reisten Cultur, die Idee des Hellenismus. In den Gro߬ städten aber, welche diese Idee in das Leben gerufen hat, zeigte sich wiederum zuerst, daß die Ausbreitung griechischer Bildung einen höheren Endzweck habe, als die Verherrlichung des Griechenthums; sie wurden inmitten der Landschaft, welche im Schatten des Heidenthums verharrte, die Urorte der christ¬ lichen Welt, und die Prachtstadt am Orontes war es, wo eine Christengemeinde zuerst so ansehnlich wurde, daß man ihre Anhänger wie ein besonderes Volk anzusehen und zu benen¬ nen anfing.
Im Alterthum herrscht eine Art von Selbstaufopferung der Völker. Sie gehen unter, nachdem sie dasjenige hervor¬ gebracht haben, was, als ihr besseres Theil, Gemeingut der Menschheit werden soll, ihr Recht, ihre Kunst oder Wissen¬ schaft. In der neuen Welt ist kein solcher Gegensatz zwischen nationaler und menschlicher Bildung. Wir können also den großen Aufgaben, welche uns obliegen, um so freudiger ins Auge schauen, und je mehr wir aus der Geschichte lernen, welche Bedeutung für nationale Einigung, für nationale Bil¬ dung und für wichtige Fortschritte menschlicher Cultur die Großstädte haben, um so höher werden wir von dem, was wir zu leisten haben, denken. Nicht als wollten wir einen Rang vor Anderen in Anspruch nehmen; unser Vorrecht soll kein anderes sein, als daß wir unter größeren Schwierigkeiten und auf einem ausgesetzteren Posten das Banner der Wissen¬ schaft zu halten haben. Hier ist nicht, wie in eigentlichen Uni¬ versitätsstädten, Alles zum Vortheile des Gelehrten und seinen Lebensbedürfnissen entsprechend eingerichtet; vielmehr muß er unter mancherlei Ungunst seinen Zielen treu zu bleiben und die Uebelstände einer Großstadt durch weise Oekonomie der Kräfte auszugleichen suchen. Aber mit den Schwierigkeiten wächst die Lebenskunst, mit dem Widerstande die Kraft. Wir fühlen, daß den Geschäften des Tages gegenüber, welche Aller Gedanken in Anspruch nehmen, die zeitlosen und idealen In¬ teressen um so energischer vertreten werden müssen. Je lauter und verwirrender die Gegenwart, um so unentbehrlicher ist
Große und kleine Städte.
reiſten Cultur, die Idee des Hellenismus. In den Gro߬ ſtädten aber, welche dieſe Idee in das Leben gerufen hat, zeigte ſich wiederum zuerſt, daß die Ausbreitung griechiſcher Bildung einen höheren Endzweck habe, als die Verherrlichung des Griechenthums; ſie wurden inmitten der Landſchaft, welche im Schatten des Heidenthums verharrte, die Urorte der chriſt¬ lichen Welt, und die Prachtſtadt am Orontes war es, wo eine Chriſtengemeinde zuerſt ſo anſehnlich wurde, daß man ihre Anhänger wie ein beſonderes Volk anzuſehen und zu benen¬ nen anfing.
Im Alterthum herrſcht eine Art von Selbſtaufopferung der Völker. Sie gehen unter, nachdem ſie dasjenige hervor¬ gebracht haben, was, als ihr beſſeres Theil, Gemeingut der Menſchheit werden ſoll, ihr Recht, ihre Kunſt oder Wiſſen¬ ſchaft. In der neuen Welt iſt kein ſolcher Gegenſatz zwiſchen nationaler und menſchlicher Bildung. Wir können alſo den großen Aufgaben, welche uns obliegen, um ſo freudiger ins Auge ſchauen, und je mehr wir aus der Geſchichte lernen, welche Bedeutung für nationale Einigung, für nationale Bil¬ dung und für wichtige Fortſchritte menſchlicher Cultur die Großſtädte haben, um ſo höher werden wir von dem, was wir zu leiſten haben, denken. Nicht als wollten wir einen Rang vor Anderen in Anſpruch nehmen; unſer Vorrecht ſoll kein anderes ſein, als daß wir unter größeren Schwierigkeiten und auf einem ausgeſetzteren Poſten das Banner der Wiſſen¬ ſchaft zu halten haben. Hier iſt nicht, wie in eigentlichen Uni¬ verſitätsſtädten, Alles zum Vortheile des Gelehrten und ſeinen Lebensbedürfniſſen entſprechend eingerichtet; vielmehr muß er unter mancherlei Ungunſt ſeinen Zielen treu zu bleiben und die Uebelſtände einer Großſtadt durch weiſe Oekonomie der Kräfte auszugleichen ſuchen. Aber mit den Schwierigkeiten wächſt die Lebenskunſt, mit dem Widerſtande die Kraft. Wir fühlen, daß den Geſchäften des Tages gegenüber, welche Aller Gedanken in Anſpruch nehmen, die zeitloſen und idealen In¬ tereſſen um ſo energiſcher vertreten werden müſſen. Je lauter und verwirrender die Gegenwart, um ſo unentbehrlicher iſt
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Große und kleine Städte.
reiſten Cultur, die Idee des Hellenismus. In den Gro߬
ſtädten aber, welche dieſe Idee in das Leben gerufen hat,
zeigte ſich wiederum zuerſt, daß die Ausbreitung griechiſcher
Bildung einen höheren Endzweck habe, als die Verherrlichung
des Griechenthums; ſie wurden inmitten der Landſchaft, welche
im Schatten des Heidenthums verharrte, die Urorte der chriſt¬
lichen Welt, und die Prachtſtadt am Orontes war es, wo eine
Chriſtengemeinde zuerſt ſo anſehnlich wurde, daß man ihre
Anhänger wie ein beſonderes Volk anzuſehen und zu benen¬
nen anfing.
Im Alterthum herrſcht eine Art von Selbſtaufopferung
der Völker. Sie gehen unter, nachdem ſie dasjenige hervor¬
gebracht haben, was, als ihr beſſeres Theil, Gemeingut der
Menſchheit werden ſoll, ihr Recht, ihre Kunſt oder Wiſſen¬
ſchaft. In der neuen Welt iſt kein ſolcher Gegenſatz zwiſchen
nationaler und menſchlicher Bildung. Wir können alſo den
großen Aufgaben, welche uns obliegen, um ſo freudiger ins
Auge ſchauen, und je mehr wir aus der Geſchichte lernen,
welche Bedeutung für nationale Einigung, für nationale Bil¬
dung und für wichtige Fortſchritte menſchlicher Cultur die
Großſtädte haben, um ſo höher werden wir von dem, was
wir zu leiſten haben, denken. Nicht als wollten wir einen
Rang vor Anderen in Anſpruch nehmen; unſer Vorrecht ſoll
kein anderes ſein, als daß wir unter größeren Schwierigkeiten
und auf einem ausgeſetzteren Poſten das Banner der Wiſſen¬
ſchaft zu halten haben. Hier iſt nicht, wie in eigentlichen Uni¬
verſitätsſtädten, Alles zum Vortheile des Gelehrten und ſeinen
Lebensbedürfniſſen entſprechend eingerichtet; vielmehr muß er
unter mancherlei Ungunſt ſeinen Zielen treu zu bleiben und
die Uebelſtände einer Großſtadt durch weiſe Oekonomie der
Kräfte auszugleichen ſuchen. Aber mit den Schwierigkeiten
wächſt die Lebenskunſt, mit dem Widerſtande die Kraft. Wir
fühlen, daß den Geſchäften des Tages gegenüber, welche Aller
Gedanken in Anſpruch nehmen, die zeitloſen und idealen In¬
tereſſen um ſo energiſcher vertreten werden müſſen. Je lauter
und verwirrender die Gegenwart, um ſo unentbehrlicher iſt
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/395>, abgerufen am 23.07.2024.
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