aufgestellt, daß der semitische Stamm der Philistäer die grie¬ chische Halbinsel bevölkert und ihre Geschichte begründet habe.
Unbefangene Forschung führt uns indessen zu anderen Er¬ gebnissen. Wir sehen das griechische Land von einem uns ver¬ wandten Zweige der arischen Völkerfamilie, den Pelasgern, bewohnt, die seit uranfänglicher Völkerwanderung dort ange¬ siedelt waren. Während in Aegypten und Asien mächtige Reiche, mit allen Erfindungen des Kriegs und Friedens aus¬ gestattet, blühten, lebten sie im Dunkel autochthonischer Zustände und opferten, zu den ragenden Gipfeln ihrer Waldgebirge emporsteigend, auf einfachen Erd- und Aschenaltären dem höchsten der Götter. An ihren Küsten landeten, um Purpur¬ muscheln, Kupfer, Bauholz und Sklaven zu gewinnen, die fremden Seefahrer und neugierig eilten die Kinder des Landes hinab, um die am Strande ausgestellten Wunderdinge orienta¬ lischer Industrie, phönizisches Glas und Thongeschirr, assyrische Teppiche und vielerlei bunten Schmuck einzutauschen. Damals waren sie die Barbaren, und da sie Alles zu lernen hatten, was seit Jahrtausenden schon in den gesegneten Niederungen des Nil und Euphrat sich die Menschheit erworben hatte, so nah¬ men sie begierig das Dargebotene an. Von den auf Küsten¬ inseln und Vorgebirgen angesiedelten Phöniziern lernten sie Alles, was dem Menschen die Herrschaft über die Natur ver¬ leiht: sie lernten messen und rechnen, sie lernten Stein, Holz und Metall bearbeiten, sie lernten des Gebirgs Schätze an das Licht fördern, Dämme ziehen und Sümpfe trocknen, sie lernten Schiffe bauen und begannen ängstlich die von sidoni¬ schen Schiffern eröffneten Seebahnen nachzufahren.
Bei diesen Zuständen sollte es nicht bleiben. Es lösten sich aus den Völkermassen der nördlichen Landschaften einzelne, durch edle Begabung und Unternehmungsgeist hervorragende Kriegerstämme und drangen gegen Süden vor, die pelasgischen Völker zu unterwerfen. Mit dieser Unterwerfung beginnt die Geschichte Griechenlands. Nachdem seine Bewohner von den Fremden so viel erlernt hatten, als zur Begründung eigener Cultur nöthig war, beginnt der abstoßende Gegensatz gegen
Die Kunſt der Hellenen.
aufgeſtellt, daß der ſemitiſche Stamm der Philiſtäer die grie¬ chiſche Halbinſel bevölkert und ihre Geſchichte begründet habe.
Unbefangene Forſchung führt uns indeſſen zu anderen Er¬ gebniſſen. Wir ſehen das griechiſche Land von einem uns ver¬ wandten Zweige der ariſchen Völkerfamilie, den Pelasgern, bewohnt, die ſeit uranfänglicher Völkerwanderung dort ange¬ ſiedelt waren. Während in Aegypten und Aſien mächtige Reiche, mit allen Erfindungen des Kriegs und Friedens aus¬ geſtattet, blühten, lebten ſie im Dunkel autochthoniſcher Zuſtände und opferten, zu den ragenden Gipfeln ihrer Waldgebirge emporſteigend, auf einfachen Erd- und Aſchenaltären dem höchſten der Götter. An ihren Küſten landeten, um Purpur¬ muſcheln, Kupfer, Bauholz und Sklaven zu gewinnen, die fremden Seefahrer und neugierig eilten die Kinder des Landes hinab, um die am Strande ausgeſtellten Wunderdinge orienta¬ liſcher Induſtrie, phöniziſches Glas und Thongeſchirr, aſſyriſche Teppiche und vielerlei bunten Schmuck einzutauſchen. Damals waren ſie die Barbaren, und da ſie Alles zu lernen hatten, was ſeit Jahrtauſenden ſchon in den geſegneten Niederungen des Nil und Euphrat ſich die Menſchheit erworben hatte, ſo nah¬ men ſie begierig das Dargebotene an. Von den auf Küſten¬ inſeln und Vorgebirgen angeſiedelten Phöniziern lernten ſie Alles, was dem Menſchen die Herrſchaft über die Natur ver¬ leiht: ſie lernten meſſen und rechnen, ſie lernten Stein, Holz und Metall bearbeiten, ſie lernten des Gebirgs Schätze an das Licht fördern, Dämme ziehen und Sümpfe trocknen, ſie lernten Schiffe bauen und begannen ängſtlich die von ſidoni¬ ſchen Schiffern eröffneten Seebahnen nachzufahren.
Bei dieſen Zuſtänden ſollte es nicht bleiben. Es löſten ſich aus den Völkermaſſen der nördlichen Landſchaften einzelne, durch edle Begabung und Unternehmungsgeiſt hervorragende Kriegerſtämme und drangen gegen Süden vor, die pelasgiſchen Völker zu unterwerfen. Mit dieſer Unterwerfung beginnt die Geſchichte Griechenlands. Nachdem ſeine Bewohner von den Fremden ſo viel erlernt hatten, als zur Begründung eigener Cultur nöthig war, beginnt der abſtoßende Gegenſatz gegen
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Die Kunſt der Hellenen.
aufgeſtellt, daß der ſemitiſche Stamm der Philiſtäer die grie¬
chiſche Halbinſel bevölkert und ihre Geſchichte begründet habe.
Unbefangene Forſchung führt uns indeſſen zu anderen Er¬
gebniſſen. Wir ſehen das griechiſche Land von einem uns ver¬
wandten Zweige der ariſchen Völkerfamilie, den Pelasgern,
bewohnt, die ſeit uranfänglicher Völkerwanderung dort ange¬
ſiedelt waren. Während in Aegypten und Aſien mächtige
Reiche, mit allen Erfindungen des Kriegs und Friedens aus¬
geſtattet, blühten, lebten ſie im Dunkel autochthoniſcher Zuſtände
und opferten, zu den ragenden Gipfeln ihrer Waldgebirge
emporſteigend, auf einfachen Erd- und Aſchenaltären dem
höchſten der Götter. An ihren Küſten landeten, um Purpur¬
muſcheln, Kupfer, Bauholz und Sklaven zu gewinnen, die
fremden Seefahrer und neugierig eilten die Kinder des Landes
hinab, um die am Strande ausgeſtellten Wunderdinge orienta¬
liſcher Induſtrie, phöniziſches Glas und Thongeſchirr, aſſyriſche
Teppiche und vielerlei bunten Schmuck einzutauſchen. Damals
waren ſie die Barbaren, und da ſie Alles zu lernen hatten,
was ſeit Jahrtauſenden ſchon in den geſegneten Niederungen
des Nil und Euphrat ſich die Menſchheit erworben hatte, ſo nah¬
men ſie begierig das Dargebotene an. Von den auf Küſten¬
inſeln und Vorgebirgen angeſiedelten Phöniziern lernten ſie
Alles, was dem Menſchen die Herrſchaft über die Natur ver¬
leiht: ſie lernten meſſen und rechnen, ſie lernten Stein, Holz
und Metall bearbeiten, ſie lernten des Gebirgs Schätze an
das Licht fördern, Dämme ziehen und Sümpfe trocknen, ſie
lernten Schiffe bauen und begannen ängſtlich die von ſidoni¬
ſchen Schiffern eröffneten Seebahnen nachzufahren.
Bei dieſen Zuſtänden ſollte es nicht bleiben. Es löſten
ſich aus den Völkermaſſen der nördlichen Landſchaften einzelne,
durch edle Begabung und Unternehmungsgeiſt hervorragende
Kriegerſtämme und drangen gegen Süden vor, die pelasgiſchen
Völker zu unterwerfen. Mit dieſer Unterwerfung beginnt die
Geſchichte Griechenlands. Nachdem ſeine Bewohner von den
Fremden ſo viel erlernt hatten, als zur Begründung eigener
Cultur nöthig war, beginnt der abſtoßende Gegenſatz gegen
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/98>, abgerufen am 27.11.2024.
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