Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

wie es scheint, nicht minder an der Gesinnung der Husa-
ren als an der des Königs scheitern mußte. Dieser will
auf allen Fall Bouille's Ankunft abwarten, der, meinte
er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er sich daran daß
ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Reise
nicht abgeschlagen, nur verlangt hat daß er warte bis
morgen früh. Aber Bouille kam nicht; statt seiner er-
schien ein Adjudant Lafayette's, begleitet von einem Of-
ficier der pariser Nationalgarde. Sie überreichen dem Kö-
nige ein Decret der Nationalversammlung, welches seine
Rückkehr fordert, gestützt auf ein früheres Decret, welches
dem Könige verbietet sich weiter als 20 Lieues vom Sitze
der Nationalversammlung zu entfernen. Der König sprach:
"Dieses Decret habe ich nie sanctionirt." Morgens acht
Uhr saß der König wieder im Wagen, aber die Reise ging
zurück nach Paris. Eine Stunde nach seiner Abfahrt er-
schien Bouille mit einem Reuterregiment vor dem von Tau-
senden umringten, rings abgesperrten Varennes. Da
wandte er um und rettete sich mit seinem Stabe über die
französische Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier
schrieb er an die Nationalversammlung einen Drohbrief,
dessen Schluß zu erkennen giebt, wie sehr es diesem
Tapfern an politischer Voraussicht gebreche: "Ich wollte
mein Vaterland, den König und seine Familie retten:
Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal-
tung Rechenschaft geben müssen, nicht mir, aber allen
Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen

wie es ſcheint, nicht minder an der Geſinnung der Huſa-
ren als an der des Königs ſcheitern mußte. Dieſer will
auf allen Fall Bouillé’s Ankunft abwarten, der, meinte
er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er ſich daran daß
ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Reiſe
nicht abgeſchlagen, nur verlangt hat daß er warte bis
morgen früh. Aber Bouillé kam nicht; ſtatt ſeiner er-
ſchien ein Adjudant Lafayette’s, begleitet von einem Of-
ficier der pariſer Nationalgarde. Sie überreichen dem Kö-
nige ein Decret der Nationalverſammlung, welches ſeine
Rückkehr fordert, geſtützt auf ein früheres Decret, welches
dem Könige verbietet ſich weiter als 20 Lieues vom Sitze
der Nationalverſammlung zu entfernen. Der König ſprach:
„Dieſes Decret habe ich nie ſanctionirt.“ Morgens acht
Uhr ſaß der König wieder im Wagen, aber die Reiſe ging
zurück nach Paris. Eine Stunde nach ſeiner Abfahrt er-
ſchien Bouillé mit einem Reuterregiment vor dem von Tau-
ſenden umringten, rings abgeſperrten Varennes. Da
wandte er um und rettete ſich mit ſeinem Stabe über die
franzöſiſche Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier
ſchrieb er an die Nationalverſammlung einen Drohbrief,
deſſen Schluß zu erkennen giebt, wie ſehr es dieſem
Tapfern an politiſcher Vorausſicht gebreche: „Ich wollte
mein Vaterland, den König und ſeine Familie retten:
Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal-
tung Rechenſchaft geben müſſen, nicht mir, aber allen
Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0388" n="378"/>
wie es &#x017F;cheint, nicht minder an der Ge&#x017F;innung der Hu&#x017F;a-<lb/>
ren als an der des Königs &#x017F;cheitern mußte. Die&#x017F;er will<lb/>
auf allen Fall Bouillé&#x2019;s Ankunft abwarten, der, meinte<lb/>
er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er &#x017F;ich daran daß<lb/>
ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Rei&#x017F;e<lb/>
nicht abge&#x017F;chlagen, nur verlangt hat daß er warte bis<lb/>
morgen früh. Aber Bouillé kam nicht; &#x017F;tatt &#x017F;einer er-<lb/>
&#x017F;chien ein Adjudant Lafayette&#x2019;s, begleitet von einem Of-<lb/>
ficier der pari&#x017F;er Nationalgarde. Sie überreichen dem Kö-<lb/>
nige ein Decret der Nationalver&#x017F;ammlung, welches &#x017F;eine<lb/>
Rückkehr fordert, ge&#x017F;tützt auf ein früheres Decret, welches<lb/>
dem Könige verbietet &#x017F;ich weiter als 20 Lieues vom Sitze<lb/>
der Nationalver&#x017F;ammlung zu entfernen. Der König &#x017F;prach:<lb/>
&#x201E;Die&#x017F;es Decret habe ich nie &#x017F;anctionirt.&#x201C; Morgens acht<lb/>
Uhr &#x017F;aß der König wieder im Wagen, aber die Rei&#x017F;e ging<lb/>
zurück nach Paris. Eine Stunde nach &#x017F;einer Abfahrt er-<lb/>
&#x017F;chien Bouillé mit einem Reuterregiment vor dem von Tau-<lb/>
&#x017F;enden umringten, rings abge&#x017F;perrten Varennes. Da<lb/>
wandte er um und rettete &#x017F;ich mit &#x017F;einem Stabe über die<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier<lb/>
&#x017F;chrieb er an die Nationalver&#x017F;ammlung einen Drohbrief,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Schluß zu erkennen giebt, wie &#x017F;ehr es die&#x017F;em<lb/>
Tapfern an politi&#x017F;cher Voraus&#x017F;icht gebreche: &#x201E;Ich wollte<lb/>
mein Vaterland, den König und &#x017F;eine Familie retten:<lb/>
Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal-<lb/>
tung Rechen&#x017F;chaft geben mü&#x017F;&#x017F;en, nicht mir, aber allen<lb/>
Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0388] wie es ſcheint, nicht minder an der Geſinnung der Huſa- ren als an der des Königs ſcheitern mußte. Dieſer will auf allen Fall Bouillé’s Ankunft abwarten, der, meinte er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er ſich daran daß ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Reiſe nicht abgeſchlagen, nur verlangt hat daß er warte bis morgen früh. Aber Bouillé kam nicht; ſtatt ſeiner er- ſchien ein Adjudant Lafayette’s, begleitet von einem Of- ficier der pariſer Nationalgarde. Sie überreichen dem Kö- nige ein Decret der Nationalverſammlung, welches ſeine Rückkehr fordert, geſtützt auf ein früheres Decret, welches dem Könige verbietet ſich weiter als 20 Lieues vom Sitze der Nationalverſammlung zu entfernen. Der König ſprach: „Dieſes Decret habe ich nie ſanctionirt.“ Morgens acht Uhr ſaß der König wieder im Wagen, aber die Reiſe ging zurück nach Paris. Eine Stunde nach ſeiner Abfahrt er- ſchien Bouillé mit einem Reuterregiment vor dem von Tau- ſenden umringten, rings abgeſperrten Varennes. Da wandte er um und rettete ſich mit ſeinem Stabe über die franzöſiſche Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier ſchrieb er an die Nationalverſammlung einen Drohbrief, deſſen Schluß zu erkennen giebt, wie ſehr es dieſem Tapfern an politiſcher Vorausſicht gebreche: „Ich wollte mein Vaterland, den König und ſeine Familie retten: Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal- tung Rechenſchaft geben müſſen, nicht mir, aber allen Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/388
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/388>, abgerufen am 23.12.2024.