grundes, welchen die Nationalversammlung durch die Be- schlüsse über die Geistlichkeit unter ihren Füßen eröffnete. Das zeigt ein Brief von ihm vom 27sten Januar. "Das ist eine neue Wunde und die giftigste von allen; sie wird den Brand vollends in die vielen Schwären bringen, von welchen unser politischer Körper zernagt, zerfressen und aufgelöst wird. Wir hatten uns einen König im Bilde gemacht, einen König ohne Macht, einen gesetzgebenden Körper, der verwaltet, der untersucht, der richtet, der belohnt, der straft, der Alles thut, außer was er thun sollte. Nun aber stellen wir die kirchliche Spaltung an die Seite der politischen; wir hatten noch nicht Widersetzlich- keiten genug, wir schaffen uns neue nach Lust, nicht Ge- fahren genug, wir rufen die allerschlimmsten hervor, nicht Verlegenheiten genug, wir schaffen uns die unentwirrbar- sten; das kann das Ende von Allem herbeiführen, wenn die Versammlung nicht bald müde wird den Anarchisten zu gehorchen." Derselbe Mirabeau aber erkannte, wohin die Woge der öffentlichen Meinung unaufhaltsam gehe, und machte sich wider innere Überzeugung zum Genossen Barnave's, um seinen Einfluß in der Versammlung zu behaupten. Allerdings ging bei hoher Ehrfurcht gegen die Religion, welche Mirabeau in seinen Reden nie verläug- net, die Freiheit seiner Ansicht, der bestehenden Kirchen- ordnung gegenüber, weit. Wir finden in seinem Nach- lasse eine ausführliche, völlig ausgearbeitete Rede gegen den Cölibat der Priester. Allein wenn er diese gleich, um
grundes, welchen die Nationalverſammlung durch die Be- ſchlüſſe über die Geiſtlichkeit unter ihren Füßen eröffnete. Das zeigt ein Brief von ihm vom 27ſten Januar. „Das iſt eine neue Wunde und die giftigſte von allen; ſie wird den Brand vollends in die vielen Schwären bringen, von welchen unſer politiſcher Körper zernagt, zerfreſſen und aufgelöſt wird. Wir hatten uns einen König im Bilde gemacht, einen König ohne Macht, einen geſetzgebenden Körper, der verwaltet, der unterſucht, der richtet, der belohnt, der ſtraft, der Alles thut, außer was er thun ſollte. Nun aber ſtellen wir die kirchliche Spaltung an die Seite der politiſchen; wir hatten noch nicht Widerſetzlich- keiten genug, wir ſchaffen uns neue nach Luſt, nicht Ge- fahren genug, wir rufen die allerſchlimmſten hervor, nicht Verlegenheiten genug, wir ſchaffen uns die unentwirrbar- ſten; das kann das Ende von Allem herbeiführen, wenn die Verſammlung nicht bald müde wird den Anarchiſten zu gehorchen.“ Derſelbe Mirabeau aber erkannte, wohin die Woge der öffentlichen Meinung unaufhaltſam gehe, und machte ſich wider innere Überzeugung zum Genoſſen Barnave’s, um ſeinen Einfluß in der Verſammlung zu behaupten. Allerdings ging bei hoher Ehrfurcht gegen die Religion, welche Mirabeau in ſeinen Reden nie verläug- net, die Freiheit ſeiner Anſicht, der beſtehenden Kirchen- ordnung gegenüber, weit. Wir finden in ſeinem Nach- laſſe eine ausführliche, völlig ausgearbeitete Rede gegen den Cölibat der Prieſter. Allein wenn er dieſe gleich, um
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grundes, welchen die Nationalverſammlung durch die Be-
ſchlüſſe über die Geiſtlichkeit unter ihren Füßen eröffnete.
Das zeigt ein Brief von ihm vom 27ſten Januar. „Das
iſt eine neue Wunde und die giftigſte von allen; ſie wird
den Brand vollends in die vielen Schwären bringen, von
welchen unſer politiſcher Körper zernagt, zerfreſſen und
aufgelöſt wird. Wir hatten uns einen König im Bilde
gemacht, einen König ohne Macht, einen geſetzgebenden
Körper, der verwaltet, der unterſucht, der richtet, der
belohnt, der ſtraft, der Alles thut, außer was er thun
ſollte. Nun aber ſtellen wir die kirchliche Spaltung an die
Seite der politiſchen; wir hatten noch nicht Widerſetzlich-
keiten genug, wir ſchaffen uns neue nach Luſt, nicht Ge-
fahren genug, wir rufen die allerſchlimmſten hervor, nicht
Verlegenheiten genug, wir ſchaffen uns die unentwirrbar-
ſten; das kann das Ende von Allem herbeiführen, wenn
die Verſammlung nicht bald müde wird den Anarchiſten zu
gehorchen.“ Derſelbe Mirabeau aber erkannte, wohin
die Woge der öffentlichen Meinung unaufhaltſam gehe,
und machte ſich wider innere Überzeugung zum Genoſſen
Barnave’s, um ſeinen Einfluß in der Verſammlung zu
behaupten. Allerdings ging bei hoher Ehrfurcht gegen die
Religion, welche Mirabeau in ſeinen Reden nie verläug-
net, die Freiheit ſeiner Anſicht, der beſtehenden Kirchen-
ordnung gegenüber, weit. Wir finden in ſeinem Nach-
laſſe eine ausführliche, völlig ausgearbeitete Rede gegen
den Cölibat der Prieſter. Allein wenn er dieſe gleich, um
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/358>, abgerufen am 23.12.2024.
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