hoffte er den Frevel der besoldeten Compagnien in Zaum zu halten. Es war 5 Uhr Nachmittags als er aufbrach. Aber schon um 4 Uhr fing das Weiberheer an in Versailles einzurücken. Eben stand die Nationalversammlung im Be- griffe den König durch eine Deputation ersuchen zu lassen, er möge die Genehmigung der Menschenrechte, welche nur bedingt gegeben war, unbedingt ohne Aufschub ertheilen, als die Meldung kam: "die Weiber sind angekommen, verlangen Zulaß." Er ward gewährt, und Maillard trat an ihrer Spitze vor der Nationalversammlung als Redner auf, mit schamloser Übertreibung des Brodmangels und der Beschwerden gegen die Gardes-du-corps, als Be- schimpfer der Nationalcocarde. Nun zeigte es sich, wie weise es gewesen wäre, der Sitzung bei Zeiten ein Ende zu machen, statt die Nationalversammlung dem Gespötte preiszugeben. Denn nicht nur daß die Weiber oben die Gallerien erfüllten, man sah deren aus der Hefe des Volks, untermischt mit bewaffneten Männern, neben den Abgeordneten Platz nehmen, man mußte ihre laute Un- terhaltung mit denen da oben ertragen. Vergeblich das Bemühen Mirabeau's, der Donner seiner Stimme stellte nur für Augenblicke die Ordnung wieder her. Was war zu thun? Der Präsident befand sich mit vielen Abgeord- neten bei dem Könige, um ihm die bedrängte Lage der Hauptstadt zu vergegenwärtigen, und der Vicepräsident, Bischof von Langres, wußte keinen andern Rath als den- jenigen, der von Anfang her der beste gewesen wäre: die
hoffte er den Frevel der beſoldeten Compagnien in Zaum zu halten. Es war 5 Uhr Nachmittags als er aufbrach. Aber ſchon um 4 Uhr fing das Weiberheer an in Verſailles einzurücken. Eben ſtand die Nationalverſammlung im Be- griffe den König durch eine Deputation erſuchen zu laſſen, er möge die Genehmigung der Menſchenrechte, welche nur bedingt gegeben war, unbedingt ohne Aufſchub ertheilen, als die Meldung kam: „die Weiber ſind angekommen, verlangen Zulaß.“ Er ward gewährt, und Maillard trat an ihrer Spitze vor der Nationalverſammlung als Redner auf, mit ſchamloſer Übertreibung des Brodmangels und der Beſchwerden gegen die Gardes-du-corps, als Be- ſchimpfer der Nationalcocarde. Nun zeigte es ſich, wie weiſe es geweſen wäre, der Sitzung bei Zeiten ein Ende zu machen, ſtatt die Nationalverſammlung dem Geſpötte preiszugeben. Denn nicht nur daß die Weiber oben die Gallerien erfüllten, man ſah deren aus der Hefe des Volks, untermiſcht mit bewaffneten Männern, neben den Abgeordneten Platz nehmen, man mußte ihre laute Un- terhaltung mit denen da oben ertragen. Vergeblich das Bemühen Mirabeau’s, der Donner ſeiner Stimme ſtellte nur für Augenblicke die Ordnung wieder her. Was war zu thun? Der Präſident befand ſich mit vielen Abgeord- neten bei dem Könige, um ihm die bedrängte Lage der Hauptſtadt zu vergegenwärtigen, und der Vicepräſident, Biſchof von Langres, wußte keinen andern Rath als den- jenigen, der von Anfang her der beſte geweſen wäre: die
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hoffte er den Frevel der beſoldeten Compagnien in Zaum
zu halten. Es war 5 Uhr Nachmittags als er aufbrach.
Aber ſchon um 4 Uhr fing das Weiberheer an in Verſailles
einzurücken. Eben ſtand die Nationalverſammlung im Be-
griffe den König durch eine Deputation erſuchen zu laſſen,
er möge die Genehmigung der Menſchenrechte, welche nur
bedingt gegeben war, unbedingt ohne Aufſchub ertheilen,
als die Meldung kam: „die Weiber ſind angekommen,
verlangen Zulaß.“ Er ward gewährt, und Maillard trat
an ihrer Spitze vor der Nationalverſammlung als Redner
auf, mit ſchamloſer Übertreibung des Brodmangels und
der Beſchwerden gegen die Gardes-du-corps, als Be-
ſchimpfer der Nationalcocarde. Nun zeigte es ſich, wie
weiſe es geweſen wäre, der Sitzung bei Zeiten ein Ende
zu machen, ſtatt die Nationalverſammlung dem Geſpötte
preiszugeben. Denn nicht nur daß die Weiber oben die
Gallerien erfüllten, man ſah deren aus der Hefe des
Volks, untermiſcht mit bewaffneten Männern, neben den
Abgeordneten Platz nehmen, man mußte ihre laute Un-
terhaltung mit denen da oben ertragen. Vergeblich das
Bemühen Mirabeau’s, der Donner ſeiner Stimme ſtellte
nur für Augenblicke die Ordnung wieder her. Was war
zu thun? Der Präſident befand ſich mit vielen Abgeord-
neten bei dem Könige, um ihm die bedrängte Lage der
Hauptſtadt zu vergegenwärtigen, und der Vicepräſident,
Biſchof von Langres, wußte keinen andern Rath als den-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/298>, abgerufen am 27.11.2024.
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