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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Weihe des Siegs.
nicht nur durch unsere Amtsgenossen, welche das Glück hatten
sich am Feldzuge persönlich betheiligen zu können, auch nicht
nur durch unsere Studenten, welche ihrer Väter würdig sich
wie 1813 und 14 aus diesen Hörsälen zu den Fahnen drängten
und ihr jugendfrisches Leben für das Vaterland einsetzten,
sondern auch durch die gesamte Thätigkeit unserer Anstalt.
Denn der Geist, den wir hier zu pflegen haben, ist derselbe,
welcher zu jeder ernsten Lebensaufgabe tüchtig macht; es ist
keine aus vielerlei Stücken künstlich zusammengesetzte Rüstung,
sondern es ist ein geistiger Zug, der Zug zum Ewigen, der
Trieb nach Erkenntniß, der Ernst der Ueberzeugung, die Be¬
sonnenheit des Urtheils, es ist mit einem Worte der deutsche
Wahrheitssinn, dessen volle Bedeutung uns durch den Gegen¬
satz von Neuem recht vor Augen getreten ist.

Denn was ist von Anfang an unserm Feinde verderblicher
gewesen als der Mangel an Wahrheitssinn? Verwöhnt und
verzogen von den andern Völkern, welche seine Sprache nach¬
sprechen und seine Moden nachäffen und den Grad der darin
erlangten Fertigkeit zum Maßstabe höherer Bildung machen,
glaubte er in der That einen Vorrang zu besitzen, welchen
keine Nation der Erde ihm streitig machen könne. Selbstüber¬
hebung ist der Keim seines Unglücks gewesen; denn darin
wurzelt alle Sorglosigkeit und Fahrlässigkeit und jene völlige
Täuschung über die Zustände des Nachbarvolks, das man im
tiefsten Frieden zu überfallen wagte.

Der deutsche Wahrheitssinn ist zweitens ein Geist der
Freiheit, ein Geist, der sich nicht beugt unter die Macht ein¬
zelner Kreise, die sich als Vertreter des Volksgeistes vordrängen,
und einzelner Schlagwörter, die als Parolen ausgegeben wer¬
den. Nirgends ist pomphafter als im Nachbarlande die Freiheit
als Menschenrecht und Staatsprincip proclamirt worden, und
nirgends hat man das unveräußerlichste Menschenrecht, das
der freien Selbstprüfung, leichtfertiger preisgegeben und nir¬
gends sich auf unwürdigere Weise von unberechtigten Minori¬
täten knechten lassen.

Endlich, was die Hauptsache ist, die sittliche Macht, welche

Die Weihe des Siegs.
nicht nur durch unſere Amtsgenoſſen, welche das Glück hatten
ſich am Feldzuge perſönlich betheiligen zu können, auch nicht
nur durch unſere Studenten, welche ihrer Väter würdig ſich
wie 1813 und 14 aus dieſen Hörſälen zu den Fahnen drängten
und ihr jugendfriſches Leben für das Vaterland einſetzten,
ſondern auch durch die geſamte Thätigkeit unſerer Anſtalt.
Denn der Geiſt, den wir hier zu pflegen haben, iſt derſelbe,
welcher zu jeder ernſten Lebensaufgabe tüchtig macht; es iſt
keine aus vielerlei Stücken künſtlich zuſammengeſetzte Rüſtung,
ſondern es iſt ein geiſtiger Zug, der Zug zum Ewigen, der
Trieb nach Erkenntniß, der Ernſt der Ueberzeugung, die Be¬
ſonnenheit des Urtheils, es iſt mit einem Worte der deutſche
Wahrheitsſinn, deſſen volle Bedeutung uns durch den Gegen¬
ſatz von Neuem recht vor Augen getreten iſt.

Denn was iſt von Anfang an unſerm Feinde verderblicher
geweſen als der Mangel an Wahrheitsſinn? Verwöhnt und
verzogen von den andern Völkern, welche ſeine Sprache nach¬
ſprechen und ſeine Moden nachäffen und den Grad der darin
erlangten Fertigkeit zum Maßſtabe höherer Bildung machen,
glaubte er in der That einen Vorrang zu beſitzen, welchen
keine Nation der Erde ihm ſtreitig machen könne. Selbſtüber¬
hebung iſt der Keim ſeines Unglücks geweſen; denn darin
wurzelt alle Sorgloſigkeit und Fahrläſſigkeit und jene völlige
Täuſchung über die Zuſtände des Nachbarvolks, das man im
tiefſten Frieden zu überfallen wagte.

Der deutſche Wahrheitsſinn iſt zweitens ein Geiſt der
Freiheit, ein Geiſt, der ſich nicht beugt unter die Macht ein¬
zelner Kreiſe, die ſich als Vertreter des Volksgeiſtes vordrängen,
und einzelner Schlagwörter, die als Parolen ausgegeben wer¬
den. Nirgends iſt pomphafter als im Nachbarlande die Freiheit
als Menſchenrecht und Staatsprincip proclamirt worden, und
nirgends hat man das unveräußerlichſte Menſchenrecht, das
der freien Selbſtprüfung, leichtfertiger preisgegeben und nir¬
gends ſich auf unwürdigere Weiſe von unberechtigten Minori¬
täten knechten laſſen.

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[348/0364] Die Weihe des Siegs. nicht nur durch unſere Amtsgenoſſen, welche das Glück hatten ſich am Feldzuge perſönlich betheiligen zu können, auch nicht nur durch unſere Studenten, welche ihrer Väter würdig ſich wie 1813 und 14 aus dieſen Hörſälen zu den Fahnen drängten und ihr jugendfriſches Leben für das Vaterland einſetzten, ſondern auch durch die geſamte Thätigkeit unſerer Anſtalt. Denn der Geiſt, den wir hier zu pflegen haben, iſt derſelbe, welcher zu jeder ernſten Lebensaufgabe tüchtig macht; es iſt keine aus vielerlei Stücken künſtlich zuſammengeſetzte Rüſtung, ſondern es iſt ein geiſtiger Zug, der Zug zum Ewigen, der Trieb nach Erkenntniß, der Ernſt der Ueberzeugung, die Be¬ ſonnenheit des Urtheils, es iſt mit einem Worte der deutſche Wahrheitsſinn, deſſen volle Bedeutung uns durch den Gegen¬ ſatz von Neuem recht vor Augen getreten iſt. Denn was iſt von Anfang an unſerm Feinde verderblicher geweſen als der Mangel an Wahrheitsſinn? Verwöhnt und verzogen von den andern Völkern, welche ſeine Sprache nach¬ ſprechen und ſeine Moden nachäffen und den Grad der darin erlangten Fertigkeit zum Maßſtabe höherer Bildung machen, glaubte er in der That einen Vorrang zu beſitzen, welchen keine Nation der Erde ihm ſtreitig machen könne. Selbſtüber¬ hebung iſt der Keim ſeines Unglücks geweſen; denn darin wurzelt alle Sorgloſigkeit und Fahrläſſigkeit und jene völlige Täuſchung über die Zuſtände des Nachbarvolks, das man im tiefſten Frieden zu überfallen wagte. Der deutſche Wahrheitsſinn iſt zweitens ein Geiſt der Freiheit, ein Geiſt, der ſich nicht beugt unter die Macht ein¬ zelner Kreiſe, die ſich als Vertreter des Volksgeiſtes vordrängen, und einzelner Schlagwörter, die als Parolen ausgegeben wer¬ den. Nirgends iſt pomphafter als im Nachbarlande die Freiheit als Menſchenrecht und Staatsprincip proclamirt worden, und nirgends hat man das unveräußerlichſte Menſchenrecht, das der freien Selbſtprüfung, leichtfertiger preisgegeben und nir¬ gends ſich auf unwürdigere Weiſe von unberechtigten Minori¬ täten knechten laſſen. Endlich, was die Hauptſache iſt, die ſittliche Macht, welche

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/364>, abgerufen am 23.11.2024.