Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Idee des Königthums. trunken von der heimischen Sitte sich losriß, wie Alexander,und den Boden unter den Füßen verlor. Die Idee von einem Herrn und einem Reiche wurde Im Oriente hatte das Alleinherrscherthum eine im Ganzen Dieser Macht gegenüber gab es nun eine zwiefache Mög¬ Die Idee des Königthums. trunken von der heimiſchen Sitte ſich losriß, wie Alexander,und den Boden unter den Füßen verlor. Die Idee von einem Herrn und einem Reiche wurde Im Oriente hatte das Alleinherrſcherthum eine im Ganzen Dieſer Macht gegenüber gab es nun eine zwiefache Mög¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0379" n="363"/><fw place="top" type="header">Die Idee des Königthums.<lb/></fw>trunken von der heimiſchen Sitte ſich losriß, wie Alexander,<lb/> und den Boden unter den Füßen verlor.</p><lb/> <p>Die Idee von <hi rendition="#g">einem</hi> Herrn und <hi rendition="#g">einem</hi> Reiche wurde<lb/> aber um ſo verhängnißvoller, da ſich der Verwirklichung des<lb/> neuen Imperatorenthums eine zweite Macht gegenüberſtellte,<lb/> welche ebenfalls unbedingte Herrſchaft in Anſpruch nahm.</p><lb/> <p>Im Oriente hatte das Alleinherrſcherthum eine im Ganzen<lb/> unangefochtene Stellung, weil ſich die Prieſterſchaft weſentlich<lb/> mit ihm identificirt hatte und das unſichtbare Centrum der<lb/> weltlichen Ordnung bildete. Jetzt erhob ſich eine geiſtliche<lb/> Macht, die in ihrem eignen Fürſten gipfelte, welcher ſich ſeiner¬<lb/> ſeits alle Attribute orientaliſcher Alleinherrſchaft beilegte und<lb/> den Anſpruch auf eine die Welt umſpannende Herrſchaft erhob,<lb/> der Menſchen und Völker unterworfen ſind, ohne es zu wollen<lb/> und zu wiſſen. Dieſe Herrſchaft ſollte freilich eine nebengeord¬<lb/> nete und ihren eigenen Lebenskreis verwaltende ſein. Indeſſen<lb/> konnte ſie, als im beſonderen Auftrage Gottes handelnd, in der<lb/> That nicht anders als eine wirkliche Ueberlegenheit in Anſpruch<lb/> nehmen. Wenn daher auch ein Mann, wie Thomas von<lb/> Aquino in ſeinem an den jungen König von Cypern gerichte¬<lb/> ten Regentenſpiegel noch ſo würdig und verſtändig von dem<lb/> weltlichen Fürſtenregimente ſpricht, ſo trägt er doch kein Be¬<lb/> denken die ſelbſt mit ariſtoteliſchen Worten unterſtützte Schlu߬<lb/> folgerung zu ziehen, daß ein vom kirchlichen Bekenntniß ab¬<lb/> weichender Fürſt dadurch ſelbſtverſtändlich ſeines Herrſcher¬<lb/> amts verluſtig gehe.</p><lb/> <p>Dieſer Macht gegenüber gab es nun eine zwiefache Mög¬<lb/> lichkeit; man mußte ſie als Gegner anſehen oder als Bundes¬<lb/> genoſſen. Das deutſche Kaiſerthum hat den Kampf aufgenom¬<lb/> men und iſt daran verblutet. In den romaniſchen Völkern<lb/> ſtellte ſich das weltliche Fürſtenthum in den Dienſt der Gegen¬<lb/> macht und erlangte, von prieſterlichen Inſtitutionen umgeben,<lb/> wie es im Orient der Fall geweſen war, den Völkern gegen¬<lb/> über den höchſten Grad von Machtfülle, welcher in europäiſchen<lb/> Staaten erreicht worden iſt; ſo die Herrſchaft Philipp's <hi rendition="#aq">II</hi>.<lb/> und ſeiner Nachfolger, die der Bourbonen in Frankreich, der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [363/0379]
Die Idee des Königthums.
trunken von der heimiſchen Sitte ſich losriß, wie Alexander,
und den Boden unter den Füßen verlor.
Die Idee von einem Herrn und einem Reiche wurde
aber um ſo verhängnißvoller, da ſich der Verwirklichung des
neuen Imperatorenthums eine zweite Macht gegenüberſtellte,
welche ebenfalls unbedingte Herrſchaft in Anſpruch nahm.
Im Oriente hatte das Alleinherrſcherthum eine im Ganzen
unangefochtene Stellung, weil ſich die Prieſterſchaft weſentlich
mit ihm identificirt hatte und das unſichtbare Centrum der
weltlichen Ordnung bildete. Jetzt erhob ſich eine geiſtliche
Macht, die in ihrem eignen Fürſten gipfelte, welcher ſich ſeiner¬
ſeits alle Attribute orientaliſcher Alleinherrſchaft beilegte und
den Anſpruch auf eine die Welt umſpannende Herrſchaft erhob,
der Menſchen und Völker unterworfen ſind, ohne es zu wollen
und zu wiſſen. Dieſe Herrſchaft ſollte freilich eine nebengeord¬
nete und ihren eigenen Lebenskreis verwaltende ſein. Indeſſen
konnte ſie, als im beſonderen Auftrage Gottes handelnd, in der
That nicht anders als eine wirkliche Ueberlegenheit in Anſpruch
nehmen. Wenn daher auch ein Mann, wie Thomas von
Aquino in ſeinem an den jungen König von Cypern gerichte¬
ten Regentenſpiegel noch ſo würdig und verſtändig von dem
weltlichen Fürſtenregimente ſpricht, ſo trägt er doch kein Be¬
denken die ſelbſt mit ariſtoteliſchen Worten unterſtützte Schlu߬
folgerung zu ziehen, daß ein vom kirchlichen Bekenntniß ab¬
weichender Fürſt dadurch ſelbſtverſtändlich ſeines Herrſcher¬
amts verluſtig gehe.
Dieſer Macht gegenüber gab es nun eine zwiefache Mög¬
lichkeit; man mußte ſie als Gegner anſehen oder als Bundes¬
genoſſen. Das deutſche Kaiſerthum hat den Kampf aufgenom¬
men und iſt daran verblutet. In den romaniſchen Völkern
ſtellte ſich das weltliche Fürſtenthum in den Dienſt der Gegen¬
macht und erlangte, von prieſterlichen Inſtitutionen umgeben,
wie es im Orient der Fall geweſen war, den Völkern gegen¬
über den höchſten Grad von Machtfülle, welcher in europäiſchen
Staaten erreicht worden iſt; ſo die Herrſchaft Philipp's II.
und ſeiner Nachfolger, die der Bourbonen in Frankreich, der
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