Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die patriotische Pflicht der Parteinahme. Kampfe entzog, der es bequem fand, demselben wohlgeborgenzuzuschauen und die Entscheidung abzuwarten, um sich dann den Siegern anzuschließen. Wenn eine solche Gesinnung Nach¬ folge fände, so würde die Stadt Gefahr laufen, einer Minder¬ zahl entschlossener Parteigänger als Beute in die Hände zu fallen. Daher sah Solon eine feige Neutralität als Verrath am Vaterlande an, als ein Verbrechen, durch welches die Bürgerehre verwirkt werde. Findet auf diese Weise Solon's Ausspruch in dem Charakter Auf diese Weise lernen wir auch in der alten Geschichte Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. Kampfe entzog, der es bequem fand, demſelben wohlgeborgenzuzuſchauen und die Entſcheidung abzuwarten, um ſich dann den Siegern anzuſchließen. Wenn eine ſolche Geſinnung Nach¬ folge fände, ſo würde die Stadt Gefahr laufen, einer Minder¬ zahl entſchloſſener Parteigänger als Beute in die Hände zu fallen. Daher ſah Solon eine feige Neutralität als Verrath am Vaterlande an, als ein Verbrechen, durch welches die Bürgerehre verwirkt werde. Findet auf dieſe Weiſe Solon's Ausſpruch in dem Charakter Auf dieſe Weiſe lernen wir auch in der alten Geſchichte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0340" n="324"/><fw place="top" type="header">Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.<lb/></fw> Kampfe entzog, der es bequem fand, demſelben wohlgeborgen<lb/> zuzuſchauen und die Entſcheidung abzuwarten, um ſich dann<lb/> den Siegern anzuſchließen. Wenn eine ſolche Geſinnung Nach¬<lb/> folge fände, ſo würde die Stadt Gefahr laufen, einer Minder¬<lb/> zahl entſchloſſener Parteigänger als Beute in die Hände zu<lb/> fallen. Daher ſah Solon eine feige Neutralität als Verrath<lb/> am Vaterlande an, als ein Verbrechen, durch welches die<lb/> Bürgerehre verwirkt werde.</p><lb/> <p>Findet auf dieſe Weiſe Solon's Ausſpruch in dem Charakter<lb/> des Volks ſeine Erklärung, ſo ergiebt ſich daraus auch die Bedeu¬<lb/> tung der alten Geſchichte für die allgemeine Betrachtung der<lb/> menſchlichen Dinge; denn keine Zeit iſt lehrreicher und anziehen¬<lb/> der für uns als die einer lebhaften Parteibewegung. Da ſind<lb/> alle Kräfte in Spannung, da tritt im Guten wie im Böſen die<lb/> wahre Natur des Menſchen zu Tage. Die Partei bringt das<lb/> ſtehende Waſſer in Fluß, ſie macht das Epos der Geſchichte<lb/> zum Drama; ja, wir werden aus Zuhörern und Zuſchauern<lb/> zu unmittelbaren Theilnehmern. Wie wir als Kinder für<lb/> Hektor oder für Achilleus ſchwärmten, ſo treten wir auch als<lb/> Männer in den Kampf der Parteien ein; wie müſſen das Für<lb/> und Wider in uns ſelbſt zur Entſcheidung bringen, und die<lb/> neue Lebenswärme, welche ſeit Niebuhr in die Betrachtung<lb/> des Alterthums eingedrungen iſt, beruht ſie nicht weſentlich<lb/> darauf, daß er ſich nicht begnügte, mit dem kühlen Verſtande<lb/> des Kritikers die überlieferten Thatſachen zu prüfen, ſondern<lb/> bei jeder Parteibewegung, wie ein echter Bürger nach dem<lb/> Herzen Solon's, ſich die Gewiſſensfrage vorlegte: Auf welcher<lb/> Seite würdeſt du geſtanden haben? Nur auf dieſe Weiſe wird<lb/> die Geſchichte zu einer Bildungsſchule des politiſchen Urtheils,<lb/> zu einer ethiſchen Wiſſenſchaft.</p><lb/> <p>Auf dieſe Weiſe lernen wir auch in der alten Geſchichte<lb/> das Weſen der Partei und ihre verſchiedenen Arten am gründ¬<lb/> lichſten kennen. Wir erkennen als die älteſte derſelben die¬<lb/> jenige, welche auf natürlichen Unterſchieden beruht. Die Stämme<lb/> einer Nation, von Natur verſchieden begabt, entfremden ſich<lb/> einander, nachdem ſie in getrennten Wohnſitzen ihre beſonderen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [324/0340]
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
Kampfe entzog, der es bequem fand, demſelben wohlgeborgen
zuzuſchauen und die Entſcheidung abzuwarten, um ſich dann
den Siegern anzuſchließen. Wenn eine ſolche Geſinnung Nach¬
folge fände, ſo würde die Stadt Gefahr laufen, einer Minder¬
zahl entſchloſſener Parteigänger als Beute in die Hände zu
fallen. Daher ſah Solon eine feige Neutralität als Verrath
am Vaterlande an, als ein Verbrechen, durch welches die
Bürgerehre verwirkt werde.
Findet auf dieſe Weiſe Solon's Ausſpruch in dem Charakter
des Volks ſeine Erklärung, ſo ergiebt ſich daraus auch die Bedeu¬
tung der alten Geſchichte für die allgemeine Betrachtung der
menſchlichen Dinge; denn keine Zeit iſt lehrreicher und anziehen¬
der für uns als die einer lebhaften Parteibewegung. Da ſind
alle Kräfte in Spannung, da tritt im Guten wie im Böſen die
wahre Natur des Menſchen zu Tage. Die Partei bringt das
ſtehende Waſſer in Fluß, ſie macht das Epos der Geſchichte
zum Drama; ja, wir werden aus Zuhörern und Zuſchauern
zu unmittelbaren Theilnehmern. Wie wir als Kinder für
Hektor oder für Achilleus ſchwärmten, ſo treten wir auch als
Männer in den Kampf der Parteien ein; wie müſſen das Für
und Wider in uns ſelbſt zur Entſcheidung bringen, und die
neue Lebenswärme, welche ſeit Niebuhr in die Betrachtung
des Alterthums eingedrungen iſt, beruht ſie nicht weſentlich
darauf, daß er ſich nicht begnügte, mit dem kühlen Verſtande
des Kritikers die überlieferten Thatſachen zu prüfen, ſondern
bei jeder Parteibewegung, wie ein echter Bürger nach dem
Herzen Solon's, ſich die Gewiſſensfrage vorlegte: Auf welcher
Seite würdeſt du geſtanden haben? Nur auf dieſe Weiſe wird
die Geſchichte zu einer Bildungsſchule des politiſchen Urtheils,
zu einer ethiſchen Wiſſenſchaft.
Auf dieſe Weiſe lernen wir auch in der alten Geſchichte
das Weſen der Partei und ihre verſchiedenen Arten am gründ¬
lichſten kennen. Wir erkennen als die älteſte derſelben die¬
jenige, welche auf natürlichen Unterſchieden beruht. Die Stämme
einer Nation, von Natur verſchieden begabt, entfremden ſich
einander, nachdem ſie in getrennten Wohnſitzen ihre beſonderen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |