weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Minister und erster Minister. Seine Neider meinten, er sey das eine Mal zu frühe, das andere Mal zu spät zur Macht gelangt; allein Maurepas war der in diesen Regionen Alles ver- mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne ward daß sein Gebieter mit dem unschuldigen Ernste der Jugend nach ein Paar rechtschaffenen Männern verlangte, welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er dieser Schwäche nach, willigte in die Ernennung von Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einsicht in allgemeiner Achtung stand, wenn schon sie nicht für kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs: "Aber ist es wahr daß Turgot nie in die Messe geht?" antwortete Maurepas: "Sire, ich weiß nur daß der Abbe Terray jeden Tag hinein ging." Terray hatte neuerdings das Finanzwesen zu Grunde gerichtet und sich aus dem Elende der unteren Classen schamlos bereichert; man baute auf Turgot. Das Heerwesen lag in tiefem Verfalle und man berief in das Kriegsministerium den Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt wieder zu Ehren kam.
Wirklich stand es so, daß nach allen Seiten schleunig eingeschritten werden mußte, wenn das morsche Band, welches hier 25 Millionen Menschen auf 10,000 Qua- dratmeilen zusammenhielt, noch länger in alter Weise dauern sollte, so gar übel war es mit Menschen und Sachen rings bestellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-
2*
weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt; allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver- mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte, welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs: „Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht?“ antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert; man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt wieder zu Ehren kam.
Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band, welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua- dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-
2*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0029"n="19"/>
weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und<lb/>
erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine<lb/>
Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt;<lb/>
allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver-<lb/>
mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne<lb/>
ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der<lb/>
Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte,<lb/>
welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er<lb/>
dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von<lb/>
Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht<lb/>
in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für<lb/>
kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs:<lb/>„Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht?“<lb/>
antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der<lb/>
Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte<lb/>
neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich<lb/>
aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert;<lb/>
man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem<lb/>
Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den<lb/>
Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt<lb/>
wieder zu Ehren kam.</p><lb/><p>Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig<lb/>
eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band,<lb/>
welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua-<lb/>
dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe<lb/>
dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und<lb/>
Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">2*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[19/0029]
weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und
erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine
Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt;
allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver-
mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne
ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der
Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte,
welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er
dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von
Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht
in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für
kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs:
„Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht?“
antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der
Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte
neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich
aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert;
man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem
Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den
Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt
wieder zu Ehren kam.
Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig
eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band,
welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua-
dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe
dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und
Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-
2*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/29>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.