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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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angefochtenen Rechnungen gegen Calonne vertheidigte.
Sie traf diesen nicht mehr im Amte, gleichwohl ward sie
höchsten Orts übel empfunden, der Überlästige, der so
ganz und gar nicht begreifen wollte daß die Wahrheit in
Frankreich zu den Regierungsrechten gehöre, mußte sich
auf zwanzig Stunden von Paris entfernen. Da das so
eben erst verfügt war, brauchte Breteuil bloß hinzuwerfen,
wie viel man sich durch einen Widerruf vergeben würde,
welcher geradehin das Geständniß der Unentbehrlichkeit
dieses Plebejers enthalte. Nachdem er sich dadurch Bahn
gebrochen, rückte er mit seinem Candidaten hervor, wel-
chen ihm die Königin aus Herz gelegt hatte. Es war
Brienne, der Erzbischof von Toulouse. "Der Mann
glaubt nicht an Gott!" rief der König aus. Dagegen
ward eingewandt, der Prälat habe große Studien ge-
macht, sey mit Turgot, dessen Autorität Alles galt seit
er nicht mehr im Wege stand, verbunden gewesen, im
Eifer gegen die Protestanten komme ihm niemand gleich
und er habe bei den Notabeln stets die zarte Linie des
Schicklichen eingehalten. Wirklich hatte der Erzbischof
mehr den geheimen Schürer gemacht, um sich den Weg
zur Größe nicht zu versperren. Und er erreichte sein Ziel,
trat in den Mai als Chef des Finanzrathes, so daß der
neue Controleur Laurent de Villedeuil unter ihm stand.
Sein Erstes war den Notabeln jene lang ersehnten Finanz-
rechnungen vorzulegen. Diese machten Übel ärger; man
war nicht klüger über den Umfang des Deficit gewor-

angefochtenen Rechnungen gegen Calonne vertheidigte.
Sie traf dieſen nicht mehr im Amte, gleichwohl ward ſie
höchſten Orts übel empfunden, der Überläſtige, der ſo
ganz und gar nicht begreifen wollte daß die Wahrheit in
Frankreich zu den Regierungsrechten gehöre, mußte ſich
auf zwanzig Stunden von Paris entfernen. Da das ſo
eben erſt verfügt war, brauchte Breteuil bloß hinzuwerfen,
wie viel man ſich durch einen Widerruf vergeben würde,
welcher geradehin das Geſtändniß der Unentbehrlichkeit
dieſes Plebejers enthalte. Nachdem er ſich dadurch Bahn
gebrochen, rückte er mit ſeinem Candidaten hervor, wel-
chen ihm die Königin aus Herz gelegt hatte. Es war
Brienne, der Erzbiſchof von Toulouſe. „Der Mann
glaubt nicht an Gott!“ rief der König aus. Dagegen
ward eingewandt, der Prälat habe große Studien ge-
macht, ſey mit Turgot, deſſen Autorität Alles galt ſeit
er nicht mehr im Wege ſtand, verbunden geweſen, im
Eifer gegen die Proteſtanten komme ihm niemand gleich
und er habe bei den Notabeln ſtets die zarte Linie des
Schicklichen eingehalten. Wirklich hatte der Erzbiſchof
mehr den geheimen Schürer gemacht, um ſich den Weg
zur Größe nicht zu verſperren. Und er erreichte ſein Ziel,
trat in den Mai als Chef des Finanzrathes, ſo daß der
neue Controleur Laurent de Villedeuil unter ihm ſtand.
Sein Erſtes war den Notabeln jene lang erſehnten Finanz-
rechnungen vorzulegen. Dieſe machten Übel ärger; man
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[114/0124] angefochtenen Rechnungen gegen Calonne vertheidigte. Sie traf dieſen nicht mehr im Amte, gleichwohl ward ſie höchſten Orts übel empfunden, der Überläſtige, der ſo ganz und gar nicht begreifen wollte daß die Wahrheit in Frankreich zu den Regierungsrechten gehöre, mußte ſich auf zwanzig Stunden von Paris entfernen. Da das ſo eben erſt verfügt war, brauchte Breteuil bloß hinzuwerfen, wie viel man ſich durch einen Widerruf vergeben würde, welcher geradehin das Geſtändniß der Unentbehrlichkeit dieſes Plebejers enthalte. Nachdem er ſich dadurch Bahn gebrochen, rückte er mit ſeinem Candidaten hervor, wel- chen ihm die Königin aus Herz gelegt hatte. Es war Brienne, der Erzbiſchof von Toulouſe. „Der Mann glaubt nicht an Gott!“ rief der König aus. Dagegen ward eingewandt, der Prälat habe große Studien ge- macht, ſey mit Turgot, deſſen Autorität Alles galt ſeit er nicht mehr im Wege ſtand, verbunden geweſen, im Eifer gegen die Proteſtanten komme ihm niemand gleich und er habe bei den Notabeln ſtets die zarte Linie des Schicklichen eingehalten. Wirklich hatte der Erzbiſchof mehr den geheimen Schürer gemacht, um ſich den Weg zur Größe nicht zu verſperren. Und er erreichte ſein Ziel, trat in den Mai als Chef des Finanzrathes, ſo daß der neue Controleur Laurent de Villedeuil unter ihm ſtand. Sein Erſtes war den Notabeln jene lang erſehnten Finanz- rechnungen vorzulegen. Dieſe machten Übel ärger; man war nicht klüger über den Umfang des Deficit gewor-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/124>, abgerufen am 23.11.2024.