Heilmittel für das unglückliche Italien verzweifelnd, nur noch durch Anwendung der schärfsten Gifte eine günstige Krisis zu erzielen hoffen konnte. Für die Entwickelung seines Vaterlan¬ des war sein Buch ohne Erfolg, aber außerhalb desselben und weit über die Zeit hinaus, in die es eingreifen sollte, hat es durch Jahrhunderte lebendig fortgewirkt, bei Fürsten, Staats¬ männern und Historikern das Nachdenken anregend, Zustim¬ mung oder Widerspruch hervorrufend.
Freilich hat es auch bei den romanischen Völkern nie an Stimmen gefehlt, welche dem unbedingten Herrscherthum, ohne seine Nothwendigkeit in Abrede zu stellen, edlere Ziele vor¬ schrieben als das der klugen, macchiavellistischen Consequenz. Petrarca schrieb an den Herrn von Padua, er müsse nicht Herr seiner Bürger sein, sondern Vater des Vaterlandes, er müsse sie lieben wie Kinder, ja wie Glieder seines Leibes, und Fenelon rief seinem Zögling, als er Dauphin wurde, ins Gewissen, daß nicht Alle um des Einen, sondern Einer um Aller willen da sei.
Aber etwas ganz Anderes als diese wohlmeinenden An¬ sprachen, eine wirkliche Epoche in der Geschichte des König¬ thums war es doch, als ein deutscher Kronprinz einen Anti¬ macchiavell schrieb und darin nicht etwa bloß die Schärfen milderte, die äußersten Mittel ablehnte und einige Lichtseiten des Fürstenthums geltend machte, sondern ein ganz anderes Princip aufstellte, mit dem er sich unbewußt den edelsten Ideen anschloß, welche jemals im Königthum vertreten gewesen sind, und sich von allen Irrwegen am entschiedensten fern hielt.
Denn Keiner war freier als Friedrich von der unklaren Ueberschwänglichkeit orientalischer Vorstellungen, welche dem Glanze des Königthums wie ein Schatten gefolgt sind, Keiner entfernter von den Ansprüchen auf eine von der Gottheit pri¬ vilegirte Ausnahmestellung, welche aller menschlichen Verpflich¬ tungen enthöbe. Ihm war das Königthum, wie in Rom und Athen, ein Amt zum gemeinen Nutzen aller Angehörigen, und während er von Höfen umgeben war, in welchen Treibjagden und Prunkfeste die wichtigsten Staatsangelegenheiten waren, und
Die Idee des Königthums.
Heilmittel für das unglückliche Italien verzweifelnd, nur noch durch Anwendung der ſchärfſten Gifte eine günſtige Kriſis zu erzielen hoffen konnte. Für die Entwickelung ſeines Vaterlan¬ des war ſein Buch ohne Erfolg, aber außerhalb deſſelben und weit über die Zeit hinaus, in die es eingreifen ſollte, hat es durch Jahrhunderte lebendig fortgewirkt, bei Fürſten, Staats¬ männern und Hiſtorikern das Nachdenken anregend, Zuſtim¬ mung oder Widerſpruch hervorrufend.
Freilich hat es auch bei den romaniſchen Völkern nie an Stimmen gefehlt, welche dem unbedingten Herrſcherthum, ohne ſeine Nothwendigkeit in Abrede zu ſtellen, edlere Ziele vor¬ ſchrieben als das der klugen, macchiavelliſtiſchen Conſequenz. Petrarca ſchrieb an den Herrn von Padua, er müſſe nicht Herr ſeiner Bürger ſein, ſondern Vater des Vaterlandes, er müſſe ſie lieben wie Kinder, ja wie Glieder ſeines Leibes, und Fénélon rief ſeinem Zögling, als er Dauphin wurde, ins Gewiſſen, daß nicht Alle um des Einen, ſondern Einer um Aller willen da ſei.
Aber etwas ganz Anderes als dieſe wohlmeinenden An¬ ſprachen, eine wirkliche Epoche in der Geſchichte des König¬ thums war es doch, als ein deutſcher Kronprinz einen Anti¬ macchiavell ſchrieb und darin nicht etwa bloß die Schärfen milderte, die äußerſten Mittel ablehnte und einige Lichtſeiten des Fürſtenthums geltend machte, ſondern ein ganz anderes Princip aufſtellte, mit dem er ſich unbewußt den edelſten Ideen anſchloß, welche jemals im Königthum vertreten geweſen ſind, und ſich von allen Irrwegen am entſchiedenſten fern hielt.
Denn Keiner war freier als Friedrich von der unklaren Ueberſchwänglichkeit orientaliſcher Vorſtellungen, welche dem Glanze des Königthums wie ein Schatten gefolgt ſind, Keiner entfernter von den Anſprüchen auf eine von der Gottheit pri¬ vilegirte Ausnahmeſtellung, welche aller menſchlichen Verpflich¬ tungen enthöbe. Ihm war das Königthum, wie in Rom und Athen, ein Amt zum gemeinen Nutzen aller Angehörigen, und während er von Höfen umgeben war, in welchen Treibjagden und Prunkfeſte die wichtigſten Staatsangelegenheiten waren, und
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Die Idee des Königthums.
Heilmittel für das unglückliche Italien verzweifelnd, nur noch
durch Anwendung der ſchärfſten Gifte eine günſtige Kriſis zu
erzielen hoffen konnte. Für die Entwickelung ſeines Vaterlan¬
des war ſein Buch ohne Erfolg, aber außerhalb deſſelben und
weit über die Zeit hinaus, in die es eingreifen ſollte, hat es
durch Jahrhunderte lebendig fortgewirkt, bei Fürſten, Staats¬
männern und Hiſtorikern das Nachdenken anregend, Zuſtim¬
mung oder Widerſpruch hervorrufend.
Freilich hat es auch bei den romaniſchen Völkern nie an
Stimmen gefehlt, welche dem unbedingten Herrſcherthum, ohne
ſeine Nothwendigkeit in Abrede zu ſtellen, edlere Ziele vor¬
ſchrieben als das der klugen, macchiavelliſtiſchen Conſequenz.
Petrarca ſchrieb an den Herrn von Padua, er müſſe nicht
Herr ſeiner Bürger ſein, ſondern Vater des Vaterlandes, er
müſſe ſie lieben wie Kinder, ja wie Glieder ſeines Leibes, und
Fénélon rief ſeinem Zögling, als er Dauphin wurde, ins
Gewiſſen, daß nicht Alle um des Einen, ſondern Einer um
Aller willen da ſei.
Aber etwas ganz Anderes als dieſe wohlmeinenden An¬
ſprachen, eine wirkliche Epoche in der Geſchichte des König¬
thums war es doch, als ein deutſcher Kronprinz einen Anti¬
macchiavell ſchrieb und darin nicht etwa bloß die Schärfen
milderte, die äußerſten Mittel ablehnte und einige Lichtſeiten
des Fürſtenthums geltend machte, ſondern ein ganz anderes
Princip aufſtellte, mit dem er ſich unbewußt den edelſten Ideen
anſchloß, welche jemals im Königthum vertreten geweſen ſind,
und ſich von allen Irrwegen am entſchiedenſten fern hielt.
Denn Keiner war freier als Friedrich von der unklaren
Ueberſchwänglichkeit orientaliſcher Vorſtellungen, welche dem
Glanze des Königthums wie ein Schatten gefolgt ſind, Keiner
entfernter von den Anſprüchen auf eine von der Gottheit pri¬
vilegirte Ausnahmeſtellung, welche aller menſchlichen Verpflich¬
tungen enthöbe. Ihm war das Königthum, wie in Rom und
Athen, ein Amt zum gemeinen Nutzen aller Angehörigen, und
während er von Höfen umgeben war, in welchen Treibjagden
und Prunkfeſte die wichtigſten Staatsangelegenheiten waren, und
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/381>, abgerufen am 23.07.2024.
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