Nepoten in Italien. Die Idee des Gemeinwesens, welche für das Königthum des Occidents das charakteristische Merkmal ist, war so weit verloren, daß alle Bewegung nur von Einem ausging, in dessen Person der Staat verkörpert schien.
Was aber an Despotien, geistlichen wie weltlichen, in Europa zu Stande gekommen ist, unterscheidet sich von denen des Orients dadurch, daß hier die Vollherrschaft des Einzelnen die einheimische Regierungsform war; Land und Volk waren damit in Uebereinstimmung und darum konnte auch die ma߬ lose Willkürherrschaft einen harmloseren und patriarchalischen Charakter tragen.
Auf dem Boden europäischer Völker hat sie immer nur durch Umsturz des Bestehenden oder durch Entartung der Völker zu Stande kommen können. Darum wurde bei dem steten Ge¬ fühle der Unsicherheit das System eines künstlichen Zwangs viel absichtlicher ausgebildet, und während dem Orient zu allen Zeiten ein gewisses Gehen- und Gewährenlassen eigen gewesen ist, hat man hier, wo zur Freiheit geschaffene Völker nieder¬ gehalten werden mußten, alle geistigen Regungen der schärfsten Controle unterziehen müssen.
Solche Politik ist nicht ohne Erfolg gewesen und wenn große Völker, welche aus einander zu fallen drohten, durch straffe Concentration ihre Einheit gerettet und dadurch eine politische Ueberlegenheit über ihre Nachbarstaaten erlangt haben, sind solche Despotien, so lange sie von Erfolg begleitet waren, mit einem Nimbus von Glorie umgeben gewesen.
Je kleiner die Staaten waren, um so mehr wurde die Tyrannis zu einem Zerrbilde, und zu ihrer Rechtfertigung konnte im besten Falle nichts Anderes vorgebracht werden, als daß bei einer Verwahrlosung aller Landesinteressen, bei zunehmender Sittenlosigkeit und wechselnder Fremdherrschaft kein anderes Mittel vorhanden schien, einer vollständigen Auf¬ lösung vorzubeugen. Knechtisch gesinnte Völker müssen dem Loose der Knechtschaft verfallen und können nur durch Zucht¬ ruthen gebessert werden.
So dachte der große Florentiner, als er, an jedem andern
Die Idee des Königthums.
Nepoten in Italien. Die Idee des Gemeinweſens, welche für das Königthum des Occidents das charakteriſtiſche Merkmal iſt, war ſo weit verloren, daß alle Bewegung nur von Einem ausging, in deſſen Perſon der Staat verkörpert ſchien.
Was aber an Despotien, geiſtlichen wie weltlichen, in Europa zu Stande gekommen iſt, unterſcheidet ſich von denen des Orients dadurch, daß hier die Vollherrſchaft des Einzelnen die einheimiſche Regierungsform war; Land und Volk waren damit in Uebereinſtimmung und darum konnte auch die ma߬ loſe Willkürherrſchaft einen harmloſeren und patriarchaliſchen Charakter tragen.
Auf dem Boden europäiſcher Völker hat ſie immer nur durch Umſturz des Beſtehenden oder durch Entartung der Völker zu Stande kommen können. Darum wurde bei dem ſteten Ge¬ fühle der Unſicherheit das Syſtem eines künſtlichen Zwangs viel abſichtlicher ausgebildet, und während dem Orient zu allen Zeiten ein gewiſſes Gehen- und Gewährenlaſſen eigen geweſen iſt, hat man hier, wo zur Freiheit geſchaffene Völker nieder¬ gehalten werden mußten, alle geiſtigen Regungen der ſchärfſten Controle unterziehen müſſen.
Solche Politik iſt nicht ohne Erfolg geweſen und wenn große Völker, welche aus einander zu fallen drohten, durch ſtraffe Concentration ihre Einheit gerettet und dadurch eine politiſche Ueberlegenheit über ihre Nachbarſtaaten erlangt haben, ſind ſolche Despotien, ſo lange ſie von Erfolg begleitet waren, mit einem Nimbus von Glorie umgeben geweſen.
Je kleiner die Staaten waren, um ſo mehr wurde die Tyrannis zu einem Zerrbilde, und zu ihrer Rechtfertigung konnte im beſten Falle nichts Anderes vorgebracht werden, als daß bei einer Verwahrloſung aller Landesintereſſen, bei zunehmender Sittenloſigkeit und wechſelnder Fremdherrſchaft kein anderes Mittel vorhanden ſchien, einer vollſtändigen Auf¬ löſung vorzubeugen. Knechtiſch geſinnte Völker müſſen dem Looſe der Knechtſchaft verfallen und können nur durch Zucht¬ ruthen gebeſſert werden.
So dachte der große Florentiner, als er, an jedem andern
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Die Idee des Königthums.
Nepoten in Italien. Die Idee des Gemeinweſens, welche für
das Königthum des Occidents das charakteriſtiſche Merkmal
iſt, war ſo weit verloren, daß alle Bewegung nur von Einem
ausging, in deſſen Perſon der Staat verkörpert ſchien.
Was aber an Despotien, geiſtlichen wie weltlichen, in
Europa zu Stande gekommen iſt, unterſcheidet ſich von denen
des Orients dadurch, daß hier die Vollherrſchaft des Einzelnen
die einheimiſche Regierungsform war; Land und Volk waren
damit in Uebereinſtimmung und darum konnte auch die ma߬
loſe Willkürherrſchaft einen harmloſeren und patriarchaliſchen
Charakter tragen.
Auf dem Boden europäiſcher Völker hat ſie immer nur
durch Umſturz des Beſtehenden oder durch Entartung der Völker
zu Stande kommen können. Darum wurde bei dem ſteten Ge¬
fühle der Unſicherheit das Syſtem eines künſtlichen Zwangs
viel abſichtlicher ausgebildet, und während dem Orient zu allen
Zeiten ein gewiſſes Gehen- und Gewährenlaſſen eigen geweſen
iſt, hat man hier, wo zur Freiheit geſchaffene Völker nieder¬
gehalten werden mußten, alle geiſtigen Regungen der ſchärfſten
Controle unterziehen müſſen.
Solche Politik iſt nicht ohne Erfolg geweſen und wenn
große Völker, welche aus einander zu fallen drohten, durch
ſtraffe Concentration ihre Einheit gerettet und dadurch eine
politiſche Ueberlegenheit über ihre Nachbarſtaaten erlangt haben,
ſind ſolche Despotien, ſo lange ſie von Erfolg begleitet waren,
mit einem Nimbus von Glorie umgeben geweſen.
Je kleiner die Staaten waren, um ſo mehr wurde die
Tyrannis zu einem Zerrbilde, und zu ihrer Rechtfertigung
konnte im beſten Falle nichts Anderes vorgebracht werden,
als daß bei einer Verwahrloſung aller Landesintereſſen, bei
zunehmender Sittenloſigkeit und wechſelnder Fremdherrſchaft
kein anderes Mittel vorhanden ſchien, einer vollſtändigen Auf¬
löſung vorzubeugen. Knechtiſch geſinnte Völker müſſen dem
Looſe der Knechtſchaft verfallen und können nur durch Zucht¬
ruthen gebeſſert werden.
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/380>, abgerufen am 23.07.2024.
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