Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. die Möglichkeit einer freien Fortentwickelung der griechischenStaaten war ihr Verdienst. Aber dieser Ruhm war es gerade, welchen die Anderen ihnen nicht gönnten. Sparta, dem die kleinen Kantone gewohnheitsmäßig anhingen, wollte keine Macht neben sich anerkennen und suchte nur nach Gelegenheit, Athen zu schaden; die Mittelstaaten, namentlich Korinth und Theben, schürten unaufhörlich die Erbitterung, theils aus Aerger über die Machtstellung eines Staats, den sie als ihres Gleichen an¬ gesehen hatten, theils aus Abneigung gegen die volksthüm¬ lichen Einrichtungen des attischen Staats. Sie wollten ein¬ mal von der Größe Athens nichts wissen und betrachteten dieselbe nur wie eine ungehörige Unterbrechung der griechi¬ schen Geschichte. Und doch ruhte die ganze Geschichte auf der einen Stadt! Glücklich preisen wir den Staat, welchem ein so großer Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. die Möglichkeit einer freien Fortentwickelung der griechiſchenStaaten war ihr Verdienſt. Aber dieſer Ruhm war es gerade, welchen die Anderen ihnen nicht gönnten. Sparta, dem die kleinen Kantone gewohnheitsmäßig anhingen, wollte keine Macht neben ſich anerkennen und ſuchte nur nach Gelegenheit, Athen zu ſchaden; die Mittelſtaaten, namentlich Korinth und Theben, ſchürten unaufhörlich die Erbitterung, theils aus Aerger über die Machtſtellung eines Staats, den ſie als ihres Gleichen an¬ geſehen hatten, theils aus Abneigung gegen die volksthüm¬ lichen Einrichtungen des attiſchen Staats. Sie wollten ein¬ mal von der Größe Athens nichts wiſſen und betrachteten dieſelbe nur wie eine ungehörige Unterbrechung der griechi¬ ſchen Geſchichte. Und doch ruhte die ganze Geſchichte auf der einen Stadt! Glücklich preiſen wir den Staat, welchem ein ſo großer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0324" n="308"/><fw place="top" type="header">Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.<lb/></fw> die Möglichkeit einer freien Fortentwickelung der griechiſchen<lb/> Staaten war ihr Verdienſt. Aber dieſer Ruhm war es gerade,<lb/> welchen die Anderen ihnen nicht gönnten. Sparta, dem die<lb/> kleinen Kantone gewohnheitsmäßig anhingen, wollte keine Macht<lb/> neben ſich anerkennen und ſuchte nur nach Gelegenheit, Athen<lb/> zu ſchaden; die Mittelſtaaten, namentlich Korinth und Theben,<lb/> ſchürten unaufhörlich die Erbitterung, theils aus Aerger über<lb/> die Machtſtellung eines Staats, den ſie als ihres Gleichen an¬<lb/> geſehen hatten, theils aus Abneigung gegen die volksthüm¬<lb/> lichen Einrichtungen des attiſchen Staats. Sie wollten ein¬<lb/> mal von der Größe Athens nichts wiſſen und betrachteten<lb/> dieſelbe nur wie eine ungehörige Unterbrechung der griechi¬<lb/> ſchen Geſchichte.</p><lb/> <p>Und doch ruhte die ganze Geſchichte auf der einen Stadt!<lb/> Denn nachdem ſie Griechenland gerettet und eine neue Bahn<lb/> gebrochen hatte, ging ſie allein auf derſelben vorwärts, wäh¬<lb/> rend die Anderen nur eigenſinnig trotzen, hemmen und ver¬<lb/> neinen konnten. Sie mußte nun, unbekümmert um den Neid<lb/> der Kleinen und die Mißgunſt der Böswilligen, aus eigener<lb/> Kraft die ferneren Aufgaben der griechiſchen Volksentwickelung<lb/> durchführen und für Alle allein die Gränzen hüten, das Meer<lb/> ſichern und die griechiſche Cultur auf dem Gebiete der Kunſt<lb/> und Wiſſenſchaft zu vollkommener Geſtaltung zu bringen ſuchen.<lb/> Fürwahr ein großer Beruf für eine einzelne Stadt, aber zu¬<lb/> gleich ein ſolcher, deſſen Bahn klar vorgezeichnet war; ein<lb/> idealer Beruf und doch ein unmittelbar praktiſcher, an welchem<lb/> ſich jeder Bürger perſönlich betheiligen konnte und betheiligen<lb/> mußte, ein Beruf endlich, welcher ſeinen reichen Lohn in ſich<lb/> trug, indem er für alle Staatsangehörigen eine Erziehung<lb/> zur Tapferkeit, zu freier Geiſtesbildung und uneigennütziger<lb/> Vaterlandsliebe war.</p><lb/> <p>Glücklich preiſen wir den Staat, welchem ein ſo großer<lb/> und ſo beſtimmter Beruf vorliegt, ein Beruf, der kein halt¬<lb/> loſes Schwanken geſtattet, der die Gedanken vom Kleinlichen<lb/> und Selbſtiſchen abzieht, der die höchſten Ziele zu den nächſten<lb/> macht und alle menſchlichen Tugenden als Bürgerpflichten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [308/0324]
Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
die Möglichkeit einer freien Fortentwickelung der griechiſchen
Staaten war ihr Verdienſt. Aber dieſer Ruhm war es gerade,
welchen die Anderen ihnen nicht gönnten. Sparta, dem die
kleinen Kantone gewohnheitsmäßig anhingen, wollte keine Macht
neben ſich anerkennen und ſuchte nur nach Gelegenheit, Athen
zu ſchaden; die Mittelſtaaten, namentlich Korinth und Theben,
ſchürten unaufhörlich die Erbitterung, theils aus Aerger über
die Machtſtellung eines Staats, den ſie als ihres Gleichen an¬
geſehen hatten, theils aus Abneigung gegen die volksthüm¬
lichen Einrichtungen des attiſchen Staats. Sie wollten ein¬
mal von der Größe Athens nichts wiſſen und betrachteten
dieſelbe nur wie eine ungehörige Unterbrechung der griechi¬
ſchen Geſchichte.
Und doch ruhte die ganze Geſchichte auf der einen Stadt!
Denn nachdem ſie Griechenland gerettet und eine neue Bahn
gebrochen hatte, ging ſie allein auf derſelben vorwärts, wäh¬
rend die Anderen nur eigenſinnig trotzen, hemmen und ver¬
neinen konnten. Sie mußte nun, unbekümmert um den Neid
der Kleinen und die Mißgunſt der Böswilligen, aus eigener
Kraft die ferneren Aufgaben der griechiſchen Volksentwickelung
durchführen und für Alle allein die Gränzen hüten, das Meer
ſichern und die griechiſche Cultur auf dem Gebiete der Kunſt
und Wiſſenſchaft zu vollkommener Geſtaltung zu bringen ſuchen.
Fürwahr ein großer Beruf für eine einzelne Stadt, aber zu¬
gleich ein ſolcher, deſſen Bahn klar vorgezeichnet war; ein
idealer Beruf und doch ein unmittelbar praktiſcher, an welchem
ſich jeder Bürger perſönlich betheiligen konnte und betheiligen
mußte, ein Beruf endlich, welcher ſeinen reichen Lohn in ſich
trug, indem er für alle Staatsangehörigen eine Erziehung
zur Tapferkeit, zu freier Geiſtesbildung und uneigennütziger
Vaterlandsliebe war.
Glücklich preiſen wir den Staat, welchem ein ſo großer
und ſo beſtimmter Beruf vorliegt, ein Beruf, der kein halt¬
loſes Schwanken geſtattet, der die Gedanken vom Kleinlichen
und Selbſtiſchen abzieht, der die höchſten Ziele zu den nächſten
macht und alle menſchlichen Tugenden als Bürgerpflichten
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