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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
jede Untersuchung verschloß, die auf eine Schmälerung des ita¬
lischen Autochthonenruhms hinauslaufen könnte und jeden
Zweifel an der vollen Selbständigkeit einheimischer Culturent¬
wickelung als einen Frevel gegen Rom denuncirte. Cavedoni
wie Avellino haben schon ganz in deutschem Geiste gearbeitet
und die vorzüglichsten der jetzt lebenden Gelehrten, namentlich
de Rossi und Rosa, sehen das deutsche Capitol als den Mittel¬
punkt der römischen Studien an und rechnen hier vor Allem
auf Verständniß und Förderung. Diesen Erfolg verdankt das
Institut den trefflichen Männern, welche demselben nach und
neben einander als Geschäftsführer gedient haben. Um nur
der Verstorbenen zu gedenken, nenne ich Kellermann, Emil
Braun und Wilhelm Abeken. Der Erste gründete hier die
Inschriftenkunde; der Zweite wird den meisten Deutschen,
welche in den vierziger und funfziger Jahren zu Rom ver¬
weilten, unvergeßlich sein, ein Mann der edelsten Begabung
von Herz und Geist, von Winckelmann'schem Enthusiasmus,
der sich in seiner Behandlung des Alterthums in gewisser
Weise den Italiänern anschloß, indem er wie diese der herge¬
brachten Ueberlieferung ungern widersprach, wenn ihre Rich¬
tigkeit nicht vollständig widerlegt war, während Abeken, der
früh Vollendete, im Sinne seines Lehrers Otfried Müller mit
Vorliebe historische Gesichtspunkte verfolgte und mit vorsich¬
tiger aber sicherer Hand die Grundzüge einer Kunst- und
Culturgeschichte Mittelitaliens entwarf. Diese Männer und
ihre Nachfolger haben den Stamm gebildet, an welchen die
kommende und gehende deutsche Jugend sich anschließt und
zwar so, daß ein Jeder sein besonderes Arbeitsfeld findet,
auf welchem er Gelegenheit hat, der Wissenschaft Dienste zu
leisten. Dazu gehört denn auch in vorzüglichem Grade die
Ausbeutung der litterarischen Schätze Roms; auf diese Weise
haben die Deutschen sich die palatinischen Handschriften zurück¬
erobert und die Vaticana, so viel an ihnen lag, zu dem ge¬
macht, was sie den Verträgen nach sein sollte, zu einem Ge¬
meingute der gebildeten Welt.

So ist eine Pflanzstätte deutscher Wissenschaft auf dem

Rom und die Deutſchen.
jede Unterſuchung verſchloß, die auf eine Schmälerung des ita¬
liſchen Autochthonenruhms hinauslaufen könnte und jeden
Zweifel an der vollen Selbſtändigkeit einheimiſcher Culturent¬
wickelung als einen Frevel gegen Rom denuncirte. Cavedoni
wie Avellino haben ſchon ganz in deutſchem Geiſte gearbeitet
und die vorzüglichſten der jetzt lebenden Gelehrten, namentlich
de Roſſi und Roſa, ſehen das deutſche Capitol als den Mittel¬
punkt der römiſchen Studien an und rechnen hier vor Allem
auf Verſtändniß und Förderung. Dieſen Erfolg verdankt das
Inſtitut den trefflichen Männern, welche demſelben nach und
neben einander als Geſchäftsführer gedient haben. Um nur
der Verſtorbenen zu gedenken, nenne ich Kellermann, Emil
Braun und Wilhelm Abeken. Der Erſte gründete hier die
Inſchriftenkunde; der Zweite wird den meiſten Deutſchen,
welche in den vierziger und funfziger Jahren zu Rom ver¬
weilten, unvergeßlich ſein, ein Mann der edelſten Begabung
von Herz und Geiſt, von Winckelmann'ſchem Enthuſiasmus,
der ſich in ſeiner Behandlung des Alterthums in gewiſſer
Weiſe den Italiänern anſchloß, indem er wie dieſe der herge¬
brachten Ueberlieferung ungern widerſprach, wenn ihre Rich¬
tigkeit nicht vollſtändig widerlegt war, während Abeken, der
früh Vollendete, im Sinne ſeines Lehrers Otfried Müller mit
Vorliebe hiſtoriſche Geſichtspunkte verfolgte und mit vorſich¬
tiger aber ſicherer Hand die Grundzüge einer Kunſt- und
Culturgeſchichte Mittelitaliens entwarf. Dieſe Männer und
ihre Nachfolger haben den Stamm gebildet, an welchen die
kommende und gehende deutſche Jugend ſich anſchließt und
zwar ſo, daß ein Jeder ſein beſonderes Arbeitsfeld findet,
auf welchem er Gelegenheit hat, der Wiſſenſchaft Dienſte zu
leiſten. Dazu gehört denn auch in vorzüglichem Grade die
Ausbeutung der litterariſchen Schätze Roms; auf dieſe Weiſe
haben die Deutſchen ſich die palatiniſchen Handſchriften zurück¬
erobert und die Vaticana, ſo viel an ihnen lag, zu dem ge¬
macht, was ſie den Verträgen nach ſein ſollte, zu einem Ge¬
meingute der gebildeten Welt.

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[56/0072] Rom und die Deutſchen. jede Unterſuchung verſchloß, die auf eine Schmälerung des ita¬ liſchen Autochthonenruhms hinauslaufen könnte und jeden Zweifel an der vollen Selbſtändigkeit einheimiſcher Culturent¬ wickelung als einen Frevel gegen Rom denuncirte. Cavedoni wie Avellino haben ſchon ganz in deutſchem Geiſte gearbeitet und die vorzüglichſten der jetzt lebenden Gelehrten, namentlich de Roſſi und Roſa, ſehen das deutſche Capitol als den Mittel¬ punkt der römiſchen Studien an und rechnen hier vor Allem auf Verſtändniß und Förderung. Dieſen Erfolg verdankt das Inſtitut den trefflichen Männern, welche demſelben nach und neben einander als Geſchäftsführer gedient haben. Um nur der Verſtorbenen zu gedenken, nenne ich Kellermann, Emil Braun und Wilhelm Abeken. Der Erſte gründete hier die Inſchriftenkunde; der Zweite wird den meiſten Deutſchen, welche in den vierziger und funfziger Jahren zu Rom ver¬ weilten, unvergeßlich ſein, ein Mann der edelſten Begabung von Herz und Geiſt, von Winckelmann'ſchem Enthuſiasmus, der ſich in ſeiner Behandlung des Alterthums in gewiſſer Weiſe den Italiänern anſchloß, indem er wie dieſe der herge¬ brachten Ueberlieferung ungern widerſprach, wenn ihre Rich¬ tigkeit nicht vollſtändig widerlegt war, während Abeken, der früh Vollendete, im Sinne ſeines Lehrers Otfried Müller mit Vorliebe hiſtoriſche Geſichtspunkte verfolgte und mit vorſich¬ tiger aber ſicherer Hand die Grundzüge einer Kunſt- und Culturgeſchichte Mittelitaliens entwarf. Dieſe Männer und ihre Nachfolger haben den Stamm gebildet, an welchen die kommende und gehende deutſche Jugend ſich anſchließt und zwar ſo, daß ein Jeder ſein beſonderes Arbeitsfeld findet, auf welchem er Gelegenheit hat, der Wiſſenſchaft Dienſte zu leiſten. Dazu gehört denn auch in vorzüglichem Grade die Ausbeutung der litterariſchen Schätze Roms; auf dieſe Weiſe haben die Deutſchen ſich die palatiniſchen Handſchriften zurück¬ erobert und die Vaticana, ſo viel an ihnen lag, zu dem ge¬ macht, was ſie den Verträgen nach ſein ſollte, zu einem Ge¬ meingute der gebildeten Welt. So iſt eine Pflanzſtätte deutſcher Wiſſenſchaft auf dem

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/72>, abgerufen am 23.11.2024.