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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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schlechter hervor, durch eine heute beschlossene Staatsver-
fassung nicht für immer gebunden zu seyn. Das Volk wird
demnach durch außerordentlich berufene Abgeordnete von
Zeit zu Zeit die nöthigen Abänderungen beschließen. Allein
um nur bei seinem Ausgangspuncte stehen zu bleiben, so
leidet dieser an einem doppelten Gebrechen. Denn weder
sind die Menschen von Natur frei und gleich, noch ist der
Staat als eine künstliche Einrichtung zu begreifen, welcher
ein staatloser Naturstand vorangegangen wäre. Jeder
Mensch erwächst hülfsbedürftig und beherrscht, und ist er
erwachsen, so sieht er sich von Menschen umgeben, ihm
ungleich an Gestalt, Fähigkeiten, Stand, Vermögen.
Auch ist durchaus kein Grund anzunehmen, das sey je-
mals anders gewesen; der Staat ist so alt als die Mensch-
heit. Ging man einmal darauf aus, das französische Volk
auf eine belehrende Weise in die Wohlthaten seiner neuen
Verfassung vorredend einzuleiten, so mußte das auf dem
gerade entgegengesetzten Wege geschehen, indem man jene
Ungleichheiten anerkannte, als durch Gott und Natur und
die Macht der Geschichte begründet, allein zu gleicher Zeit
darthat, das Ziel einer guten Staatsverfassung sey, das
schädliche Übermaß solcher Unterschiede zu beseitigen und
Allem was billig unter den Menschen gleich und frei ist
gerechte Geltung zu verschaffen. So konnte man der öffent-
lichen Dankbarkeit Nahrung geben, indem man den Fran-
zosen zu der Vergleichung der ehemaligen Generalstaaten
mit dem jetzigen Reichstage, der Steuerbefreiungen mit

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ſchlechter hervor, durch eine heute beſchloſſene Staatsver-
faſſung nicht für immer gebunden zu ſeyn. Das Volk wird
demnach durch außerordentlich berufene Abgeordnete von
Zeit zu Zeit die nöthigen Abänderungen beſchließen. Allein
um nur bei ſeinem Ausgangspuncte ſtehen zu bleiben, ſo
leidet dieſer an einem doppelten Gebrechen. Denn weder
ſind die Menſchen von Natur frei und gleich, noch iſt der
Staat als eine künſtliche Einrichtung zu begreifen, welcher
ein ſtaatloſer Naturſtand vorangegangen wäre. Jeder
Menſch erwächſt hülfsbedürftig und beherrſcht, und iſt er
erwachſen, ſo ſieht er ſich von Menſchen umgeben, ihm
ungleich an Geſtalt, Fähigkeiten, Stand, Vermögen.
Auch iſt durchaus kein Grund anzunehmen, das ſey je-
mals anders geweſen; der Staat iſt ſo alt als die Menſch-
heit. Ging man einmal darauf aus, das franzöſiſche Volk
auf eine belehrende Weiſe in die Wohlthaten ſeiner neuen
Verfaſſung vorredend einzuleiten, ſo mußte das auf dem
gerade entgegengeſetzten Wege geſchehen, indem man jene
Ungleichheiten anerkannte, als durch Gott und Natur und
die Macht der Geſchichte begründet, allein zu gleicher Zeit
darthat, das Ziel einer guten Staatsverfaſſung ſey, das
ſchädliche Übermaß ſolcher Unterſchiede zu beſeitigen und
Allem was billig unter den Menſchen gleich und frei iſt
gerechte Geltung zu verſchaffen. So konnte man der öffent-
lichen Dankbarkeit Nahrung geben, indem man den Fran-
zoſen zu der Vergleichung der ehemaligen Generalſtaaten
mit dem jetzigen Reichstage, der Steuerbefreiungen mit

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[243/0253] ſchlechter hervor, durch eine heute beſchloſſene Staatsver- faſſung nicht für immer gebunden zu ſeyn. Das Volk wird demnach durch außerordentlich berufene Abgeordnete von Zeit zu Zeit die nöthigen Abänderungen beſchließen. Allein um nur bei ſeinem Ausgangspuncte ſtehen zu bleiben, ſo leidet dieſer an einem doppelten Gebrechen. Denn weder ſind die Menſchen von Natur frei und gleich, noch iſt der Staat als eine künſtliche Einrichtung zu begreifen, welcher ein ſtaatloſer Naturſtand vorangegangen wäre. Jeder Menſch erwächſt hülfsbedürftig und beherrſcht, und iſt er erwachſen, ſo ſieht er ſich von Menſchen umgeben, ihm ungleich an Geſtalt, Fähigkeiten, Stand, Vermögen. Auch iſt durchaus kein Grund anzunehmen, das ſey je- mals anders geweſen; der Staat iſt ſo alt als die Menſch- heit. Ging man einmal darauf aus, das franzöſiſche Volk auf eine belehrende Weiſe in die Wohlthaten ſeiner neuen Verfaſſung vorredend einzuleiten, ſo mußte das auf dem gerade entgegengeſetzten Wege geſchehen, indem man jene Ungleichheiten anerkannte, als durch Gott und Natur und die Macht der Geſchichte begründet, allein zu gleicher Zeit darthat, das Ziel einer guten Staatsverfaſſung ſey, das ſchädliche Übermaß ſolcher Unterſchiede zu beſeitigen und Allem was billig unter den Menſchen gleich und frei iſt gerechte Geltung zu verſchaffen. So konnte man der öffent- lichen Dankbarkeit Nahrung geben, indem man den Fran- zoſen zu der Vergleichung der ehemaligen Generalſtaaten mit dem jetzigen Reichstage, der Steuerbefreiungen mit 16*

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/253>, abgerufen am 22.11.2024.