gehabt und von hier aus alle Völker des Mittelmeers durch¬ drungen hatte. In der Monarchie der Cäsaren vollendete sich ein griechisches Weltreich, nicht nur in weiterem Umfange, als es Alexander gelungen war, sondern auch von reicherem In¬ halte; denn die Macedonier selbst brachten nichts hinzu als äußere Macht, die Römer aber verschmolzen ihre Nationalität mit der griechischen.
Die eigentlichen Weltüberwinder aber waren nicht die Römer, sondern die Griechen, deren geistiger Kraft keine eben¬ bürtige und widerstandsfähige Macht entgegengetreten ist, bis das Christenthum in die Welt eintrat.
In wunderbarer Weise hat die hellenische Cultur ihm vorgearbeitet. Sie hat das Morgenland aus seiner Trägheit aufgerüttelt; sie hat den Verkehr der Völker ausgedehnt und ein gemeinsames Organ für ihre geistigen Interessen geschaffen. In semitischen Ländern eingebürgert, hat die Sprache der Grie¬ chen ihre klassische Sprödigkeit aufgegeben und ist dadurch fähig geworden, die Weisheit des Orients aufzunehmen und einen Inhalt darzustellen, welcher ihrem Geiste ursprünglich wider¬ strebte. Die hellenische Bildung hat die Auflösung der alten Staatsformen beschleunigt und dadurch die Hemmnisse hinweg¬ geräumt, welche in streng geschlossenen und selbstgenugsamen Nationalitäten dem Christenthume entgegenstanden; sie hat die alten Glaubensformen aufgelöst und in jener Vermengung ein¬ heimischer und fremder Götterverehrung, wie sie im ganzen Gebiete des Hellenismus eintrat, die volle Glaubensleere der Zeit zu Tage gebracht; zugleich hat sie aber auch den mensch¬ lichen Geist zu selbstthätiger Annahme und Verarbeitung gött¬ licher Lehre gestärkt und so in zwiefacher Weise die Welt für die Wahrheiten der Offenbarung vorbereitet.
Und ist nicht trotz des tiefen Gegensatzes zwischen Hellenen¬ thum und Christenthum auch eine merkwürdige Verwandtschaft zwischen beiden? Ist nicht beiden gemeinsam die Fähigkeit und der Beruf, von den Völkern, denen sie ursprünglich angehören, sich abzulösen und in ungeschwächter Lebenskraft von einer Nation zur andern überzugehen? Und ist nicht dieser Fort¬
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
gehabt und von hier aus alle Völker des Mittelmeers durch¬ drungen hatte. In der Monarchie der Cäſaren vollendete ſich ein griechiſches Weltreich, nicht nur in weiterem Umfange, als es Alexander gelungen war, ſondern auch von reicherem In¬ halte; denn die Macedonier ſelbſt brachten nichts hinzu als äußere Macht, die Römer aber verſchmolzen ihre Nationalität mit der griechiſchen.
Die eigentlichen Weltüberwinder aber waren nicht die Römer, ſondern die Griechen, deren geiſtiger Kraft keine eben¬ bürtige und widerſtandsfähige Macht entgegengetreten iſt, bis das Chriſtenthum in die Welt eintrat.
In wunderbarer Weiſe hat die helleniſche Cultur ihm vorgearbeitet. Sie hat das Morgenland aus ſeiner Trägheit aufgerüttelt; ſie hat den Verkehr der Völker ausgedehnt und ein gemeinſames Organ für ihre geiſtigen Intereſſen geſchaffen. In ſemitiſchen Ländern eingebürgert, hat die Sprache der Grie¬ chen ihre klaſſiſche Sprödigkeit aufgegeben und iſt dadurch fähig geworden, die Weisheit des Orients aufzunehmen und einen Inhalt darzuſtellen, welcher ihrem Geiſte urſprünglich wider¬ ſtrebte. Die helleniſche Bildung hat die Auflöſung der alten Staatsformen beſchleunigt und dadurch die Hemmniſſe hinweg¬ geräumt, welche in ſtreng geſchloſſenen und ſelbſtgenugſamen Nationalitäten dem Chriſtenthume entgegenſtanden; ſie hat die alten Glaubensformen aufgelöſt und in jener Vermengung ein¬ heimiſcher und fremder Götterverehrung, wie ſie im ganzen Gebiete des Hellenismus eintrat, die volle Glaubensleere der Zeit zu Tage gebracht; zugleich hat ſie aber auch den menſch¬ lichen Geiſt zu ſelbſtthätiger Annahme und Verarbeitung gött¬ licher Lehre geſtärkt und ſo in zwiefacher Weiſe die Welt für die Wahrheiten der Offenbarung vorbereitet.
Und iſt nicht trotz des tiefen Gegenſatzes zwiſchen Hellenen¬ thum und Chriſtenthum auch eine merkwürdige Verwandtſchaft zwiſchen beiden? Iſt nicht beiden gemeinſam die Fähigkeit und der Beruf, von den Völkern, denen ſie urſprünglich angehören, ſich abzulöſen und in ungeſchwächter Lebenskraft von einer Nation zur andern überzugehen? Und iſt nicht dieſer Fort¬
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Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
gehabt und von hier aus alle Völker des Mittelmeers durch¬
drungen hatte. In der Monarchie der Cäſaren vollendete ſich
ein griechiſches Weltreich, nicht nur in weiterem Umfange, als
es Alexander gelungen war, ſondern auch von reicherem In¬
halte; denn die Macedonier ſelbſt brachten nichts hinzu als
äußere Macht, die Römer aber verſchmolzen ihre Nationalität
mit der griechiſchen.
Die eigentlichen Weltüberwinder aber waren nicht die
Römer, ſondern die Griechen, deren geiſtiger Kraft keine eben¬
bürtige und widerſtandsfähige Macht entgegengetreten iſt, bis
das Chriſtenthum in die Welt eintrat.
In wunderbarer Weiſe hat die helleniſche Cultur ihm
vorgearbeitet. Sie hat das Morgenland aus ſeiner Trägheit
aufgerüttelt; ſie hat den Verkehr der Völker ausgedehnt und
ein gemeinſames Organ für ihre geiſtigen Intereſſen geſchaffen.
In ſemitiſchen Ländern eingebürgert, hat die Sprache der Grie¬
chen ihre klaſſiſche Sprödigkeit aufgegeben und iſt dadurch fähig
geworden, die Weisheit des Orients aufzunehmen und einen
Inhalt darzuſtellen, welcher ihrem Geiſte urſprünglich wider¬
ſtrebte. Die helleniſche Bildung hat die Auflöſung der alten
Staatsformen beſchleunigt und dadurch die Hemmniſſe hinweg¬
geräumt, welche in ſtreng geſchloſſenen und ſelbſtgenugſamen
Nationalitäten dem Chriſtenthume entgegenſtanden; ſie hat die
alten Glaubensformen aufgelöſt und in jener Vermengung ein¬
heimiſcher und fremder Götterverehrung, wie ſie im ganzen
Gebiete des Hellenismus eintrat, die volle Glaubensleere der
Zeit zu Tage gebracht; zugleich hat ſie aber auch den menſch¬
lichen Geiſt zu ſelbſtthätiger Annahme und Verarbeitung gött¬
licher Lehre geſtärkt und ſo in zwiefacher Weiſe die Welt für
die Wahrheiten der Offenbarung vorbereitet.
Und iſt nicht trotz des tiefen Gegenſatzes zwiſchen Hellenen¬
thum und Chriſtenthum auch eine merkwürdige Verwandtſchaft
zwiſchen beiden? Iſt nicht beiden gemeinſam die Fähigkeit und
der Beruf, von den Völkern, denen ſie urſprünglich angehören,
ſich abzulöſen und in ungeſchwächter Lebenskraft von einer
Nation zur andern überzugehen? Und iſt nicht dieſer Fort¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/86>, abgerufen am 22.07.2024.
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