Untreue und Bestechung, ruft die Volksrache herbei, um eine Tyrannei der Meinungen zu begründen. Man will, so scheint es, ein Verbrechen daraus machen daß über eine der feinsten und schwierigsten Fragen der gesellschaftlichen Ordnung zwei verschiedene Meinungen stattfinden. Was mich betrifft, es ist nur wenig Tage her daß man mich im Triumph tragen wollte, und heute schreit man durch alle Gassen die große Verrätherei des Grafen Mi- rabeau aus. Es bedurfte für mich dieser Lehre nicht, um zu wissen daß vom Capitol nur wenig Schritte bis zum tarpejischen Felsen sind, aber ein Mann, der für die Vernunft, für sein Vaterland kämpft, hält sich nicht so leicht für überwunden. Wem sein Gewissen sagt, er habe sich wohl verdient um das Vaterland gemacht und vor Allem er nütze ihm noch jetzt; wer sich an keiner leeren Berühmtheit weidet und die Erfolge eines Tages ver- schmäht, wo wahrer Ruhm auf dem Spiele steht, der Mann trägt in sich die Belohnung seiner Dienste, die Lust seiner Mühen, den Preis seiner Gefahren; er darf seine Erndte, seine Zukunft, das Einzige was ihn reizt, die Zukunft seines Namens allein von der Zeit, diesem unbestechlichem Richter erwarten, welcher Allen Gerech- tigkeit widerfahren läßt. Mögen diejenigen, welche seit acht Tagen meine Meinung prophezeiten ohne sie noch zu kennen, welche diesen Augenblick meine Rede verläumden ohne sie verstanden zu haben, mich beschuldigen ohnmäch- tigen Götzenbildern Weihrauch zu streuen in demselben
Untreue und Beſtechung, ruft die Volksrache herbei, um eine Tyrannei der Meinungen zu begründen. Man will, ſo ſcheint es, ein Verbrechen daraus machen daß über eine der feinſten und ſchwierigſten Fragen der geſellſchaftlichen Ordnung zwei verſchiedene Meinungen ſtattfinden. Was mich betrifft, es iſt nur wenig Tage her daß man mich im Triumph tragen wollte, und heute ſchreit man durch alle Gaſſen die große Verrätherei des Grafen Mi- rabeau aus. Es bedurfte für mich dieſer Lehre nicht, um zu wiſſen daß vom Capitol nur wenig Schritte bis zum tarpejiſchen Felſen ſind, aber ein Mann, der für die Vernunft, für ſein Vaterland kämpft, hält ſich nicht ſo leicht für überwunden. Wem ſein Gewiſſen ſagt, er habe ſich wohl verdient um das Vaterland gemacht und vor Allem er nütze ihm noch jetzt; wer ſich an keiner leeren Berühmtheit weidet und die Erfolge eines Tages ver- ſchmäht, wo wahrer Ruhm auf dem Spiele ſteht, der Mann trägt in ſich die Belohnung ſeiner Dienſte, die Luſt ſeiner Mühen, den Preis ſeiner Gefahren; er darf ſeine Erndte, ſeine Zukunft, das Einzige was ihn reizt, die Zukunft ſeines Namens allein von der Zeit, dieſem unbeſtechlichem Richter erwarten, welcher Allen Gerech- tigkeit widerfahren läßt. Mögen diejenigen, welche ſeit acht Tagen meine Meinung prophezeiten ohne ſie noch zu kennen, welche dieſen Augenblick meine Rede verläumden ohne ſie verſtanden zu haben, mich beſchuldigen ohnmäch- tigen Götzenbildern Weihrauch zu ſtreuen in demſelben
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Untreue und Beſtechung, ruft die Volksrache herbei, um
eine Tyrannei der Meinungen zu begründen. Man will,
ſo ſcheint es, ein Verbrechen daraus machen daß über eine
der feinſten und ſchwierigſten Fragen der geſellſchaftlichen
Ordnung zwei verſchiedene Meinungen ſtattfinden. Was
mich betrifft, es iſt nur wenig Tage her daß man mich
im Triumph tragen wollte, und heute ſchreit man durch alle
Gaſſen die große Verrätherei des Grafen Mi-
rabeau aus. Es bedurfte für mich dieſer Lehre nicht,
um zu wiſſen daß vom Capitol nur wenig Schritte bis
zum tarpejiſchen Felſen ſind, aber ein Mann, der für die
Vernunft, für ſein Vaterland kämpft, hält ſich nicht ſo
leicht für überwunden. Wem ſein Gewiſſen ſagt, er habe
ſich wohl verdient um das Vaterland gemacht und vor
Allem er nütze ihm noch jetzt; wer ſich an keiner leeren
Berühmtheit weidet und die Erfolge eines Tages ver-
ſchmäht, wo wahrer Ruhm auf dem Spiele ſteht, der
Mann trägt in ſich die Belohnung ſeiner Dienſte, die
Luſt ſeiner Mühen, den Preis ſeiner Gefahren; er darf
ſeine Erndte, ſeine Zukunft, das Einzige was ihn reizt,
die Zukunft ſeines Namens allein von der Zeit, dieſem
unbeſtechlichem Richter erwarten, welcher Allen Gerech-
tigkeit widerfahren läßt. Mögen diejenigen, welche ſeit
acht Tagen meine Meinung prophezeiten ohne ſie noch zu
kennen, welche dieſen Augenblick meine Rede verläumden
ohne ſie verſtanden zu haben, mich beſchuldigen ohnmäch-
tigen Götzenbildern Weihrauch zu ſtreuen in demſelben
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/324>, abgerufen am 29.11.2024.
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