in Stämme; die Weltgeschichte, so weit wir von einem Beginne derselben reden können, mit dem Gegensatze, welcher ein bis dahin einiges Völkergeschlecht scheidet, und die Sprache giebt noch heute Zeugniß von den Spaltungen, welche im Gottes¬ bewußtsein der Völker eintraten, von den feindlichen Span¬ nungen innerhalb der von Natur verbundenen Menschengruppen. Also jede geschichtliche Bewegung geht vom Gegensatze der Partei aus. Aber im Morgenlande erstarrt die Bewegung; die Kasten Indiens sind versteinerte Parteien und die Kämpfe, aus denen sie hervorgegangen, früh verschollen. Bei den Iraniern ist die geschichtsbildende Bewegung viel deutlicher; bei ihnen herrscht keine zurückgezogene Beschaulichkeit, sondern für sie ist das ganze Leben ein Kampf. Von bösen und guten Geistern umgeben, soll Jeder nach eigener Wahl sich frei ent¬ scheiden; er soll Partei nehmen und mit allen Waffen streiten für das Reich der Wahrheit und des Lichts. Bei ihnen fin¬ den wir eine reiche Volksgliederung und eine große Mannig¬ faltigkeit des Sonderlebens. Aber sie geht unter in der Mo¬ notonie despotischer Reiche, in welchen keine anderen Parteien zur Geltung kommen, als die am Hofe entstehen und den Thron betreffen. Auch die edelsten Stämme, wie die Perser, erliegen dem lähmenden Einflusse asiatischer Reichsbildung. Dagegen ist bei den Hellenen der Trieb der Sonderung von Anfang bis zu Ende herrschend geblieben.
Schon in der homerischen Welt sehen wir Priester- und Königthum einander feindlich gegenüber; die Edlen erheben sich wider den König und erschüttern die Macht seines Hauses; auch das Volk, obwohl noch eine dunkle Masse, meldet sich schon mit seinen Ansprüchen, wie die grelle Stimme des Ther¬ sites bezeugt. Nach dem Sturze des Königthums betrachten die Geschlechter sich als die Inhaber des Staats; aber so wie der Seehandel aufblüht und mit dem Wohlstande das Selbst¬ gefühl steigt, da erhebt sich die Gemeinde und verlangt Rechte von dem Staate, der wesentlich auf ihrer Kraft beruht. Edel¬ leute von den Ihrigen zurückgesetzt, treten an die Spitze der Gemeinde; der siegreiche Führer wird der Obmann des Staats.
Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
in Stämme; die Weltgeſchichte, ſo weit wir von einem Beginne derſelben reden können, mit dem Gegenſatze, welcher ein bis dahin einiges Völkergeſchlecht ſcheidet, und die Sprache giebt noch heute Zeugniß von den Spaltungen, welche im Gottes¬ bewußtſein der Völker eintraten, von den feindlichen Span¬ nungen innerhalb der von Natur verbundenen Menſchengruppen. Alſo jede geſchichtliche Bewegung geht vom Gegenſatze der Partei aus. Aber im Morgenlande erſtarrt die Bewegung; die Kaſten Indiens ſind verſteinerte Parteien und die Kämpfe, aus denen ſie hervorgegangen, früh verſchollen. Bei den Iraniern iſt die geſchichtsbildende Bewegung viel deutlicher; bei ihnen herrſcht keine zurückgezogene Beſchaulichkeit, ſondern für ſie iſt das ganze Leben ein Kampf. Von böſen und guten Geiſtern umgeben, ſoll Jeder nach eigener Wahl ſich frei ent¬ ſcheiden; er ſoll Partei nehmen und mit allen Waffen ſtreiten für das Reich der Wahrheit und des Lichts. Bei ihnen fin¬ den wir eine reiche Volksgliederung und eine große Mannig¬ faltigkeit des Sonderlebens. Aber ſie geht unter in der Mo¬ notonie despotiſcher Reiche, in welchen keine anderen Parteien zur Geltung kommen, als die am Hofe entſtehen und den Thron betreffen. Auch die edelſten Stämme, wie die Perſer, erliegen dem lähmenden Einfluſſe aſiatiſcher Reichsbildung. Dagegen iſt bei den Hellenen der Trieb der Sonderung von Anfang bis zu Ende herrſchend geblieben.
Schon in der homeriſchen Welt ſehen wir Prieſter- und Königthum einander feindlich gegenüber; die Edlen erheben ſich wider den König und erſchüttern die Macht ſeines Hauſes; auch das Volk, obwohl noch eine dunkle Maſſe, meldet ſich ſchon mit ſeinen Anſprüchen, wie die grelle Stimme des Ther¬ ſites bezeugt. Nach dem Sturze des Königthums betrachten die Geſchlechter ſich als die Inhaber des Staats; aber ſo wie der Seehandel aufblüht und mit dem Wohlſtande das Selbſt¬ gefühl ſteigt, da erhebt ſich die Gemeinde und verlangt Rechte von dem Staate, der weſentlich auf ihrer Kraft beruht. Edel¬ leute von den Ihrigen zurückgeſetzt, treten an die Spitze der Gemeinde; der ſiegreiche Führer wird der Obmann des Staats.
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Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
in Stämme; die Weltgeſchichte, ſo weit wir von einem Beginne
derſelben reden können, mit dem Gegenſatze, welcher ein bis
dahin einiges Völkergeſchlecht ſcheidet, und die Sprache giebt
noch heute Zeugniß von den Spaltungen, welche im Gottes¬
bewußtſein der Völker eintraten, von den feindlichen Span¬
nungen innerhalb der von Natur verbundenen Menſchengruppen.
Alſo jede geſchichtliche Bewegung geht vom Gegenſatze der
Partei aus. Aber im Morgenlande erſtarrt die Bewegung;
die Kaſten Indiens ſind verſteinerte Parteien und die Kämpfe,
aus denen ſie hervorgegangen, früh verſchollen. Bei den
Iraniern iſt die geſchichtsbildende Bewegung viel deutlicher;
bei ihnen herrſcht keine zurückgezogene Beſchaulichkeit, ſondern
für ſie iſt das ganze Leben ein Kampf. Von böſen und guten
Geiſtern umgeben, ſoll Jeder nach eigener Wahl ſich frei ent¬
ſcheiden; er ſoll Partei nehmen und mit allen Waffen ſtreiten
für das Reich der Wahrheit und des Lichts. Bei ihnen fin¬
den wir eine reiche Volksgliederung und eine große Mannig¬
faltigkeit des Sonderlebens. Aber ſie geht unter in der Mo¬
notonie despotiſcher Reiche, in welchen keine anderen Parteien
zur Geltung kommen, als die am Hofe entſtehen und den
Thron betreffen. Auch die edelſten Stämme, wie die Perſer,
erliegen dem lähmenden Einfluſſe aſiatiſcher Reichsbildung.
Dagegen iſt bei den Hellenen der Trieb der Sonderung von
Anfang bis zu Ende herrſchend geblieben.
Schon in der homeriſchen Welt ſehen wir Prieſter- und
Königthum einander feindlich gegenüber; die Edlen erheben
ſich wider den König und erſchüttern die Macht ſeines Hauſes;
auch das Volk, obwohl noch eine dunkle Maſſe, meldet ſich
ſchon mit ſeinen Anſprüchen, wie die grelle Stimme des Ther¬
ſites bezeugt. Nach dem Sturze des Königthums betrachten
die Geſchlechter ſich als die Inhaber des Staats; aber ſo wie
der Seehandel aufblüht und mit dem Wohlſtande das Selbſt¬
gefühl ſteigt, da erhebt ſich die Gemeinde und verlangt Rechte
von dem Staate, der weſentlich auf ihrer Kraft beruht. Edel¬
leute von den Ihrigen zurückgeſetzt, treten an die Spitze der
Gemeinde; der ſiegreiche Führer wird der Obmann des Staats.
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/338>, abgerufen am 19.02.2025.
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