den Krieg eben ſo gern gönnte, als ſelber drau- ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug, um beide nicht zu fürchten. Im äußerſten Falle machte man überall auf die Völker Rechnung.
Ich ſagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein disciplinirtes Heer. Man hatte ſonſt noch die alte gewor- bene Truppe, allein ſeine Officiere waren zum Theil aus- gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän- dern beſtanden. Man hoffte ſie bald durch zahlreiche Frei- willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten, erſetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff- nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von faſt glei- cher Stärke an der deutſchen Gränze vertheilt waren, unter den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld wirthſchaftete, welches in gewaltigen Laſten ins Lager verſandt und hier, wie aus langem Stroh das Häckſel
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0444"n="434"/>
möglich wäre, ein Bündniß zwiſchen Frankreich und Eng-<lb/>
land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit-<lb/>
glied der conſtituirenden Verſammlung, zwar nicht als<lb/>
Botſchafter auftreten, allein er überwand die Schwierig-<lb/>
keiten ſeiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht<lb/>
entfernt zu denken, allein die Zuſicherung, daß England<lb/>
nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten.<lb/>
Von Kaiſerin Katharina wußte man daß ſie ihren lieben<lb/>
Nachbarn den Krieg eben ſo gern gönnte, als ſelber drau-<lb/>
ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug,<lb/>
um beide nicht zu fürchten. Im äußerſten Falle machte man<lb/>
überall auf die Völker Rechnung.</p><lb/><p>Ich ſagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein<lb/>
disciplinirtes Heer. Man hatte ſonſt noch die alte gewor-<lb/>
bene Truppe, allein ſeine Officiere waren zum Theil aus-<lb/>
gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden<lb/>
als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen<lb/>
den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän-<lb/>
dern beſtanden. Man hoffte ſie bald durch zahlreiche Frei-<lb/>
willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten,<lb/>
erſetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff-<lb/>
nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von faſt glei-<lb/>
cher Stärke an der deutſchen Gränze vertheilt waren, unter<lb/>
den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich<lb/>
nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld<lb/>
wirthſchaftete, welches in gewaltigen Laſten ins Lager<lb/>
verſandt und hier, wie aus langem Stroh das Häckſel<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[434/0444]
möglich wäre, ein Bündniß zwiſchen Frankreich und Eng-
land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit-
glied der conſtituirenden Verſammlung, zwar nicht als
Botſchafter auftreten, allein er überwand die Schwierig-
keiten ſeiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht
entfernt zu denken, allein die Zuſicherung, daß England
nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten.
Von Kaiſerin Katharina wußte man daß ſie ihren lieben
Nachbarn den Krieg eben ſo gern gönnte, als ſelber drau-
ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug,
um beide nicht zu fürchten. Im äußerſten Falle machte man
überall auf die Völker Rechnung.
Ich ſagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein
disciplinirtes Heer. Man hatte ſonſt noch die alte gewor-
bene Truppe, allein ſeine Officiere waren zum Theil aus-
gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden
als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen
den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän-
dern beſtanden. Man hoffte ſie bald durch zahlreiche Frei-
willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten,
erſetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff-
nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von faſt glei-
cher Stärke an der deutſchen Gränze vertheilt waren, unter
den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich
nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld
wirthſchaftete, welches in gewaltigen Laſten ins Lager
verſandt und hier, wie aus langem Stroh das Häckſel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/444>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.