der alten Bildung gegenüber; hier fand sie langsamer Ein¬ gang, weil sie einer spröderen Volksthümlichkeit begegnete. Wie wenig vermochte die Anschauung der Antike bei unsern alten Meistern die eigenthümliche Kunstweise zu verändern! Die langsame Wirkung war aber um so wichtiger und inhalts¬ reicher.
Das deutsche Volk hat die großen, geistigen Bewegungen, welche den Uebergang aus dem Mittelalter in die neue Zeit begleiteten, am gründlichsten durchgemacht. Da aber im sech¬ zehnten Jahrhundert neben den Quellen der alten Bildung auch die der christlichen Religion wieder bekannt wurden, wandten sich die Deutschen dieser Entdeckung mit solcher Be¬ geisterung zu, daß sie schon deshalb dem Einflusse der griechisch- römischen Bildung nicht ungetheilt und einseitig huldigen konn¬ ten. Vielmehr wurden auch die neuen Hülfsmittel, welche die klassischen Studien darboten, den kirchlichen Interessen dienst¬ bar, und die Philologie hat der Theologie getreulich beige¬ standen, um die religiöse und wissenschaftliche Selbständigkeit der Deutschen wieder herzustellen. Sie sind zusammen stark geworden, aber auch die Erschöpfung, welche folgte, traf beide gemeinsam. Die Theologie entartete zu trockenem Dogmatis¬ mus, und die Humanisten waren so wenig im Stande, die Gegenwart in lebendiger und heilsamer Gemeinschaft mit dem klassischen Alterthume zu erhalten, daß die deutsche Litteratur zu unwürdiger Nachahmung ausländischer Muster herabsank und sich unter das Joch von Regeln beugte, welche aus mi߬ verstandenen Kunstlehren der Alten abgeleitet waren.
Es ist bekannt, unter welchen Kämpfen unser Volk diese geistige Fremdherrschaft abgeworfen hat, wie die dumpfe At¬ mosphäre durch das scharfe Wehen des Lessing'schen Geistes gereinigt wurde und die Deutschen sich am Alterthume wieder verjüngten und aufrichteten. Jetzt erst trat für sie die volle Wirkung der alten Cultur ein; die nationale Sprödigkeit war überwunden. Winckelmann wendete den vollsten Enthusiasmus, dessen ein deutsches Gemüth fähig ist, dem Alterthume zu; Heimath und Glaube waren ihm gleichgültig in der entzückten
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
der alten Bildung gegenüber; hier fand ſie langſamer Ein¬ gang, weil ſie einer ſpröderen Volksthümlichkeit begegnete. Wie wenig vermochte die Anſchauung der Antike bei unſern alten Meiſtern die eigenthümliche Kunſtweiſe zu verändern! Die langſame Wirkung war aber um ſo wichtiger und inhalts¬ reicher.
Das deutſche Volk hat die großen, geiſtigen Bewegungen, welche den Uebergang aus dem Mittelalter in die neue Zeit begleiteten, am gründlichſten durchgemacht. Da aber im ſech¬ zehnten Jahrhundert neben den Quellen der alten Bildung auch die der chriſtlichen Religion wieder bekannt wurden, wandten ſich die Deutſchen dieſer Entdeckung mit ſolcher Be¬ geiſterung zu, daß ſie ſchon deshalb dem Einfluſſe der griechiſch- römiſchen Bildung nicht ungetheilt und einſeitig huldigen konn¬ ten. Vielmehr wurden auch die neuen Hülfsmittel, welche die klaſſiſchen Studien darboten, den kirchlichen Intereſſen dienſt¬ bar, und die Philologie hat der Theologie getreulich beige¬ ſtanden, um die religiöſe und wiſſenſchaftliche Selbſtändigkeit der Deutſchen wieder herzuſtellen. Sie ſind zuſammen ſtark geworden, aber auch die Erſchöpfung, welche folgte, traf beide gemeinſam. Die Theologie entartete zu trockenem Dogmatis¬ mus, und die Humaniſten waren ſo wenig im Stande, die Gegenwart in lebendiger und heilſamer Gemeinſchaft mit dem klaſſiſchen Alterthume zu erhalten, daß die deutſche Litteratur zu unwürdiger Nachahmung ausländiſcher Muſter herabſank und ſich unter das Joch von Regeln beugte, welche aus mi߬ verſtandenen Kunſtlehren der Alten abgeleitet waren.
Es iſt bekannt, unter welchen Kämpfen unſer Volk dieſe geiſtige Fremdherrſchaft abgeworfen hat, wie die dumpfe At¬ moſphäre durch das ſcharfe Wehen des Leſſing'ſchen Geiſtes gereinigt wurde und die Deutſchen ſich am Alterthume wieder verjüngten und aufrichteten. Jetzt erſt trat für ſie die volle Wirkung der alten Cultur ein; die nationale Sprödigkeit war überwunden. Winckelmann wendete den vollſten Enthuſiasmus, deſſen ein deutſches Gemüth fähig iſt, dem Alterthume zu; Heimath und Glaube waren ihm gleichgültig in der entzückten
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Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
der alten Bildung gegenüber; hier fand ſie langſamer Ein¬
gang, weil ſie einer ſpröderen Volksthümlichkeit begegnete.
Wie wenig vermochte die Anſchauung der Antike bei unſern
alten Meiſtern die eigenthümliche Kunſtweiſe zu verändern!
Die langſame Wirkung war aber um ſo wichtiger und inhalts¬
reicher.
Das deutſche Volk hat die großen, geiſtigen Bewegungen,
welche den Uebergang aus dem Mittelalter in die neue Zeit
begleiteten, am gründlichſten durchgemacht. Da aber im ſech¬
zehnten Jahrhundert neben den Quellen der alten Bildung
auch die der chriſtlichen Religion wieder bekannt wurden,
wandten ſich die Deutſchen dieſer Entdeckung mit ſolcher Be¬
geiſterung zu, daß ſie ſchon deshalb dem Einfluſſe der griechiſch-
römiſchen Bildung nicht ungetheilt und einſeitig huldigen konn¬
ten. Vielmehr wurden auch die neuen Hülfsmittel, welche die
klaſſiſchen Studien darboten, den kirchlichen Intereſſen dienſt¬
bar, und die Philologie hat der Theologie getreulich beige¬
ſtanden, um die religiöſe und wiſſenſchaftliche Selbſtändigkeit
der Deutſchen wieder herzuſtellen. Sie ſind zuſammen ſtark
geworden, aber auch die Erſchöpfung, welche folgte, traf beide
gemeinſam. Die Theologie entartete zu trockenem Dogmatis¬
mus, und die Humaniſten waren ſo wenig im Stande, die
Gegenwart in lebendiger und heilſamer Gemeinſchaft mit dem
klaſſiſchen Alterthume zu erhalten, daß die deutſche Litteratur
zu unwürdiger Nachahmung ausländiſcher Muſter herabſank
und ſich unter das Joch von Regeln beugte, welche aus mi߬
verſtandenen Kunſtlehren der Alten abgeleitet waren.
Es iſt bekannt, unter welchen Kämpfen unſer Volk dieſe
geiſtige Fremdherrſchaft abgeworfen hat, wie die dumpfe At¬
moſphäre durch das ſcharfe Wehen des Leſſing'ſchen Geiſtes
gereinigt wurde und die Deutſchen ſich am Alterthume wieder
verjüngten und aufrichteten. Jetzt erſt trat für ſie die volle
Wirkung der alten Cultur ein; die nationale Sprödigkeit war
überwunden. Winckelmann wendete den vollſten Enthuſiasmus,
deſſen ein deutſches Gemüth fähig iſt, dem Alterthume zu;
Heimath und Glaube waren ihm gleichgültig in der entzückten
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/90>, abgerufen am 27.07.2024.
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