Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. antworlich macht, Willkür, Einseitigkeit, Mißbrauch der Ge¬walt, Unredlichkeit der Politik möglichst verhütet und die größte Kraftentwickelung hervorruft. In dem allgemeinen Wetteifer bewähren sich die Besten der Bürger, und indem diesen die Vertrauensämter übertragen werden, so verbindet sich mit der Volksherrschaft der jedem Gemeinwesen unentbehrliche Segen einer wahren Aristokratie. Der seltenste und glücklichste Fall ist aber ohne Zweifel der, wenn sich Einer als der Beste be¬ währt. Dann ist scheinbar freilich die Demokratie aufge¬ hoben, denn es herrschen nicht Alle, sondern Einer, nicht der Erste, Beste, sondern der Erste und Beste; aber dennoch konnte eine solche Herrschaft nur aus dem Boden der Demokratie sich entwickeln, denn diese hat ja gerade darin ihre politische Berechtigung, daß in ihr ohne alle Nebenrücksichten der unbe¬ dingt Beste an die erste Stelle rücken kann. Er stellt die Tugend, welcher Alle nacheifern, das Gesetz, welchem Alle dienen, in sich persönlich dar. Anstatt des todten Buchstabens steht ein persönliches Wesen im Mittelpunkte, wie es zu allen Zeiten ein Bedürfniß der menschlichen Natur gewesen ist, ein Mann, der immer das Ganze im Auge hat, und mit jenem königlichen Blicke, wie ihn Plato entwickelt, die Dinge be¬ herrscht. Und ein solcher König war Perikles inmitten der Republik, kein Parteihaupt, darum frei und unabhängig; ein gerechter König, indem er nicht das Seine suchte, sondern, von aller Hoffart fern, ein arbeitvolles Leben ganz dem Staate widmete; ein legitimer Fürst, indem er durch freiwillige An¬ erkennung seiner Mitbürger herrschte; ein schlichter Bürger und dennoch ein geborener Herrscher, denn er war mit Gaben so außerordentlicher Art ausgerüstet, daß er nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hatte, durch dieselben zu herrschen. Er hatte die Kraft des Genius, welche die zerstreuten Ele¬ mente magnetisch anzieht und ihnen Bewegung und Richtung giebt. Seine Herrschaft war um so sicherer, je verständiger und tugendhafter seine Mitbürger waren; er hob sie empor, wenn er sie leitete; es verstummten in ihnen die niederen Be¬ gierden, wenn er zu ihnen redete. Das war die ethische Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. antworlich macht, Willkür, Einſeitigkeit, Mißbrauch der Ge¬walt, Unredlichkeit der Politik möglichſt verhütet und die größte Kraftentwickelung hervorruft. In dem allgemeinen Wetteifer bewähren ſich die Beſten der Bürger, und indem dieſen die Vertrauensämter übertragen werden, ſo verbindet ſich mit der Volksherrſchaft der jedem Gemeinweſen unentbehrliche Segen einer wahren Ariſtokratie. Der ſeltenſte und glücklichſte Fall iſt aber ohne Zweifel der, wenn ſich Einer als der Beſte be¬ währt. Dann iſt ſcheinbar freilich die Demokratie aufge¬ hoben, denn es herrſchen nicht Alle, ſondern Einer, nicht der Erſte, Beſte, ſondern der Erſte und Beſte; aber dennoch konnte eine ſolche Herrſchaft nur aus dem Boden der Demokratie ſich entwickeln, denn dieſe hat ja gerade darin ihre politiſche Berechtigung, daß in ihr ohne alle Nebenrückſichten der unbe¬ dingt Beſte an die erſte Stelle rücken kann. Er ſtellt die Tugend, welcher Alle nacheifern, das Geſetz, welchem Alle dienen, in ſich perſönlich dar. Anſtatt des todten Buchſtabens ſteht ein perſönliches Weſen im Mittelpunkte, wie es zu allen Zeiten ein Bedürfniß der menſchlichen Natur geweſen iſt, ein Mann, der immer das Ganze im Auge hat, und mit jenem königlichen Blicke, wie ihn Plato entwickelt, die Dinge be¬ herrſcht. Und ein ſolcher König war Perikles inmitten der Republik, kein Parteihaupt, darum frei und unabhängig; ein gerechter König, indem er nicht das Seine ſuchte, ſondern, von aller Hoffart fern, ein arbeitvolles Leben ganz dem Staate widmete; ein legitimer Fürſt, indem er durch freiwillige An¬ erkennung ſeiner Mitbürger herrſchte; ein ſchlichter Bürger und dennoch ein geborener Herrſcher, denn er war mit Gaben ſo außerordentlicher Art ausgerüſtet, daß er nicht nur das Recht, ſondern auch die Pflicht hatte, durch dieſelben zu herrſchen. Er hatte die Kraft des Genius, welche die zerſtreuten Ele¬ mente magnetiſch anzieht und ihnen Bewegung und Richtung giebt. Seine Herrſchaft war um ſo ſicherer, je verſtändiger und tugendhafter ſeine Mitbürger waren; er hob ſie empor, wenn er ſie leitete; es verſtummten in ihnen die niederen Be¬ gierden, wenn er zu ihnen redete. Das war die ethiſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0330" n="314"/><fw place="top" type="header">Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.<lb/></fw> antworlich macht, Willkür, Einſeitigkeit, Mißbrauch der Ge¬<lb/> walt, Unredlichkeit der Politik möglichſt verhütet und die größte<lb/> Kraftentwickelung hervorruft. In dem allgemeinen Wetteifer<lb/> bewähren ſich die Beſten der Bürger, und indem dieſen die<lb/> Vertrauensämter übertragen werden, ſo verbindet ſich mit der<lb/> Volksherrſchaft der jedem Gemeinweſen unentbehrliche Segen<lb/> einer wahren Ariſtokratie. 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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
antworlich macht, Willkür, Einſeitigkeit, Mißbrauch der Ge¬
walt, Unredlichkeit der Politik möglichſt verhütet und die größte
Kraftentwickelung hervorruft. In dem allgemeinen Wetteifer
bewähren ſich die Beſten der Bürger, und indem dieſen die
Vertrauensämter übertragen werden, ſo verbindet ſich mit der
Volksherrſchaft der jedem Gemeinweſen unentbehrliche Segen
einer wahren Ariſtokratie. Der ſeltenſte und glücklichſte Fall
iſt aber ohne Zweifel der, wenn ſich Einer als der Beſte be¬
währt. Dann iſt ſcheinbar freilich die Demokratie aufge¬
hoben, denn es herrſchen nicht Alle, ſondern Einer, nicht der
Erſte, Beſte, ſondern der Erſte und Beſte; aber dennoch konnte
eine ſolche Herrſchaft nur aus dem Boden der Demokratie
ſich entwickeln, denn dieſe hat ja gerade darin ihre politiſche
Berechtigung, daß in ihr ohne alle Nebenrückſichten der unbe¬
dingt Beſte an die erſte Stelle rücken kann. Er ſtellt die
Tugend, welcher Alle nacheifern, das Geſetz, welchem Alle
dienen, in ſich perſönlich dar. Anſtatt des todten Buchſtabens
ſteht ein perſönliches Weſen im Mittelpunkte, wie es zu allen
Zeiten ein Bedürfniß der menſchlichen Natur geweſen iſt, ein
Mann, der immer das Ganze im Auge hat, und mit jenem
königlichen Blicke, wie ihn Plato entwickelt, die Dinge be¬
herrſcht. Und ein ſolcher König war Perikles inmitten der
Republik, kein Parteihaupt, darum frei und unabhängig; ein
gerechter König, indem er nicht das Seine ſuchte, ſondern,
von aller Hoffart fern, ein arbeitvolles Leben ganz dem Staate
widmete; ein legitimer Fürſt, indem er durch freiwillige An¬
erkennung ſeiner Mitbürger herrſchte; ein ſchlichter Bürger und
dennoch ein geborener Herrſcher, denn er war mit Gaben ſo
außerordentlicher Art ausgerüſtet, daß er nicht nur das Recht,
ſondern auch die Pflicht hatte, durch dieſelben zu herrſchen.
Er hatte die Kraft des Genius, welche die zerſtreuten Ele¬
mente magnetiſch anzieht und ihnen Bewegung und Richtung
giebt. Seine Herrſchaft war um ſo ſicherer, je verſtändiger
und tugendhafter ſeine Mitbürger waren; er hob ſie empor,
wenn er ſie leitete; es verſtummten in ihnen die niederen Be¬
gierden, wenn er zu ihnen redete. Das war die ethiſche
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