nicht unwürdig sein, von diesem Standpunkt den Antimacchiavell in das Auge zu fassen.
Es giebt aber für den, welcher der Entwickelung der menschlichen Gesellschaft nachforscht, kaum einen Gegenstand von fesselnderem Interesse als die Geschichte des Königthums. Es ist von Anfang an ein Gegebenes wie Staat und Familie. Kein Mensch hat es ersonnen, kein Volk zuerst bei sich ein¬ geführt, und bis auf den heutigen Tag ist es unmöglich ein Königthum zu schaffen, wie man andere Aemter nach Bedürf¬ niß einrichtet. Es gehört zu den Urformen der Gesellschaft, welche nie verbraucht sind. Im bunten Wechsel der irdischen Dinge hat es sich als die dauerhafteste aller öffentlichen In¬ stitutionen bewährt, obgleich keine auf gleiche Weise in den Kampf der Gegensätze hereingezogen worden ist. Und zwar sind es nicht blos die Träger der Krone gewesen, welche sie durch ihre persönlichen Tugenden im Ansehen gehoben oder durch Mißbrauch und Unfähigkeit entwürdigt haben, sondern das Königthum selbst ist bald als die einzige und nothwendige Staatsform angesehen worden, bald als ein unnützer Luxus, dem man bei vorgeschrittener Volksbildung entsagen müsse. Man hat es als den Grundstein staatlicher Macht, als die Bürgschaft wahrer Freiheit und den Hort des öffentlichen Wohlstandes gepriesen und wieder als eine Fessel, die den Fortschritt hemme, und als eine Quelle von Mißbräuchen an¬ gefeindet. Man hat den blutigen Sturz des Königthums als einen Triumph der Menschheit gefeiert, und doch haben die, welche stolz darauf waren mit allen Vorurtheilen der Ver¬ gangenheit am entschlossensten gebrochen zu haben, zu den schlechtesten Surrogaten des Königthums ihre Zuflucht nehmen müssen und geben uns die ernste Lehre, daß diejenigen Völker am unglücklichsten sind, welche nicht mit und nicht ohne König leben können.
So hat die Idee des Königthums ihren Gang durch die Weltgeschichte gemacht, wie ein Glaubenssatz, welcher angefoch¬ ten, verworfen, verhöhnt, aber nicht aus dem Wege geschafft werden kann, und da kein geschichtliches Volk umhin gekonnt
Die Idee des Königthums.
nicht unwürdig ſein, von dieſem Standpunkt den Antimacchiavell in das Auge zu faſſen.
Es giebt aber für den, welcher der Entwickelung der menſchlichen Geſellſchaft nachforſcht, kaum einen Gegenſtand von feſſelnderem Intereſſe als die Geſchichte des Königthums. Es iſt von Anfang an ein Gegebenes wie Staat und Familie. Kein Menſch hat es erſonnen, kein Volk zuerſt bei ſich ein¬ geführt, und bis auf den heutigen Tag iſt es unmöglich ein Königthum zu ſchaffen, wie man andere Aemter nach Bedürf¬ niß einrichtet. Es gehört zu den Urformen der Geſellſchaft, welche nie verbraucht ſind. Im bunten Wechſel der irdiſchen Dinge hat es ſich als die dauerhafteſte aller öffentlichen In¬ ſtitutionen bewährt, obgleich keine auf gleiche Weiſe in den Kampf der Gegenſätze hereingezogen worden iſt. Und zwar ſind es nicht blos die Träger der Krone geweſen, welche ſie durch ihre perſönlichen Tugenden im Anſehen gehoben oder durch Mißbrauch und Unfähigkeit entwürdigt haben, ſondern das Königthum ſelbſt iſt bald als die einzige und nothwendige Staatsform angeſehen worden, bald als ein unnützer Luxus, dem man bei vorgeſchrittener Volksbildung entſagen müſſe. Man hat es als den Grundſtein ſtaatlicher Macht, als die Bürgſchaft wahrer Freiheit und den Hort des öffentlichen Wohlſtandes geprieſen und wieder als eine Feſſel, die den Fortſchritt hemme, und als eine Quelle von Mißbräuchen an¬ gefeindet. Man hat den blutigen Sturz des Königthums als einen Triumph der Menſchheit gefeiert, und doch haben die, welche ſtolz darauf waren mit allen Vorurtheilen der Ver¬ gangenheit am entſchloſſenſten gebrochen zu haben, zu den ſchlechteſten Surrogaten des Königthums ihre Zuflucht nehmen müſſen und geben uns die ernſte Lehre, daß diejenigen Völker am unglücklichſten ſind, welche nicht mit und nicht ohne König leben können.
So hat die Idee des Königthums ihren Gang durch die Weltgeſchichte gemacht, wie ein Glaubensſatz, welcher angefoch¬ ten, verworfen, verhöhnt, aber nicht aus dem Wege geſchafft werden kann, und da kein geſchichtliches Volk umhin gekonnt
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Die Idee des Königthums.
nicht unwürdig ſein, von dieſem Standpunkt den Antimacchiavell
in das Auge zu faſſen.
Es giebt aber für den, welcher der Entwickelung der
menſchlichen Geſellſchaft nachforſcht, kaum einen Gegenſtand
von feſſelnderem Intereſſe als die Geſchichte des Königthums.
Es iſt von Anfang an ein Gegebenes wie Staat und Familie.
Kein Menſch hat es erſonnen, kein Volk zuerſt bei ſich ein¬
geführt, und bis auf den heutigen Tag iſt es unmöglich ein
Königthum zu ſchaffen, wie man andere Aemter nach Bedürf¬
niß einrichtet. Es gehört zu den Urformen der Geſellſchaft,
welche nie verbraucht ſind. Im bunten Wechſel der irdiſchen
Dinge hat es ſich als die dauerhafteſte aller öffentlichen In¬
ſtitutionen bewährt, obgleich keine auf gleiche Weiſe in den
Kampf der Gegenſätze hereingezogen worden iſt. Und zwar
ſind es nicht blos die Träger der Krone geweſen, welche ſie
durch ihre perſönlichen Tugenden im Anſehen gehoben oder
durch Mißbrauch und Unfähigkeit entwürdigt haben, ſondern
das Königthum ſelbſt iſt bald als die einzige und nothwendige
Staatsform angeſehen worden, bald als ein unnützer Luxus,
dem man bei vorgeſchrittener Volksbildung entſagen müſſe.
Man hat es als den Grundſtein ſtaatlicher Macht, als die
Bürgſchaft wahrer Freiheit und den Hort des öffentlichen
Wohlſtandes geprieſen und wieder als eine Feſſel, die den
Fortſchritt hemme, und als eine Quelle von Mißbräuchen an¬
gefeindet. Man hat den blutigen Sturz des Königthums als
einen Triumph der Menſchheit gefeiert, und doch haben die,
welche ſtolz darauf waren mit allen Vorurtheilen der Ver¬
gangenheit am entſchloſſenſten gebrochen zu haben, zu den
ſchlechteſten Surrogaten des Königthums ihre Zuflucht nehmen
müſſen und geben uns die ernſte Lehre, daß diejenigen Völker
am unglücklichſten ſind, welche nicht mit und nicht ohne König
leben können.
So hat die Idee des Königthums ihren Gang durch die
Weltgeſchichte gemacht, wie ein Glaubensſatz, welcher angefoch¬
ten, verworfen, verhöhnt, aber nicht aus dem Wege geſchafft
werden kann, und da kein geſchichtliches Volk umhin gekonnt
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/373>, abgerufen am 23.11.2024.
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