Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Weltgang der griechischen Cultur. Stande gewesen wäre einen tieferen Eindruck zu machen. Umso mehr fand das Christenthum gesegnete Aufnahme. Die ganze germanische Volksbildung knüpft sich an dasselbe an; es verbindet sich aufs Engste mit der Nationalität der Völker und wirkt Jahrhunderte lang allein oder wenigstens so vor¬ wiegend, daß die halb verklungenen Erinnerungen des Alter¬ thums nicht zur Geltung kommen konnten. In dem letzten Staate, welcher auf griechisch-römischer Die hellenische Cultur tritt nun zum zweiten Male auf Die Italiäner waren die zunächst Berührten; sie empfingen Dieselbe Begeisterung, welche Italien ergriffen hatte, ging Der Weltgang der griechiſchen Cultur. Stande geweſen wäre einen tieferen Eindruck zu machen. Umſo mehr fand das Chriſtenthum geſegnete Aufnahme. Die ganze germaniſche Volksbildung knüpft ſich an daſſelbe an; es verbindet ſich aufs Engſte mit der Nationalität der Völker und wirkt Jahrhunderte lang allein oder wenigſtens ſo vor¬ wiegend, daß die halb verklungenen Erinnerungen des Alter¬ thums nicht zur Geltung kommen konnten. In dem letzten Staate, welcher auf griechiſch-römiſcher Die helleniſche Cultur tritt nun zum zweiten Male auf Die Italiäner waren die zunächſt Berührten; ſie empfingen Dieſelbe Begeiſterung, welche Italien ergriffen hatte, ging <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="72"/><fw place="top" type="header">Der Weltgang der griechiſchen Cultur.<lb/></fw>Stande geweſen wäre einen tieferen Eindruck zu machen. Um<lb/> ſo mehr fand das Chriſtenthum geſegnete Aufnahme. Die<lb/> ganze germaniſche Volksbildung knüpft ſich an daſſelbe an;<lb/> es verbindet ſich aufs Engſte mit der Nationalität der Völker<lb/> und wirkt Jahrhunderte lang allein oder wenigſtens ſo vor¬<lb/> wiegend, daß die halb verklungenen Erinnerungen des Alter¬<lb/> thums nicht zur Geltung kommen konnten.</p><lb/> <p>In dem letzten Staate, welcher auf griechiſch-römiſcher<lb/> Bildung beruhte, mußte Griechenland noch einmal untergehen,<lb/> damit nunmehr in vollen und fortan nicht mehr unterbrochenen<lb/> Strömen die Weisheit der alten Welt in die neue hereinſtröme.</p><lb/> <p>Die helleniſche Cultur tritt nun zum zweiten Male auf<lb/> den Schauplatz der Geſchichte, um ſich zu meſſen mit den<lb/> Kräften der neuen Zeit. Auf dem Boden Italiens wird die<lb/> Sprache der Hellenen wieder lebendig; das vor Jahrhunderten<lb/> Gedachte und Geſchriebene ergreift die Gegenwart mit friſcher<lb/> Kraft und von Neuem beſtimmt ſich die Entwickelung der<lb/> Völker darnach, ob und wie ſie dieſe Cultur bei ſich aufnehmen.</p><lb/> <p>Die Italiäner waren die zunächſt Berührten; ſie empfingen<lb/> den elektriſchen Strom in voller Stärke. Sie ſtanden der alten<lb/> Welt am nächſten und lebten mitten zwiſchen ihren Denkmälern,<lb/> in Städten, deren alter Ruhm aus den wiedergefundenen Schrif¬<lb/> ten hervorleuchtete; alſo verband ſich mit der Liebe zum Alter¬<lb/> thume das ſehnſüchtige Verlangen, die Herrlichkeit ihres Volks<lb/> wieder herzuſtellen. Auch die Kirche, welche, wie einſt der<lb/> römiſche Staat, am meiſten Urſache hatte ſich gegen die enthu¬<lb/> ſiaſtiſche Anerkennung der von Griechenland ſtammenden Bil¬<lb/> dung zu ſträuben, wird mit fortgeriſſen. Es iſt, als ob man<lb/> umkehren wollte aus der neuen in die alte Zeit; die platoniſche<lb/> Philoſophie wird in das Leben eingeführt; die Ideale helleni¬<lb/> ſcher Götter und Heroen beſeelen Poeſie und Bildkunſt und<lb/> der Fürſt der Chriſtenheit ſetzt die Kuppel des Pantheon auf<lb/> den Neubau ſeines Domes.</p><lb/> <p>Dieſelbe Begeiſterung, welche Italien ergriffen hatte, ging<lb/> auch nach Frankreich hinüber. Freilich hat hier die Wiſſen¬<lb/> ſchaft ſich kühn und kräftig vom italiäniſchen Geſchmacke frei<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [72/0088]
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Stande geweſen wäre einen tieferen Eindruck zu machen. Um
ſo mehr fand das Chriſtenthum geſegnete Aufnahme. Die
ganze germaniſche Volksbildung knüpft ſich an daſſelbe an;
es verbindet ſich aufs Engſte mit der Nationalität der Völker
und wirkt Jahrhunderte lang allein oder wenigſtens ſo vor¬
wiegend, daß die halb verklungenen Erinnerungen des Alter¬
thums nicht zur Geltung kommen konnten.
In dem letzten Staate, welcher auf griechiſch-römiſcher
Bildung beruhte, mußte Griechenland noch einmal untergehen,
damit nunmehr in vollen und fortan nicht mehr unterbrochenen
Strömen die Weisheit der alten Welt in die neue hereinſtröme.
Die helleniſche Cultur tritt nun zum zweiten Male auf
den Schauplatz der Geſchichte, um ſich zu meſſen mit den
Kräften der neuen Zeit. Auf dem Boden Italiens wird die
Sprache der Hellenen wieder lebendig; das vor Jahrhunderten
Gedachte und Geſchriebene ergreift die Gegenwart mit friſcher
Kraft und von Neuem beſtimmt ſich die Entwickelung der
Völker darnach, ob und wie ſie dieſe Cultur bei ſich aufnehmen.
Die Italiäner waren die zunächſt Berührten; ſie empfingen
den elektriſchen Strom in voller Stärke. Sie ſtanden der alten
Welt am nächſten und lebten mitten zwiſchen ihren Denkmälern,
in Städten, deren alter Ruhm aus den wiedergefundenen Schrif¬
ten hervorleuchtete; alſo verband ſich mit der Liebe zum Alter¬
thume das ſehnſüchtige Verlangen, die Herrlichkeit ihres Volks
wieder herzuſtellen. Auch die Kirche, welche, wie einſt der
römiſche Staat, am meiſten Urſache hatte ſich gegen die enthu¬
ſiaſtiſche Anerkennung der von Griechenland ſtammenden Bil¬
dung zu ſträuben, wird mit fortgeriſſen. Es iſt, als ob man
umkehren wollte aus der neuen in die alte Zeit; die platoniſche
Philoſophie wird in das Leben eingeführt; die Ideale helleni¬
ſcher Götter und Heroen beſeelen Poeſie und Bildkunſt und
der Fürſt der Chriſtenheit ſetzt die Kuppel des Pantheon auf
den Neubau ſeines Domes.
Dieſelbe Begeiſterung, welche Italien ergriffen hatte, ging
auch nach Frankreich hinüber. Freilich hat hier die Wiſſen¬
ſchaft ſich kühn und kräftig vom italiäniſchen Geſchmacke frei
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