weder ein Geistlicher oder ein Adlicher zum Vorsitzenden gewählt war; man vergönnte den Prälaten und Edelleu- ten ihre Sitze beisammen einzunehmen und ließ sogar die besonderen Zusammenkünfte ungerügt, welche eine Anzahl entflammter Edelleute noch immer in ihrem Standessaale hielten; man begnügte sich auf die schriftlichen Instructio- nen weiter keine Rücksicht zu nehmen, ohne durch ihre An- nullirung einen Sturm zu erregen: sie hinderten niemand seine Meinung zu sagen, wer sich aber gebunden fühlte, enthielt sich, wie Lafayette und Andere thaten, der Ab- stimmung, man nahm mit Wohlgefallen eine Arbeit auf, welche Mirabeau in Bezug auf die Geschäftsordnung im englischen Unterhause abgefaßt hatte, und beschloß über keinen Antrag an demselben Tage zu berathschlagen, da er gemacht sey, jeden Punct der Constitution aber erst nach der Berathung von drei Tagen zur Abstimmung zu bringen. Aber von dieser Bahn der Mäßigung ward auf einmal wieder abgelenkt, und das alte Mistrauen kehrte zurück, als kein Zweifel mehr übrig blieb, die Regierung ziehe ein Heer zwischen Versailles und Paris zusammen. Freilich waren in beiden Städten unruhige Auftritte vor- gefallen; der versailler Pöbel hatte den Erzbischof vonJuni 25. Paris mit Steinwürfen verfolgt und ihm in sein Haus eindringend das Versprechen abgezwungen in die National- versammlung zu treten; ein Vorgang, der dem Ansehn der Regierung auch dadurch schadete, daß Truppenabthei- lungen zur Stelle waren und die Gewaltthat nicht hinder-
weder ein Geiſtlicher oder ein Adlicher zum Vorſitzenden gewählt war; man vergönnte den Prälaten und Edelleu- ten ihre Sitze beiſammen einzunehmen und ließ ſogar die beſonderen Zuſammenkünfte ungerügt, welche eine Anzahl entflammter Edelleute noch immer in ihrem Standesſaale hielten; man begnügte ſich auf die ſchriftlichen Inſtructio- nen weiter keine Rückſicht zu nehmen, ohne durch ihre An- nullirung einen Sturm zu erregen: ſie hinderten niemand ſeine Meinung zu ſagen, wer ſich aber gebunden fühlte, enthielt ſich, wie Lafayette und Andere thaten, der Ab- ſtimmung, man nahm mit Wohlgefallen eine Arbeit auf, welche Mirabeau in Bezug auf die Geſchäftsordnung im engliſchen Unterhauſe abgefaßt hatte, und beſchloß über keinen Antrag an demſelben Tage zu berathſchlagen, da er gemacht ſey, jeden Punct der Conſtitution aber erſt nach der Berathung von drei Tagen zur Abſtimmung zu bringen. Aber von dieſer Bahn der Mäßigung ward auf einmal wieder abgelenkt, und das alte Mistrauen kehrte zurück, als kein Zweifel mehr übrig blieb, die Regierung ziehe ein Heer zwiſchen Verſailles und Paris zuſammen. Freilich waren in beiden Städten unruhige Auftritte vor- gefallen; der verſailler Pöbel hatte den Erzbiſchof vonJuni 25. Paris mit Steinwürfen verfolgt und ihm in ſein Haus eindringend das Verſprechen abgezwungen in die National- verſammlung zu treten; ein Vorgang, der dem Anſehn der Regierung auch dadurch ſchadete, daß Truppenabthei- lungen zur Stelle waren und die Gewaltthat nicht hinder-
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weder ein Geiſtlicher oder ein Adlicher zum Vorſitzenden
gewählt war; man vergönnte den Prälaten und Edelleu-
ten ihre Sitze beiſammen einzunehmen und ließ ſogar die
beſonderen Zuſammenkünfte ungerügt, welche eine Anzahl
entflammter Edelleute noch immer in ihrem Standesſaale
hielten; man begnügte ſich auf die ſchriftlichen Inſtructio-
nen weiter keine Rückſicht zu nehmen, ohne durch ihre An-
nullirung einen Sturm zu erregen: ſie hinderten niemand
ſeine Meinung zu ſagen, wer ſich aber gebunden fühlte,
enthielt ſich, wie Lafayette und Andere thaten, der Ab-
ſtimmung, man nahm mit Wohlgefallen eine Arbeit auf,
welche Mirabeau in Bezug auf die Geſchäftsordnung im
engliſchen Unterhauſe abgefaßt hatte, und beſchloß über
keinen Antrag an demſelben Tage zu berathſchlagen, da
er gemacht ſey, jeden Punct der Conſtitution aber erſt
nach der Berathung von drei Tagen zur Abſtimmung zu
bringen. Aber von dieſer Bahn der Mäßigung ward auf
einmal wieder abgelenkt, und das alte Mistrauen kehrte
zurück, als kein Zweifel mehr übrig blieb, die Regierung
ziehe ein Heer zwiſchen Verſailles und Paris zuſammen.
Freilich waren in beiden Städten unruhige Auftritte vor-
gefallen; der verſailler Pöbel hatte den Erzbiſchof von
Paris mit Steinwürfen verfolgt und ihm in ſein Haus
eindringend das Verſprechen abgezwungen in die National-
verſammlung zu treten; ein Vorgang, der dem Anſehn
der Regierung auch dadurch ſchadete, daß Truppenabthei-
lungen zur Stelle waren und die Gewaltthat nicht hinder-
Juni 25.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/229>, abgerufen am 24.11.2024.
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