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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
dieser Zug diesseit der Alpen lebhafter als jenseits gefühlt
wurde, so ist die Zudringlichkeit der Deutschen nur ein Zeichen
ihrer größeren Rührigkeit und eines kräftigeren Bildungs¬
triebes. Denn die Pilgerfahrten unserer Künstler und Ge¬
lehrten, welche von Jahr zu Jahr in immer dichteren Zügen
über die Alpen gehen, sind nicht bloß das Ergebniß Zer¬
streuung suchender Reiselust, sie sind nicht eine Sache der
Laune und des Luxus, sie haben vielmehr eine gewisse Noth¬
wendigkeit, und große Culturinteressen knüpfen sich an diesel¬
ben; denn es handelt sich um die Ausbeutung der Schätze,
die nur dort zu heben sind, um eine friedliche Eroberung,
welche beiden Parteien zu gute kommt.

Wir sprechen zunächst von der Kunst. Sie ist von der
Oertlichkeit abhängiger, als die Wissenschaft; sie ist ein zarte¬
res Gewächs, welchem der südliche Himmel unberechenbare
Vortheile darbietet; sie kann nicht als Treibhauspflanze ge¬
zogen und nicht als Luxuspflanze in die Fremde verführt
werden. Auch im Süden bedarf es außerordentlicher Verhält¬
nisse, wenn die volle Entwickelung gelingen soll. Es bedarf
einzelner Schulen, welche in stiller Zurückgezogenheit die Keime
pflegen; dann müssen die Meister der Schulen wandernd zu¬
sammen kommen, "Vaterland und Welt muß auf sie wirken;"
und wenn sie ihre Erfindungen ausgetauscht, wenn sie neidlos
von einander gelernt haben, dann bedarf es eines Orts, wo
mächtige Gunst und reichliche Mittel vorhanden sind, um das
gereifte Kunstvermögen zu großen Leistungen zu veranlassen,
in denen es der inwohnenden Kraft in vollem Maße bewußt
wird. So war es einst in Athen, so war es in Rom unter
Julius II., der mehr, als sein gefeierterer Nachfolger mit Pe¬
rikles genannt zu werden verdient. Gleich nach ihm begann
man die Kunst zum Dienste der Laune herabzuwürdigen, --
aber die Werke der großen Zeit sind geblieben, ein Vermächt¬
niß einzig in seiner Art, und wenn nun in derselben Stadt
auch von der anderen, dem Menschengeschlechte gegönnten, von
der hellenischen Kunstblüthe die zahlreichsten und schönsten
Denkmäler vereinigt sind, so darf Rom in der That als der

Curtius, Alterthum. 4

Rom und die Deutſchen.
dieſer Zug dieſſeit der Alpen lebhafter als jenſeits gefühlt
wurde, ſo iſt die Zudringlichkeit der Deutſchen nur ein Zeichen
ihrer größeren Rührigkeit und eines kräftigeren Bildungs¬
triebes. Denn die Pilgerfahrten unſerer Künſtler und Ge¬
lehrten, welche von Jahr zu Jahr in immer dichteren Zügen
über die Alpen gehen, ſind nicht bloß das Ergebniß Zer¬
ſtreuung ſuchender Reiſeluſt, ſie ſind nicht eine Sache der
Laune und des Luxus, ſie haben vielmehr eine gewiſſe Noth¬
wendigkeit, und große Culturintereſſen knüpfen ſich an dieſel¬
ben; denn es handelt ſich um die Ausbeutung der Schätze,
die nur dort zu heben ſind, um eine friedliche Eroberung,
welche beiden Parteien zu gute kommt.

Wir ſprechen zunächſt von der Kunſt. Sie iſt von der
Oertlichkeit abhängiger, als die Wiſſenſchaft; ſie iſt ein zarte¬
res Gewächs, welchem der ſüdliche Himmel unberechenbare
Vortheile darbietet; ſie kann nicht als Treibhauspflanze ge¬
zogen und nicht als Luxuspflanze in die Fremde verführt
werden. Auch im Süden bedarf es außerordentlicher Verhält¬
niſſe, wenn die volle Entwickelung gelingen ſoll. Es bedarf
einzelner Schulen, welche in ſtiller Zurückgezogenheit die Keime
pflegen; dann müſſen die Meiſter der Schulen wandernd zu¬
ſammen kommen, »Vaterland und Welt muß auf ſie wirken;«
und wenn ſie ihre Erfindungen ausgetauſcht, wenn ſie neidlos
von einander gelernt haben, dann bedarf es eines Orts, wo
mächtige Gunſt und reichliche Mittel vorhanden ſind, um das
gereifte Kunſtvermögen zu großen Leiſtungen zu veranlaſſen,
in denen es der inwohnenden Kraft in vollem Maße bewußt
wird. So war es einſt in Athen, ſo war es in Rom unter
Julius II., der mehr, als ſein gefeierterer Nachfolger mit Pe¬
rikles genannt zu werden verdient. Gleich nach ihm begann
man die Kunſt zum Dienſte der Laune herabzuwürdigen, —
aber die Werke der großen Zeit ſind geblieben, ein Vermächt¬
niß einzig in ſeiner Art, und wenn nun in derſelben Stadt
auch von der anderen, dem Menſchengeſchlechte gegönnten, von
der helleniſchen Kunſtblüthe die zahlreichſten und ſchönſten
Denkmäler vereinigt ſind, ſo darf Rom in der That als der

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[49/0065] Rom und die Deutſchen. dieſer Zug dieſſeit der Alpen lebhafter als jenſeits gefühlt wurde, ſo iſt die Zudringlichkeit der Deutſchen nur ein Zeichen ihrer größeren Rührigkeit und eines kräftigeren Bildungs¬ triebes. Denn die Pilgerfahrten unſerer Künſtler und Ge¬ lehrten, welche von Jahr zu Jahr in immer dichteren Zügen über die Alpen gehen, ſind nicht bloß das Ergebniß Zer¬ ſtreuung ſuchender Reiſeluſt, ſie ſind nicht eine Sache der Laune und des Luxus, ſie haben vielmehr eine gewiſſe Noth¬ wendigkeit, und große Culturintereſſen knüpfen ſich an dieſel¬ ben; denn es handelt ſich um die Ausbeutung der Schätze, die nur dort zu heben ſind, um eine friedliche Eroberung, welche beiden Parteien zu gute kommt. Wir ſprechen zunächſt von der Kunſt. Sie iſt von der Oertlichkeit abhängiger, als die Wiſſenſchaft; ſie iſt ein zarte¬ res Gewächs, welchem der ſüdliche Himmel unberechenbare Vortheile darbietet; ſie kann nicht als Treibhauspflanze ge¬ zogen und nicht als Luxuspflanze in die Fremde verführt werden. Auch im Süden bedarf es außerordentlicher Verhält¬ niſſe, wenn die volle Entwickelung gelingen ſoll. Es bedarf einzelner Schulen, welche in ſtiller Zurückgezogenheit die Keime pflegen; dann müſſen die Meiſter der Schulen wandernd zu¬ ſammen kommen, »Vaterland und Welt muß auf ſie wirken;« und wenn ſie ihre Erfindungen ausgetauſcht, wenn ſie neidlos von einander gelernt haben, dann bedarf es eines Orts, wo mächtige Gunſt und reichliche Mittel vorhanden ſind, um das gereifte Kunſtvermögen zu großen Leiſtungen zu veranlaſſen, in denen es der inwohnenden Kraft in vollem Maße bewußt wird. So war es einſt in Athen, ſo war es in Rom unter Julius II., der mehr, als ſein gefeierterer Nachfolger mit Pe¬ rikles genannt zu werden verdient. Gleich nach ihm begann man die Kunſt zum Dienſte der Laune herabzuwürdigen, — aber die Werke der großen Zeit ſind geblieben, ein Vermächt¬ niß einzig in ſeiner Art, und wenn nun in derſelben Stadt auch von der anderen, dem Menſchengeſchlechte gegönnten, von der helleniſchen Kunſtblüthe die zahlreichſten und ſchönſten Denkmäler vereinigt ſind, ſo darf Rom in der That als der Curtius, Alterthum. 4

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/65>, abgerufen am 23.11.2024.