St. Antoine war angeschlagen: "Wer dem Könige zu- klatscht, kriegt Schläge, wer ihn beleidigt, wird gehan- gen." Durch eine doppelte Reihe von Nationalgarden ging der Weg zu den Tuillerien. Hier ward die königliche Familie einer Abtheilung der Nationalgarde übergeben, die für ihre Sicherheit wachen und für den König, die Königin und den Dauphin einstehen soll. Lafayette ist von nun an der Wächter seines Königs. Die executive Gewalt bleibt bis weiter noch in den Händen der Minister, der Sanction des Königs bedarf es bis weiter nicht. So ward denselben Morgen decretirt.
Diese übel berathene Flucht und ihr Mislingen entriß der Majestät ihr letztes Gewand. Der König ist ein Ge- fangener, welcher über die Beweggründe seiner Entwei- chung von Commissarien der Nationalversammlung förm- lich vernommen wird. Ludwig besaß nicht den Muth ei- nes vollkommen wahrhaften Bekenntnisses. Zwar blieb er in der ausgestellten Erklärung bei den erduldeten Mis- handlungen als den Ursachen seiner Entfernung aus Pa- ris, nicht aus dem Königreiche, stehen, er behauptete aber durch seinen Protest die Grundlagen der Verfassung nicht angegriffen zu haben, erst seit dem 6ten October sey sein Zustand unfrei gewesen, ein Einverständniß mit aus- wärtigen Mächten habe nicht stattgefunden. Er fügte noch, gleichsam entschuldigend, hinzu, erst auf seiner Reise habe er die Überzeugung gewonnen, wie günstig die Volks- stimme der neuen Verfassung sey, und gern opfere er seine
St. Antoine war angeſchlagen: „Wer dem Könige zu- klatſcht, kriegt Schläge, wer ihn beleidigt, wird gehan- gen.“ Durch eine doppelte Reihe von Nationalgarden ging der Weg zu den Tuillerien. Hier ward die königliche Familie einer Abtheilung der Nationalgarde übergeben, die für ihre Sicherheit wachen und für den König, die Königin und den Dauphin einſtehen ſoll. Lafayette iſt von nun an der Wächter ſeines Königs. Die executive Gewalt bleibt bis weiter noch in den Händen der Miniſter, der Sanction des Königs bedarf es bis weiter nicht. So ward denſelben Morgen decretirt.
Dieſe übel berathene Flucht und ihr Mislingen entriß der Majeſtät ihr letztes Gewand. Der König iſt ein Ge- fangener, welcher über die Beweggründe ſeiner Entwei- chung von Commiſſarien der Nationalverſammlung förm- lich vernommen wird. Ludwig beſaß nicht den Muth ei- nes vollkommen wahrhaften Bekenntniſſes. Zwar blieb er in der ausgeſtellten Erklärung bei den erduldeten Mis- handlungen als den Urſachen ſeiner Entfernung aus Pa- ris, nicht aus dem Königreiche, ſtehen, er behauptete aber durch ſeinen Proteſt die Grundlagen der Verfaſſung nicht angegriffen zu haben, erſt ſeit dem 6ten October ſey ſein Zuſtand unfrei geweſen, ein Einverſtändniß mit aus- wärtigen Mächten habe nicht ſtattgefunden. Er fügte noch, gleichſam entſchuldigend, hinzu, erſt auf ſeiner Reiſe habe er die Überzeugung gewonnen, wie günſtig die Volks- ſtimme der neuen Verfaſſung ſey, und gern opfere er ſeine
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St. Antoine war angeſchlagen: „Wer dem Könige zu-
klatſcht, kriegt Schläge, wer ihn beleidigt, wird gehan-
gen.“ Durch eine doppelte Reihe von Nationalgarden
ging der Weg zu den Tuillerien. Hier ward die königliche
Familie einer Abtheilung der Nationalgarde übergeben,
die für ihre Sicherheit wachen und für den König, die
Königin und den Dauphin einſtehen ſoll. Lafayette iſt von
nun an der Wächter ſeines Königs. Die executive Gewalt
bleibt bis weiter noch in den Händen der Miniſter, der
Sanction des Königs bedarf es bis weiter nicht. So ward
denſelben Morgen decretirt.
Dieſe übel berathene Flucht und ihr Mislingen entriß
der Majeſtät ihr letztes Gewand. Der König iſt ein Ge-
fangener, welcher über die Beweggründe ſeiner Entwei-
chung von Commiſſarien der Nationalverſammlung förm-
lich vernommen wird. Ludwig beſaß nicht den Muth ei-
nes vollkommen wahrhaften Bekenntniſſes. Zwar blieb er
in der ausgeſtellten Erklärung bei den erduldeten Mis-
handlungen als den Urſachen ſeiner Entfernung aus Pa-
ris, nicht aus dem Königreiche, ſtehen, er behauptete
aber durch ſeinen Proteſt die Grundlagen der Verfaſſung
nicht angegriffen zu haben, erſt ſeit dem 6ten October ſey
ſein Zuſtand unfrei geweſen, ein Einverſtändniß mit aus-
wärtigen Mächten habe nicht ſtattgefunden. Er fügte noch,
gleichſam entſchuldigend, hinzu, erſt auf ſeiner Reiſe habe
er die Überzeugung gewonnen, wie günſtig die Volks-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/390>, abgerufen am 23.12.2024.
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