Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

den Kopf über die maßlose Prachtliebe eines Ministers,
dessen Schulden er so eben erst bezahlt hatte: er verzieh so
einleuchtenden Verdiensten diese Eigenheit und machte
sie durch strenge Sparsamkeit von seiner Seite gewisser-
maßen wieder gut. Calonne schloß große Anleihen mit
Leichtigkeit; man legte sein Geld gern bei ihm an, weil er
ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief
mit Entzücken aus: "Ich wußte wohl daß Calonne den
Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt
daß es so schnell geschähe."

Während nun Calonne in der Hauptstadt rettete, in-
dem er eine Anleihe der andern unter verführerischen Be-
dingungen folgen ließ, schrieb man aus den Provinzen
daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit so er-
drückender Strenge geübt sey. Überall aber gestand man
sich, aus Frankreich sey nun doch nicht Amerika geworden,
der kurze Rausch war verflogen und machte in den mittleren
und unteren Lagen der Gesellschaft einer giftigen Erbitterung
Platz. Gegen den König? Dieser bot nur immer eine und
dieselbe Seite des übel berathenen guten schwachen Willens
dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie
hatte ihren ehrenfesten, manchmal mürrisch aufbrausenden
Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der
ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die
treue Gattin hat ihm vor Kurzem sein drittes Kind, den
zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen1785.
ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettischen

den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters,
deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo
einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte
ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer-
maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit
Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er
ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief
mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den
Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt
daß es ſo ſchnell geſchähe.“

Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in-
dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be-
dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen
daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er-
drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man
ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden,
der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren
und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung
Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und
dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens
dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie
hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden
Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der
ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die
treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den
zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen1785.
ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="95"/>
den Kopf über die maßlo&#x017F;e Prachtliebe eines Mini&#x017F;ters,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Schulden er &#x017F;o eben er&#x017F;t bezahlt hatte: er verzieh &#x017F;o<lb/>
einleuchtenden Verdien&#x017F;ten die&#x017F;e Eigenheit und machte<lb/>
&#x017F;ie durch &#x017F;trenge Spar&#x017F;amkeit von &#x017F;einer Seite gewi&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
maßen wieder gut. Calonne &#x017F;chloß große Anleihen mit<lb/>
Leichtigkeit; man legte &#x017F;ein Geld gern bei ihm an, weil er<lb/>
ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief<lb/>
mit Entzücken aus: &#x201E;Ich wußte wohl daß Calonne den<lb/>
Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt<lb/>
daß es &#x017F;o &#x017F;chnell ge&#x017F;chähe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Während nun Calonne in der Haupt&#x017F;tadt rettete, in-<lb/>
dem er eine Anleihe der andern unter verführeri&#x017F;chen Be-<lb/>
dingungen folgen ließ, &#x017F;chrieb man aus den Provinzen<lb/>
daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit &#x017F;o er-<lb/>
drückender Strenge geübt &#x017F;ey. Überall aber ge&#x017F;tand man<lb/>
&#x017F;ich, aus Frankreich &#x017F;ey nun doch nicht Amerika geworden,<lb/>
der kurze Rau&#x017F;ch war verflogen und machte in den mittleren<lb/>
und unteren Lagen der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft einer giftigen Erbitterung<lb/>
Platz. Gegen den König? Die&#x017F;er bot nur immer eine und<lb/>
die&#x017F;elbe Seite des übel berathenen guten &#x017F;chwachen Willens<lb/>
dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie<lb/>
hatte ihren ehrenfe&#x017F;ten, manchmal mürri&#x017F;ch aufbrau&#x017F;enden<lb/>
Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der<lb/>
ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die<lb/>
treue Gattin hat ihm vor Kurzem &#x017F;ein drittes Kind, den<lb/>
zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen<note place="right">1785.</note><lb/>
ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayetti&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0105] den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters, deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer- maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief mit Entzücken aus: „Ich wußte wohl daß Calonne den Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt daß es ſo ſchnell geſchähe.“ Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in- dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be- dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er- drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden, der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen 1785.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/105
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/105>, abgerufen am 27.11.2024.