in einander greifen. Kein Zweifel, diese nach Macht und Ruhm dürstende Seele hatte ein hohes Ziel im Sinne. Die Nachwelt sollte von ihm sagen: "Er hat, um Frank- reich frei zu machen, die Ordnung erschüttert, Frankreich ist frei! und derselbe Mann hat die Ordnung wieder her- gestellt; er hat die Flecken einer wüsten Jugend durch ein unsterbliches Werk seines Mannesalters abgewaschen." Allein das Werk, im Übermuthe des Selbstgefühls be- gonnen, will sich nicht vollenden, jene entstellenden Flecken weichen nicht: zuerst schließt ihn sein Ruf von der höch- sten Stelle hart am Throne, die seinem Genie gebührte, aus, hierauf ein unsinniger Beschluß der Nationalver- sammlung. Nichtsdestoweniger ist er der Rath des Kö- nigspaares geworden, allein sein Rath ringt hier mit ei- ner Unschlüssigkeit, welche stets neue Recepte verlangt ohne den bittern Trank je anzurühren, und wird von ihr besiegt; draußen aber nennt man ihn einen Verräther an der Freiheit, sobald er Mäßigung predigt, denn man ahnt sein Verhältniß zum Hofe. So krankte er in der letz- ten Zeit, von der Unhaltbarkeit seiner doppelsinnigen Lage gepeinigt, schwerer als je an seinem Rufe. Zu einem Ab- geordneten sprach er: "Ich weiß schon, Sie lieben mich nicht; ich sage mehr, Sie achten mich nicht." Zu einem Vertrauten sprach er: "Ach wenn ich in die Revolution einen Ruf gebracht hätte, ähnlich dem von Malesherbes, welche Zukunft hätte ich meinem Lande gesichert! welch einen Ruhm an meinen Namen geknüpft!" Allein sein
in einander greifen. Kein Zweifel, dieſe nach Macht und Ruhm dürſtende Seele hatte ein hohes Ziel im Sinne. Die Nachwelt ſollte von ihm ſagen: „Er hat, um Frank- reich frei zu machen, die Ordnung erſchüttert, Frankreich iſt frei! und derſelbe Mann hat die Ordnung wieder her- geſtellt; er hat die Flecken einer wüſten Jugend durch ein unſterbliches Werk ſeines Mannesalters abgewaſchen.“ Allein das Werk, im Übermuthe des Selbſtgefühls be- gonnen, will ſich nicht vollenden, jene entſtellenden Flecken weichen nicht: zuerſt ſchließt ihn ſein Ruf von der höch- ſten Stelle hart am Throne, die ſeinem Genie gebührte, aus, hierauf ein unſinniger Beſchluß der Nationalver- ſammlung. Nichtsdeſtoweniger iſt er der Rath des Kö- nigspaares geworden, allein ſein Rath ringt hier mit ei- ner Unſchlüſſigkeit, welche ſtets neue Recepte verlangt ohne den bittern Trank je anzurühren, und wird von ihr beſiegt; draußen aber nennt man ihn einen Verräther an der Freiheit, ſobald er Mäßigung predigt, denn man ahnt ſein Verhältniß zum Hofe. So krankte er in der letz- ten Zeit, von der Unhaltbarkeit ſeiner doppelſinnigen Lage gepeinigt, ſchwerer als je an ſeinem Rufe. Zu einem Ab- geordneten ſprach er: „Ich weiß ſchon, Sie lieben mich nicht; ich ſage mehr, Sie achten mich nicht.“ Zu einem Vertrauten ſprach er: „Ach wenn ich in die Revolution einen Ruf gebracht hätte, ähnlich dem von Malesherbes, welche Zukunft hätte ich meinem Lande geſichert! welch einen Ruhm an meinen Namen geknüpft!“ Allein ſein
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in einander greifen. Kein Zweifel, dieſe nach Macht und
Ruhm dürſtende Seele hatte ein hohes Ziel im Sinne.
Die Nachwelt ſollte von ihm ſagen: „Er hat, um Frank-
reich frei zu machen, die Ordnung erſchüttert, Frankreich
iſt frei! und derſelbe Mann hat die Ordnung wieder her-
geſtellt; er hat die Flecken einer wüſten Jugend durch ein
unſterbliches Werk ſeines Mannesalters abgewaſchen.“
Allein das Werk, im Übermuthe des Selbſtgefühls be-
gonnen, will ſich nicht vollenden, jene entſtellenden Flecken
weichen nicht: zuerſt ſchließt ihn ſein Ruf von der höch-
ſten Stelle hart am Throne, die ſeinem Genie gebührte,
aus, hierauf ein unſinniger Beſchluß der Nationalver-
ſammlung. Nichtsdeſtoweniger iſt er der Rath des Kö-
nigspaares geworden, allein ſein Rath ringt hier mit ei-
ner Unſchlüſſigkeit, welche ſtets neue Recepte verlangt
ohne den bittern Trank je anzurühren, und wird von ihr
beſiegt; draußen aber nennt man ihn einen Verräther an
der Freiheit, ſobald er Mäßigung predigt, denn man
ahnt ſein Verhältniß zum Hofe. So krankte er in der letz-
ten Zeit, von der Unhaltbarkeit ſeiner doppelſinnigen Lage
gepeinigt, ſchwerer als je an ſeinem Rufe. Zu einem Ab-
geordneten ſprach er: „Ich weiß ſchon, Sie lieben mich
nicht; ich ſage mehr, Sie achten mich nicht.“ Zu einem
Vertrauten ſprach er: „Ach wenn ich in die Revolution
einen Ruf gebracht hätte, ähnlich dem von Malesherbes,
welche Zukunft hätte ich meinem Lande geſichert! welch
einen Ruhm an meinen Namen geknüpft!“ Allein ſein
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/360>, abgerufen am 23.12.2024.
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