Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die patriotische Pflicht der Parteinahme. so lehrt sie noch viel vernehmlicher, daß dieselben durch Par¬teiung untergegangen sind. Dies ist dort am deutlichsten, wo die Staaten schon im Verfalle begriffen sind und in ihrem allgemeinen Siechthume die Erschütterung heftiger Partei¬ bewegung nicht mehr vertragen. Sie sind mit ihren mi߬ bräuchlichen Einrichtungen so verwachsen, daß die Angriffe auf dieselben die Existenz des Staats gefährden. So war es mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬ richtet waren. In diesem Falle zerstört die Partei nur, was untergehen Diese Erscheinungen zeigen sich zuerst bei Parteien, welche Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. ſo lehrt ſie noch viel vernehmlicher, daß dieſelben durch Par¬teiung untergegangen ſind. Dies iſt dort am deutlichſten, wo die Staaten ſchon im Verfalle begriffen ſind und in ihrem allgemeinen Siechthume die Erſchütterung heftiger Partei¬ bewegung nicht mehr vertragen. Sie ſind mit ihren mi߬ bräuchlichen Einrichtungen ſo verwachſen, daß die Angriffe auf dieſelben die Exiſtenz des Staats gefährden. So war es mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬ richtet waren. In dieſem Falle zerſtört die Partei nur, was untergehen Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich zuerſt bei Parteien, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0343" n="327"/><fw place="top" type="header">Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.<lb/></fw>ſo lehrt ſie noch viel vernehmlicher, daß dieſelben durch Par¬<lb/> teiung untergegangen ſind. Dies iſt dort am deutlichſten, wo<lb/> die Staaten ſchon im Verfalle begriffen ſind und in ihrem<lb/> allgemeinen Siechthume die Erſchütterung heftiger Partei¬<lb/> bewegung nicht mehr vertragen. Sie ſind mit ihren mi߬<lb/> bräuchlichen Einrichtungen ſo verwachſen, daß die Angriffe<lb/> auf dieſelben die Exiſtenz des Staats gefährden. So war es<lb/> mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬<lb/> richtet waren.</p><lb/> <p>In dieſem Falle zerſtört die Partei nur, was untergehen<lb/> mußte, und bringt ein wankendes Gebäude zum Fall. Sie<lb/> untergräbt aber auch die Kraft des geſunden Staats und<lb/> zwar zunächſt durch ihren Einfluß auf die Sittlichkeit. Wer<lb/> ſich einer Partei anſchließt, giebt immer etwas von ſeiner<lb/> Selbſtändigkeit auf; denn ohne gegenſeitiges Nachgeben kann<lb/> keine Parteimacht zu Stande kommen. Dadurch entſteht Un¬<lb/> freiheit und Unwahrheit. Man gewöhnt ſich, nicht mehr rein<lb/> und voll aus dem eigenen Bewußtſein heraus zu handeln und<lb/> die Stimme des Gewiſſens zu überhören. Die Ruhigeren<lb/> werden von den Heftigeren fortgezogen und in der Leiden¬<lb/> ſchaft geht die Tugend der Beſonnenheit unter. Dieſe ſitt¬<lb/> lichen Gefahren bedrohen den Staat noch nicht unmittelbar,<lb/> ſo lange der Gemeinſinn alle Sonderbeſtrebungen überwiegt.<lb/> So wie aber die Idee des Staats ihre Kraft verliert, ſo wie<lb/> dieſe untergeordneten Bildungen, die nur zu einer vorüber¬<lb/> gehenden Exiſtenz im Organismus berechtigt ſind, eine ſelbſt¬<lb/> ſtändige, dauernde und vom Ganzen unabhängige Wirkſamkeit<lb/> ſich anmaßen, dann beginnen die krankhaften Zuſtände.</p><lb/> <p>Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich zuerſt bei Parteien, welche<lb/> ſich überlebt haben. Ihre Zeit iſt vorüber, aber ſie halten<lb/> mit eigenſinnigem Trotze an ihren Anſichten feſt. So werden<lb/> aus Parteien Cliquen oder Factionen. Parteien können und<lb/> ſollen ohne Erbitterung ſein; das Weſen der Faction iſt die<lb/> Gehäſſigkeit und Verbiſſenheit; ihre Kampfart iſt die Wühlerei<lb/> und Intrigue, ihre Waffen ſind giftige Pfeile, die aus dem<lb/> Dunkeln fliegen. Hier entwickelt ſich zuerſt eine Feindſchaft<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [327/0343]
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
ſo lehrt ſie noch viel vernehmlicher, daß dieſelben durch Par¬
teiung untergegangen ſind. Dies iſt dort am deutlichſten, wo
die Staaten ſchon im Verfalle begriffen ſind und in ihrem
allgemeinen Siechthume die Erſchütterung heftiger Partei¬
bewegung nicht mehr vertragen. Sie ſind mit ihren mi߬
bräuchlichen Einrichtungen ſo verwachſen, daß die Angriffe
auf dieſelben die Exiſtenz des Staats gefährden. So war es
mit den Angriffen, welche in Rom gegen die Nobilität ge¬
richtet waren.
In dieſem Falle zerſtört die Partei nur, was untergehen
mußte, und bringt ein wankendes Gebäude zum Fall. Sie
untergräbt aber auch die Kraft des geſunden Staats und
zwar zunächſt durch ihren Einfluß auf die Sittlichkeit. Wer
ſich einer Partei anſchließt, giebt immer etwas von ſeiner
Selbſtändigkeit auf; denn ohne gegenſeitiges Nachgeben kann
keine Parteimacht zu Stande kommen. Dadurch entſteht Un¬
freiheit und Unwahrheit. Man gewöhnt ſich, nicht mehr rein
und voll aus dem eigenen Bewußtſein heraus zu handeln und
die Stimme des Gewiſſens zu überhören. Die Ruhigeren
werden von den Heftigeren fortgezogen und in der Leiden¬
ſchaft geht die Tugend der Beſonnenheit unter. Dieſe ſitt¬
lichen Gefahren bedrohen den Staat noch nicht unmittelbar,
ſo lange der Gemeinſinn alle Sonderbeſtrebungen überwiegt.
So wie aber die Idee des Staats ihre Kraft verliert, ſo wie
dieſe untergeordneten Bildungen, die nur zu einer vorüber¬
gehenden Exiſtenz im Organismus berechtigt ſind, eine ſelbſt¬
ſtändige, dauernde und vom Ganzen unabhängige Wirkſamkeit
ſich anmaßen, dann beginnen die krankhaften Zuſtände.
Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich zuerſt bei Parteien, welche
ſich überlebt haben. Ihre Zeit iſt vorüber, aber ſie halten
mit eigenſinnigem Trotze an ihren Anſichten feſt. So werden
aus Parteien Cliquen oder Factionen. Parteien können und
ſollen ohne Erbitterung ſein; das Weſen der Faction iſt die
Gehäſſigkeit und Verbiſſenheit; ihre Kampfart iſt die Wühlerei
und Intrigue, ihre Waffen ſind giftige Pfeile, die aus dem
Dunkeln fliegen. Hier entwickelt ſich zuerſt eine Feindſchaft
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |