Zimmer seines Standes zu begeben, um die Sitzungen wieder aufzunehmen. Ich befehle demgemäß dem Ober- ceremonienmeister die Säle in Stand setzen zu lassen."
Der König entfernte sich und der Adel und ein Theil des Klerus verließ den Saal. Die Übrigen blieben unbe- weglich sitzen. Nicht lange so trat der Oberceremonien- meister, der den König begleitet hatte, wieder ein. Dieser Marquis de Breze, ein sehr junger Mann, war alt im Studium aller Förmlichkeiten, eine peinliche Natur, ganz der Mann seines Amtes. Er hätte nicht ein Tüttelchen von dem Herkommen früherer Jahrhunderte fahren lassen mögen. Ihm verdankte der dritte Stand seine fatale Ju- ristentracht, und ginge es nach ihm, so hätten seine Depu- tationen nur knieend wie vor Alters zum Könige reden dür- fen. In den letzten schweren Wochen war der Dauphin, ein Knabe von sieben Jahren gestorben; als eine ständi-+ Juni 4. sche Deputation bei dem Begängniß erschien, meldete de Breze dieses der Leiche mit den Worten an: "Gnädigster Herr, die Deputirten der Etats-generaur!" Noch heute hatte er die Abgeordneten des dritten Standes ohne Barm- herzigkeit dem Platzregen preisgegeben, sie durften ihm nicht in den Saal, bis er den beiden ersten Ständen ihre Ehrenplätze angewiesen hatte. Jetzt wieder eintretend fragte de Breze: "Sie haben, meine Herren, die Be- fehle des Königs vernommen?" Als der Präsident aus- weichend antwortete, man habe sich vertagt nach dem Schlusse der königlichen Sitzung, zur Aufhebung der Ver-
Zimmer ſeines Standes zu begeben, um die Sitzungen wieder aufzunehmen. Ich befehle demgemäß dem Ober- ceremonienmeiſter die Säle in Stand ſetzen zu laſſen.“
Der König entfernte ſich und der Adel und ein Theil des Klerus verließ den Saal. Die Übrigen blieben unbe- weglich ſitzen. Nicht lange ſo trat der Oberceremonien- meiſter, der den König begleitet hatte, wieder ein. Dieſer Marquis de Brézé, ein ſehr junger Mann, war alt im Studium aller Förmlichkeiten, eine peinliche Natur, ganz der Mann ſeines Amtes. Er hätte nicht ein Tüttelchen von dem Herkommen früherer Jahrhunderte fahren laſſen mögen. Ihm verdankte der dritte Stand ſeine fatale Ju- riſtentracht, und ginge es nach ihm, ſo hätten ſeine Depu- tationen nur knieend wie vor Alters zum Könige reden dür- fen. In den letzten ſchweren Wochen war der Dauphin, ein Knabe von ſieben Jahren geſtorben; als eine ſtändi-† Juni 4. ſche Deputation bei dem Begängniß erſchien, meldete de Brézé dieſes der Leiche mit den Worten an: „Gnädigſter Herr, die Deputirten der Etats-généraur!“ Noch heute hatte er die Abgeordneten des dritten Standes ohne Barm- herzigkeit dem Platzregen preisgegeben, ſie durften ihm nicht in den Saal, bis er den beiden erſten Ständen ihre Ehrenplätze angewieſen hatte. Jetzt wieder eintretend fragte de Brézé: „Sie haben, meine Herren, die Be- fehle des Königs vernommen?“ Als der Präſident aus- weichend antwortete, man habe ſich vertagt nach dem Schluſſe der königlichen Sitzung, zur Aufhebung der Ver-
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Zimmer ſeines Standes zu begeben, um die Sitzungen
wieder aufzunehmen. Ich befehle demgemäß dem Ober-
ceremonienmeiſter die Säle in Stand ſetzen zu laſſen.“
Der König entfernte ſich und der Adel und ein Theil
des Klerus verließ den Saal. Die Übrigen blieben unbe-
weglich ſitzen. Nicht lange ſo trat der Oberceremonien-
meiſter, der den König begleitet hatte, wieder ein. Dieſer
Marquis de Brézé, ein ſehr junger Mann, war alt im
Studium aller Förmlichkeiten, eine peinliche Natur, ganz
der Mann ſeines Amtes. Er hätte nicht ein Tüttelchen
von dem Herkommen früherer Jahrhunderte fahren laſſen
mögen. Ihm verdankte der dritte Stand ſeine fatale Ju-
riſtentracht, und ginge es nach ihm, ſo hätten ſeine Depu-
tationen nur knieend wie vor Alters zum Könige reden dür-
fen. In den letzten ſchweren Wochen war der Dauphin,
ein Knabe von ſieben Jahren geſtorben; als eine ſtändi-
ſche Deputation bei dem Begängniß erſchien, meldete de
Brézé dieſes der Leiche mit den Worten an: „Gnädigſter
Herr, die Deputirten der Etats-généraur!“ Noch heute
hatte er die Abgeordneten des dritten Standes ohne Barm-
herzigkeit dem Platzregen preisgegeben, ſie durften ihm
nicht in den Saal, bis er den beiden erſten Ständen ihre
Ehrenplätze angewieſen hatte. Jetzt wieder eintretend
fragte de Brézé: „Sie haben, meine Herren, die Be-
fehle des Königs vernommen?“ Als der Präſident aus-
weichend antwortete, man habe ſich vertagt nach dem
Schluſſe der königlichen Sitzung, zur Aufhebung der Ver-
† Juni 4.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/223>, abgerufen am 24.11.2024.
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