Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.verbieller Bedeutung sich festgesetzt haben müssten. In der Viel bedenklicher aber als die Casusform ist die Bil- Noch mehr hinkt die Vergleichung mit dem deutschen verbieller Bedeutung sich festgesetzt haben müssten. In der Viel bedenklicher aber als die Casusform ist die Bil- Noch mehr hinkt die Vergleichung mit dem deutschen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="142"/> verbieller Bedeutung sich festgesetzt haben müssten. In der<lb/> 2. Auflage S. 98 neigt er sich der neueren Deutung Thurn-<lb/> eysen's zu, auf die wir zurückkommen.</p><lb/> <p>Viel bedenklicher aber als die Casusform ist die <hi rendition="#g">Bil-<lb/> dung</hi> dieser angeblichen Verbaladjectiva. Zwar, in Verben<lb/> der unthematischen Conjugation stimmt das Verbaladjectiv zum<lb/> Theil zu den Imperativformen. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἰτός</foreign></hi> steht — von der Be-<lb/> tonung abgesehen — dem <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἴτω</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">θετός</foreign></hi> dem <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">θέτω</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">φατός</foreign></hi> dem<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">φάτω</foreign></hi> nahe. Ueberall dagegen, wo der Präsensstamm sich<lb/> vom Verbalstamm unterscheidet, gehen die beiden Formen<lb/> ganz auseinander: <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">λεκτός</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">λεγέτω</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">δεικτός</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">δεικνύτω</foreign></hi>.<lb/> Ebenso erweist sich sanskr. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">g̍īvatāt</foreign></hi> = lat. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">vivito</foreign></hi> durch den<lb/> Vocal der zweiten Silbe als der Präsensgruppe angehörig, mit<lb/> welcher das Verbaladjectiv gar nichts zu thun hat. Wer den-<lb/> noch diese beiden zusammenbringen wollte, müsste die Im-<lb/> perative schon als Analogiebildungen nach einigen wenigen<lb/> kürzeren Formen auffassen, was schwer zu erhärten sein<lb/> würde. Bisher hat man auf diesen Unterschied gar nicht ge-<lb/> achtet.</p><lb/> <p>Noch mehr hinkt die Vergleichung mit dem deutschen<lb/> „<hi rendition="#i">aufgepasst!</hi>“ Dergleichen Imperativische Ausrufe sind, denke<lb/> ich, Passivparticipien in der Form des Ausrufes. Sie kommen<lb/> übrigens, wie Kenner der deutschen Sprachgeschichte ver-<lb/> sichern, erst im Zeitalter der Reformation vor, setzen also die<lb/> Verwendung dieser Participien in ausschliesslich passivischer<lb/> Bedeutung als etwas unbedingt feststehendes voraus. Kein<lb/> „<hi rendition="#i">aufgepasst!</hi>“ ohne ein „<hi rendition="#i">es wird aufgepasst</hi>“, „<hi rendition="#i">es werde auf-<lb/> gepasst</hi>“, „<hi rendition="#i">es ist aufgepasst worden</hi>“, „<hi rendition="#i">er hat aufgepasst</hi>“, etwa<lb/> wie lateinisch <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">rectē</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">tacitē</foreign></hi> ein <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">rectus</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">tacitus</foreign></hi> in bestimmt aus-<lb/> geprägter Bedeutung voraussetzt. Aber welches Recht haben<lb/> wir, für sanskr. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">g̍īvatāt</foreign></hi> und lat. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">vivitā</foreign></hi> ein Verbaladjectiv *<hi rendition="#i">giva-<lb/> tas</hi>, *<hi rendition="#i">vivitus</hi> in der Bedeutung „gelebt“ vorauszusetzen, wie<lb/> wir es nach jener Erklärung thun müssten? <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">venito</foreign></hi> hiesse<lb/> nach eben dieser Erklärung „<hi rendition="#i">gekommen!</hi>“ im Sinne von „<hi rendition="#i">es<lb/><lb/> </hi></p> </div> </body> </text> </TEI> [142/0150]
verbieller Bedeutung sich festgesetzt haben müssten. In der
2. Auflage S. 98 neigt er sich der neueren Deutung Thurn-
eysen's zu, auf die wir zurückkommen.
Viel bedenklicher aber als die Casusform ist die Bil-
dung dieser angeblichen Verbaladjectiva. Zwar, in Verben
der unthematischen Conjugation stimmt das Verbaladjectiv zum
Theil zu den Imperativformen. ἰτός steht — von der Be-
tonung abgesehen — dem ἴτω, θετός dem θέτω, φατός dem
φάτω nahe. Ueberall dagegen, wo der Präsensstamm sich
vom Verbalstamm unterscheidet, gehen die beiden Formen
ganz auseinander: λεκτός und λεγέτω, δεικτός und δεικνύτω.
Ebenso erweist sich sanskr. g̍īvatāt = lat. vivito durch den
Vocal der zweiten Silbe als der Präsensgruppe angehörig, mit
welcher das Verbaladjectiv gar nichts zu thun hat. Wer den-
noch diese beiden zusammenbringen wollte, müsste die Im-
perative schon als Analogiebildungen nach einigen wenigen
kürzeren Formen auffassen, was schwer zu erhärten sein
würde. Bisher hat man auf diesen Unterschied gar nicht ge-
achtet.
Noch mehr hinkt die Vergleichung mit dem deutschen
„aufgepasst!“ Dergleichen Imperativische Ausrufe sind, denke
ich, Passivparticipien in der Form des Ausrufes. Sie kommen
übrigens, wie Kenner der deutschen Sprachgeschichte ver-
sichern, erst im Zeitalter der Reformation vor, setzen also die
Verwendung dieser Participien in ausschliesslich passivischer
Bedeutung als etwas unbedingt feststehendes voraus. Kein
„aufgepasst!“ ohne ein „es wird aufgepasst“, „es werde auf-
gepasst“, „es ist aufgepasst worden“, „er hat aufgepasst“, etwa
wie lateinisch rectē, tacitē ein rectus, tacitus in bestimmt aus-
geprägter Bedeutung voraussetzt. Aber welches Recht haben
wir, für sanskr. g̍īvatāt und lat. vivitā ein Verbaladjectiv *giva-
tas, *vivitus in der Bedeutung „gelebt“ vorauszusetzen, wie
wir es nach jener Erklärung thun müssten? venito hiesse
nach eben dieser Erklärung „gekommen!“ im Sinne von „es
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