Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.Sprachleben, gerade ausschliesslich nach der lautlichen Seite Ich selbst habe diese Fragen in der 5. Aufl. meiner Grund- *) In der zweiten Auflage der Einleitung ist diese Anm. fortgelassen.
Beibehalten aber ist S. 130 das offene Geständniss: "Es ist zuzugeben, dass völlige Gleichmässigkeit des Lautwandels sich nirgend in der Welt der gegebenen Thatsachen findet". Dennoch habe ich die Bemerkungen gegen die Worte der 1. Aufl., da sie einmal geschrieben waren, nicht fortgelassen, weil sie vielleicht der Sache zu gute kommen können. Sprachleben, gerade ausschliesslich nach der lautlichen Seite Ich selbst habe diese Fragen in der 5. Aufl. meiner Grund- *) In der zweiten Auflage der Einleitung ist diese Anm. fortgelassen.
Beibehalten aber ist S. 130 das offene Geständniss: „Es ist zuzugeben, dass völlige Gleichmässigkeit des Lautwandels sich nirgend in der Welt der gegebenen Thatsachen findet“. Dennoch habe ich die Bemerkungen gegen die Worte der 1. Aufl., da sie einmal geschrieben waren, nicht fortgelassen, weil sie vielleicht der Sache zu gute kommen können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="15"/> Sprachleben, gerade ausschliesslich nach der lautlichen Seite<lb/> hin, eine unübersteigliche Schranke ziehen? Die nothwendige<lb/> Unterscheidung der in Bezug auf die Laute dem Naturleben<lb/> viel näher stehenden Sprache braucht desshalb nicht über-<lb/> sehen zu werden.</p><lb/> <p>Ich selbst habe diese Fragen in der 5. Aufl. meiner Grund-<lb/> züge S. 425 ff. erörtert. Neben allgemeineren Bemerkungen,<lb/> die hier nicht wiederholt werden sollen, habe ich namentlich<lb/> eine grössere Reihe von anerkannten Thatsachen, vorzugs-<lb/> weise aus dem Griechischen, aber auch aus andern Sprachen,<lb/> vorgeführt, bei denen jenes Axiom von der unbedingten Con-<lb/> stanz der Lautbewegung schwer durchführbar ist. Delbrück<lb/> antwortet darauf S. 115 Anm. <note place="foot" n="*)">In der zweiten Auflage der Einleitung ist diese Anm. fortgelassen.<lb/> Beibehalten aber ist S. 130 das offene Geständniss: „Es ist zuzugeben,<lb/> dass völlige Gleichmässigkeit des Lautwandels sich <hi rendition="#g">nirgend in der<lb/> Welt der gegebenen Thatsachen findet</hi>“. Dennoch habe ich die<lb/> Bemerkungen gegen die Worte der 1. Aufl., da sie einmal geschrieben<lb/> waren, nicht fortgelassen, weil sie vielleicht der Sache zu gute kommen<lb/> können.</note>, indem er auf dreierlei Weise<lb/> wenigstens einen kleinen Theil der von mir hervorgehobenen<lb/> Fälle erklären zu können glaubt, ohne dass jenes Axiom da-<lb/> durch beeinträchtigt wird. Man müsse nämlich, sagt er,<lb/> erstens untersuchen, ob Entlehnung vorliege. „Das wird z.B.<lb/> der Fall sein bei <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">κίδναται</foreign></hi> neben <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">σκίδναται</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">τέγος</foreign></hi> neben<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">στέγος</foreign></hi>.“ In der That dürfte es aber sehr schwer sein, die<lb/> Verschiedenheit der Laute hier aus ursprünglicher Dialekt-<lb/> verschiedenheit zu erklären. Bei Homer stehen Formen wie<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">διασκιδνᾶσι</foreign> Ε</hi> 526, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">σκίδναται</foreign> Λ</hi> 308 neben <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">κίδναται</foreign> θ</hi> 1. Man<lb/> könnte hier also nur an Vermischung äolischer und ionischer<lb/> Formen denken. Aber bei Sappho 27 Be.4 lesen wir <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">σκιδνα-<lb/> μένας</foreign></hi>, folglich kann die kürzere Form, falls man nicht<lb/> Schreibfehler annehmen will, nicht auf Aeolismus beruhen;<lb/> ebensowenig aber die vollere. Denn bei Thuk. VI, 98 lesen<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0023]
Sprachleben, gerade ausschliesslich nach der lautlichen Seite
hin, eine unübersteigliche Schranke ziehen? Die nothwendige
Unterscheidung der in Bezug auf die Laute dem Naturleben
viel näher stehenden Sprache braucht desshalb nicht über-
sehen zu werden.
Ich selbst habe diese Fragen in der 5. Aufl. meiner Grund-
züge S. 425 ff. erörtert. Neben allgemeineren Bemerkungen,
die hier nicht wiederholt werden sollen, habe ich namentlich
eine grössere Reihe von anerkannten Thatsachen, vorzugs-
weise aus dem Griechischen, aber auch aus andern Sprachen,
vorgeführt, bei denen jenes Axiom von der unbedingten Con-
stanz der Lautbewegung schwer durchführbar ist. Delbrück
antwortet darauf S. 115 Anm. *), indem er auf dreierlei Weise
wenigstens einen kleinen Theil der von mir hervorgehobenen
Fälle erklären zu können glaubt, ohne dass jenes Axiom da-
durch beeinträchtigt wird. Man müsse nämlich, sagt er,
erstens untersuchen, ob Entlehnung vorliege. „Das wird z.B.
der Fall sein bei κίδναται neben σκίδναται und τέγος neben
στέγος.“ In der That dürfte es aber sehr schwer sein, die
Verschiedenheit der Laute hier aus ursprünglicher Dialekt-
verschiedenheit zu erklären. Bei Homer stehen Formen wie
διασκιδνᾶσι Ε 526, σκίδναται Λ 308 neben κίδναται θ 1. Man
könnte hier also nur an Vermischung äolischer und ionischer
Formen denken. Aber bei Sappho 27 Be.4 lesen wir σκιδνα-
μένας, folglich kann die kürzere Form, falls man nicht
Schreibfehler annehmen will, nicht auf Aeolismus beruhen;
ebensowenig aber die vollere. Denn bei Thuk. VI, 98 lesen
*) In der zweiten Auflage der Einleitung ist diese Anm. fortgelassen.
Beibehalten aber ist S. 130 das offene Geständniss: „Es ist zuzugeben,
dass völlige Gleichmässigkeit des Lautwandels sich nirgend in der
Welt der gegebenen Thatsachen findet“. Dennoch habe ich die
Bemerkungen gegen die Worte der 1. Aufl., da sie einmal geschrieben
waren, nicht fortgelassen, weil sie vielleicht der Sache zu gute kommen
können.
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