wahrlich ein lebendige Empfänglichkeit für das Glück der Häuslichkeit und den Segen gegenseitiger Liebe. In allen diesen Gattungen ist eine Fülle von Denkmälern vorhanden, welcher auch die eifrigste Veröffentlichung nicht nachzukommen im Stande ist. Nur auf klassischem Boden kann man sich dieser reichen Anschauung und Anregung in vollem Maße er¬ freuen.
Trotzdem klagt man freilich, wenn man des ursprüng¬ lichen Reichthums gedenkt, über die Masse des Verschwundenen. Wie tief verschüttet ist der Boden, auf dem die Alten wandelten, wie sehr zum Nachtheile der Wissenschaft die neue Stadt auf die alte gebaut! Indessen haben auch hier unsere eigenen Erfahrungen recht deutlich gezeigt, daß man doch auch in Athen nicht darauf beschränkt sei, die zufällig sichtbaren Spuren und Ueberreste der alten Welt aufzusuchen. Man durchbohrt die Schuttdecke, welche auf dem Boden der Hellenen lagert, und es öffnen sich neue Quellen der Erkenntniß und ein Ein¬ blick in die versunkene Welt ist gestattet. So fanden wir staunend in dem mehrfach und vergeblich durchsuchten Raume des dionysischen Theaters, als unter einer 20 Fuß hohen Schuttlage, nicht nur die wohlerhaltenen Stufen, auf denen die Athener den Tragödien ihres Aeschylos zusahen, und die Treppenstufen, die zwischen jenen hinaufführten, zum Vorschein kamen, sondern auch die marmornen Ehrensessel am unteren Rande des Zuschauerraumes, in verschiedenen Reihen wohl¬ erhalten neben einander, als wenn sie noch gestern benutzt worden wären. Auch würde, wenn die Würdenträger der Stadt heute wiederkehrten, kein Rangstreit um die Ehrensitze zu befürchten sein, denn an jedem Sessel steht die Würde des Staatsbeamten oder Priesters deutlich aufgeschrieben, der zu dem bestimmten Sitze berechtigt ist. Der Sitz des Dionysos¬ priesters ist mit reichem Relief vor allen ausgezeichnet. Wie anschaulich wird uns jetzt der Scherz des Aristophanes, wenn er den geängsteten Dionysos auf der Bühne vortreten und bei seinem Priester Schutz suchen läßt! Das sind Entdeckungen wie in Pompeji und Herculanum, nur um so wichtiger, als
Das alte und neue Griechenland.
wahrlich ein lebendige Empfänglichkeit für das Glück der Häuslichkeit und den Segen gegenſeitiger Liebe. In allen dieſen Gattungen iſt eine Fülle von Denkmälern vorhanden, welcher auch die eifrigſte Veröffentlichung nicht nachzukommen im Stande iſt. Nur auf klaſſiſchem Boden kann man ſich dieſer reichen Anſchauung und Anregung in vollem Maße er¬ freuen.
Trotzdem klagt man freilich, wenn man des urſprüng¬ lichen Reichthums gedenkt, über die Maſſe des Verſchwundenen. Wie tief verſchüttet iſt der Boden, auf dem die Alten wandelten, wie ſehr zum Nachtheile der Wiſſenſchaft die neue Stadt auf die alte gebaut! Indeſſen haben auch hier unſere eigenen Erfahrungen recht deutlich gezeigt, daß man doch auch in Athen nicht darauf beſchränkt ſei, die zufällig ſichtbaren Spuren und Ueberreſte der alten Welt aufzuſuchen. Man durchbohrt die Schuttdecke, welche auf dem Boden der Hellenen lagert, und es öffnen ſich neue Quellen der Erkenntniß und ein Ein¬ blick in die verſunkene Welt iſt geſtattet. So fanden wir ſtaunend in dem mehrfach und vergeblich durchſuchten Raume des dionyſiſchen Theaters, als unter einer 20 Fuß hohen Schuttlage, nicht nur die wohlerhaltenen Stufen, auf denen die Athener den Tragödien ihres Aeſchylos zuſahen, und die Treppenſtufen, die zwiſchen jenen hinaufführten, zum Vorſchein kamen, ſondern auch die marmornen Ehrenſeſſel am unteren Rande des Zuſchauerraumes, in verſchiedenen Reihen wohl¬ erhalten neben einander, als wenn ſie noch geſtern benutzt worden wären. Auch würde, wenn die Würdenträger der Stadt heute wiederkehrten, kein Rangſtreit um die Ehrenſitze zu befürchten ſein, denn an jedem Seſſel ſteht die Würde des Staatsbeamten oder Prieſters deutlich aufgeſchrieben, der zu dem beſtimmten Sitze berechtigt iſt. Der Sitz des Dionyſos¬ prieſters iſt mit reichem Relief vor allen ausgezeichnet. Wie anſchaulich wird uns jetzt der Scherz des Ariſtophanes, wenn er den geängſteten Dionyſos auf der Bühne vortreten und bei ſeinem Prieſter Schutz ſuchen läßt! Das ſind Entdeckungen wie in Pompeji und Herculanum, nur um ſo wichtiger, als
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Das alte und neue Griechenland.
wahrlich ein lebendige Empfänglichkeit für das Glück der
Häuslichkeit und den Segen gegenſeitiger Liebe. In allen
dieſen Gattungen iſt eine Fülle von Denkmälern vorhanden,
welcher auch die eifrigſte Veröffentlichung nicht nachzukommen
im Stande iſt. Nur auf klaſſiſchem Boden kann man ſich
dieſer reichen Anſchauung und Anregung in vollem Maße er¬
freuen.
Trotzdem klagt man freilich, wenn man des urſprüng¬
lichen Reichthums gedenkt, über die Maſſe des Verſchwundenen.
Wie tief verſchüttet iſt der Boden, auf dem die Alten wandelten,
wie ſehr zum Nachtheile der Wiſſenſchaft die neue Stadt auf
die alte gebaut! Indeſſen haben auch hier unſere eigenen
Erfahrungen recht deutlich gezeigt, daß man doch auch in
Athen nicht darauf beſchränkt ſei, die zufällig ſichtbaren Spuren
und Ueberreſte der alten Welt aufzuſuchen. Man durchbohrt
die Schuttdecke, welche auf dem Boden der Hellenen lagert,
und es öffnen ſich neue Quellen der Erkenntniß und ein Ein¬
blick in die verſunkene Welt iſt geſtattet. So fanden wir
ſtaunend in dem mehrfach und vergeblich durchſuchten Raume
des dionyſiſchen Theaters, als unter einer 20 Fuß hohen
Schuttlage, nicht nur die wohlerhaltenen Stufen, auf denen
die Athener den Tragödien ihres Aeſchylos zuſahen, und die
Treppenſtufen, die zwiſchen jenen hinaufführten, zum Vorſchein
kamen, ſondern auch die marmornen Ehrenſeſſel am unteren
Rande des Zuſchauerraumes, in verſchiedenen Reihen wohl¬
erhalten neben einander, als wenn ſie noch geſtern benutzt
worden wären. Auch würde, wenn die Würdenträger der
Stadt heute wiederkehrten, kein Rangſtreit um die Ehrenſitze
zu befürchten ſein, denn an jedem Seſſel ſteht die Würde des
Staatsbeamten oder Prieſters deutlich aufgeſchrieben, der zu
dem beſtimmten Sitze berechtigt iſt. Der Sitz des Dionyſos¬
prieſters iſt mit reichem Relief vor allen ausgezeichnet. Wie
anſchaulich wird uns jetzt der Scherz des Ariſtophanes, wenn
er den geängſteten Dionyſos auf der Bühne vortreten und
bei ſeinem Prieſter Schutz ſuchen läßt! Das ſind Entdeckungen
wie in Pompeji und Herculanum, nur um ſo wichtiger, als
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/46>, abgerufen am 16.02.2025.
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