bildung kommen wir selten über den Zufall hinaus. Wir wer- den allerdings vielfach uns damit begnügen müssen. Wir sehen die Grenzen unsers sichern Wissens leider nur allzu häufig und haben wahrlich wenig Grund, so lange es so steht, uns unsrer Erkenntniss zu rühmen. Sehr oft hat man daher gegen Aufstellungen dieser Art das Bedenken erhoben, in einem durchaus entsprechenden Falle habe die Sprache keinen Trieb zur Association gefühlt, es sei daher auch in diesem bestimmten die Behauptung wenig glaublich. Aber wenn man alle solche Fälle der Analogieerklärung ausschliessen wollte, bliebe nicht viel übrig. Die Neigung zur Analogiebildung ist und bleibt eine sporadische und launenhafte und unterscheidet sich darum von der sporadischen Lautbewegung in Bezug auf Sicherheit um kein Haar.
Es mag hier genügen, einige wenige Aussprüche nam- hafter Gelehrter hervorzuheben. Ritschi (op. II, 542) äussert sich folgendermassen: "Durch nur scheinbare Aehnlichkeit ist mehr als eine unorganische Missbildung in der Sprache her- vorgerufen worden. Man wird sich zur Annahme solcher Miss- verständnisse nicht eher zu entschliessen haben, als die Mittel einer rationellen Auffassung erschöpft sind". Dem steht frei- lich scharf gegenüber, was Leskien "Die Declination im Sla- visch-Litauischen" S. 39 geltend macht: "Ich halte es, wenn man sich vor falschen Constructionen bewahren will, für noth- wendig, die letztere Seite (die Frage nach Uebertragung und Analogiebildung) immer zuerst hervorzuheben und dann erst nach den Grundformen zu suchen". Damit stimmt Brug- mann, Studien IX, 317, überein, während er Morph. Unters. I S. XVII vorsichtiger sich so ausspricht: "Unser nach bestem Willen streng eingehaltnes Princip ist es, erst dann zur Ana- logie zu greifen, wenn uns die Lautgesetze dazu zwingen. Auch für uns ist die Formenassociation noch ein ultimum re- fugium". Scherer, welcher, wie wir sahen, mit Vorliebe von dem Princip der "Formübertragung" Gebrauch macht, äussert
bildung kommen wir selten über den Zufall hinaus. Wir wer- den allerdings vielfach uns damit begnügen müssen. Wir sehen die Grenzen unsers sichern Wissens leider nur allzu häufig und haben wahrlich wenig Grund, so lange es so steht, uns unsrer Erkenntniss zu rühmen. Sehr oft hat man daher gegen Aufstellungen dieser Art das Bedenken erhoben, in einem durchaus entsprechenden Falle habe die Sprache keinen Trieb zur Association gefühlt, es sei daher auch in diesem bestimmten die Behauptung wenig glaublich. Aber wenn man alle solche Fälle der Analogieerklärung ausschliessen wollte, bliebe nicht viel übrig. Die Neigung zur Analogiebildung ist und bleibt eine sporadische und launenhafte und unterscheidet sich darum von der sporadischen Lautbewegung in Bezug auf Sicherheit um kein Haar.
Es mag hier genügen, einige wenige Aussprüche nam- hafter Gelehrter hervorzuheben. Ritschi (op. II, 542) äussert sich folgendermassen: „Durch nur scheinbare Aehnlichkeit ist mehr als eine unorganische Missbildung in der Sprache her- vorgerufen worden. Man wird sich zur Annahme solcher Miss- verständnisse nicht eher zu entschliessen haben, als die Mittel einer rationellen Auffassung erschöpft sind“. Dem steht frei- lich scharf gegenüber, was Leskien „Die Declination im Sla- visch-Litauischen“ S. 39 geltend macht: „Ich halte es, wenn man sich vor falschen Constructionen bewahren will, für noth- wendig, die letztere Seite (die Frage nach Uebertragung und Analogiebildung) immer zuerst hervorzuheben und dann erst nach den Grundformen zu suchen“. Damit stimmt Brug- mann, Studien IX, 317, überein, während er Morph. Unters. I S. XVII vorsichtiger sich so ausspricht: „Unser nach bestem Willen streng eingehaltnes Princip ist es, erst dann zur Ana- logie zu greifen, wenn uns die Lautgesetze dazu zwingen. Auch für uns ist die Formenassociation noch ein ultimum re- fugium“. Scherer, welcher, wie wir sahen, mit Vorliebe von dem Princip der „Formübertragung“ Gebrauch macht, äussert
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bildung kommen wir selten über den Zufall hinaus. Wir wer-
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häufig und haben wahrlich wenig Grund, so lange es so steht,
uns unsrer Erkenntniss zu rühmen. Sehr oft hat man daher
gegen Aufstellungen dieser Art das Bedenken erhoben, in
einem durchaus entsprechenden Falle habe die Sprache keinen
Trieb zur Association gefühlt, es sei daher auch in diesem
bestimmten die Behauptung wenig glaublich. Aber wenn man
alle solche Fälle der Analogieerklärung ausschliessen wollte,
bliebe nicht viel übrig. Die Neigung zur Analogiebildung ist
und bleibt eine sporadische und launenhafte und unterscheidet
sich darum von der sporadischen Lautbewegung in Bezug auf
Sicherheit um kein Haar.
Es mag hier genügen, einige wenige Aussprüche nam-
hafter Gelehrter hervorzuheben. Ritschi (op. II, 542) äussert
sich folgendermassen: „Durch nur scheinbare Aehnlichkeit ist
mehr als eine unorganische Missbildung in der Sprache her-
vorgerufen worden. Man wird sich zur Annahme solcher Miss-
verständnisse nicht eher zu entschliessen haben, als die Mittel
einer rationellen Auffassung erschöpft sind“. Dem steht frei-
lich scharf gegenüber, was Leskien „Die Declination im Sla-
visch-Litauischen“ S. 39 geltend macht: „Ich halte es, wenn
man sich vor falschen Constructionen bewahren will, für noth-
wendig, die letztere Seite (die Frage nach Uebertragung und
Analogiebildung) immer zuerst hervorzuheben und dann erst
nach den Grundformen zu suchen“. Damit stimmt Brug-
mann, Studien IX, 317, überein, während er Morph. Unters. I
S. XVII vorsichtiger sich so ausspricht: „Unser nach bestem
Willen streng eingehaltnes Princip ist es, erst dann zur Ana-
logie zu greifen, wenn uns die Lautgesetze dazu zwingen.
Auch für uns ist die Formenassociation noch ein ultimum re-
fugium“. Scherer, welcher, wie wir sahen, mit Vorliebe von
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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/49>, abgerufen am 16.02.2025.
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