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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Weltgang der griechischen Cultur.
macht geworden, einer neuen Cultur von weiterem Gesichts¬
kreise, und diese bot sich ihm in der griechischen dar, welche
seit Alexander eine Weltbildung geworden war. Wenn es auch
bis in die Kaiserzeit hinein nicht an Leuten fehlte, welche
alles Unglück Roms von der Einführung griechischer Weisheit
herleiteten, so ist doch andererseits gewiß, daß nirgends die
griechische Cultur auf den verschiedenen Stationen ihrer Wande¬
rung so große Wirkungen hervorgebracht hat, wie in Rom.
Sie griff hier in alle Gebiete des geistigen Lebens ein; sie
trug dazu bei, die Schrift- und Sprachgesetze des Lateinischen
zu ordnen, sie rief eine ganze Litteratur in Prosa und Poesie
hervor, die ungleich reicher und lebenskräftiger war als Alles,
was im hellenisirten Oriente der Nachsommer griechischer Lit¬
teratur hervorzubringen vermocht hatte. Die bildende Kunst
fand hier eine neue Heimath und erstarkte an neuen Aufgaben
zu einer dauernden und inhaltreichen Nachblüthe. In der Be¬
redsamkeit führte der gesunde Sinn der Römer von den Aus¬
artungen des asiatischen Stils zu der klassischen Einfachheit
des Atticismus zurück; auch die Philosophie fand ihre Stätte
in Rom und römische Tugend richtete sich in den Zeiten tiefen
Verfalls an den Lehren der Stoa noch einmal empor.

Die alten Staatsformen, welche sich überlebt hatten, wären
auch ohne das Eindringen fremder Sprache und Sitte zusammen¬
gebrochen. Nun aber bildete sich aus der Verschmelzung beider
Culturen gleichsam eine neue Nationalität, und diese ist es,
worauf Cäsar seine Reichsidee gründete. Die Herrschaft der Cä¬
saren beruht auf der Erkenntniß, daß das römische Wesen keine
nationale Berechtigung mehr besitze, und das kaiserliche Rom
suchte alle Beziehungen auf, welche die Stadt mit dem griechi¬
schen Osten verknüpfen. Athen ward die zweite Heimath der
Römer. Unter Augustus vereinigten sich die Fürsten seiner
Zeit, um durch gemeinschaftliche Beiträge den Zeustempel in
Athen zu vollenden, und alle Philhellenenkönige der früheren
Jahrhunderte wurden von Hadrian überboten, der neben der
Theseusstadt sein neues Athen aufbaute. Man schmückte die
Mumie, um den Geist zu ehren, welcher hier seine Wohnung

Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
macht geworden, einer neuen Cultur von weiterem Geſichts¬
kreiſe, und dieſe bot ſich ihm in der griechiſchen dar, welche
ſeit Alexander eine Weltbildung geworden war. Wenn es auch
bis in die Kaiſerzeit hinein nicht an Leuten fehlte, welche
alles Unglück Roms von der Einführung griechiſcher Weisheit
herleiteten, ſo iſt doch andererſeits gewiß, daß nirgends die
griechiſche Cultur auf den verſchiedenen Stationen ihrer Wande¬
rung ſo große Wirkungen hervorgebracht hat, wie in Rom.
Sie griff hier in alle Gebiete des geiſtigen Lebens ein; ſie
trug dazu bei, die Schrift- und Sprachgeſetze des Lateiniſchen
zu ordnen, ſie rief eine ganze Litteratur in Proſa und Poeſie
hervor, die ungleich reicher und lebenskräftiger war als Alles,
was im helleniſirten Oriente der Nachſommer griechiſcher Lit¬
teratur hervorzubringen vermocht hatte. Die bildende Kunſt
fand hier eine neue Heimath und erſtarkte an neuen Aufgaben
zu einer dauernden und inhaltreichen Nachblüthe. In der Be¬
redſamkeit führte der geſunde Sinn der Römer von den Aus¬
artungen des aſiatiſchen Stils zu der klaſſiſchen Einfachheit
des Atticismus zurück; auch die Philoſophie fand ihre Stätte
in Rom und römiſche Tugend richtete ſich in den Zeiten tiefen
Verfalls an den Lehren der Stoa noch einmal empor.

Die alten Staatsformen, welche ſich überlebt hatten, wären
auch ohne das Eindringen fremder Sprache und Sitte zuſammen¬
gebrochen. Nun aber bildete ſich aus der Verſchmelzung beider
Culturen gleichſam eine neue Nationalität, und dieſe iſt es,
worauf Cäſar ſeine Reichsidee gründete. Die Herrſchaft der Cä¬
ſaren beruht auf der Erkenntniß, daß das römiſche Weſen keine
nationale Berechtigung mehr beſitze, und das kaiſerliche Rom
ſuchte alle Beziehungen auf, welche die Stadt mit dem griechi¬
ſchen Oſten verknüpfen. Athen ward die zweite Heimath der
Römer. Unter Auguſtus vereinigten ſich die Fürſten ſeiner
Zeit, um durch gemeinſchaftliche Beiträge den Zeustempel in
Athen zu vollenden, und alle Philhellenenkönige der früheren
Jahrhunderte wurden von Hadrian überboten, der neben der
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[69/0085] Der Weltgang der griechiſchen Cultur. macht geworden, einer neuen Cultur von weiterem Geſichts¬ kreiſe, und dieſe bot ſich ihm in der griechiſchen dar, welche ſeit Alexander eine Weltbildung geworden war. Wenn es auch bis in die Kaiſerzeit hinein nicht an Leuten fehlte, welche alles Unglück Roms von der Einführung griechiſcher Weisheit herleiteten, ſo iſt doch andererſeits gewiß, daß nirgends die griechiſche Cultur auf den verſchiedenen Stationen ihrer Wande¬ rung ſo große Wirkungen hervorgebracht hat, wie in Rom. Sie griff hier in alle Gebiete des geiſtigen Lebens ein; ſie trug dazu bei, die Schrift- und Sprachgeſetze des Lateiniſchen zu ordnen, ſie rief eine ganze Litteratur in Proſa und Poeſie hervor, die ungleich reicher und lebenskräftiger war als Alles, was im helleniſirten Oriente der Nachſommer griechiſcher Lit¬ teratur hervorzubringen vermocht hatte. Die bildende Kunſt fand hier eine neue Heimath und erſtarkte an neuen Aufgaben zu einer dauernden und inhaltreichen Nachblüthe. In der Be¬ redſamkeit führte der geſunde Sinn der Römer von den Aus¬ artungen des aſiatiſchen Stils zu der klaſſiſchen Einfachheit des Atticismus zurück; auch die Philoſophie fand ihre Stätte in Rom und römiſche Tugend richtete ſich in den Zeiten tiefen Verfalls an den Lehren der Stoa noch einmal empor. Die alten Staatsformen, welche ſich überlebt hatten, wären auch ohne das Eindringen fremder Sprache und Sitte zuſammen¬ gebrochen. Nun aber bildete ſich aus der Verſchmelzung beider Culturen gleichſam eine neue Nationalität, und dieſe iſt es, worauf Cäſar ſeine Reichsidee gründete. Die Herrſchaft der Cä¬ ſaren beruht auf der Erkenntniß, daß das römiſche Weſen keine nationale Berechtigung mehr beſitze, und das kaiſerliche Rom ſuchte alle Beziehungen auf, welche die Stadt mit dem griechi¬ ſchen Oſten verknüpfen. Athen ward die zweite Heimath der Römer. Unter Auguſtus vereinigten ſich die Fürſten ſeiner Zeit, um durch gemeinſchaftliche Beiträge den Zeustempel in Athen zu vollenden, und alle Philhellenenkönige der früheren Jahrhunderte wurden von Hadrian überboten, der neben der Theſeusſtadt ſein neues Athen aufbaute. Man ſchmückte die Mumie, um den Geiſt zu ehren, welcher hier ſeine Wohnung

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/85>, abgerufen am 23.11.2024.