Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Philosophie und Geschichte. und Gesellschaft neben Mathematik und Astronomie als Bio¬logie und Sociologie mit gleicher Methode behandelt werden. Das Forschen nach Lebensgesetzen in der bürgerlichen Als diese Versuche gemacht wurden, der Geschichte, der un¬ Wie konnte es anders sein! Seit sich die Philosophie aus Die Philosophen von Fach haben sich meist nur gelegent¬ Philoſophie und Geſchichte. und Geſellſchaft neben Mathematik und Aſtronomie als Bio¬logie und Sociologie mit gleicher Methode behandelt werden. Das Forſchen nach Lebensgeſetzen in der bürgerlichen Als dieſe Verſuche gemacht wurden, der Geſchichte, der un¬ Wie konnte es anders ſein! Seit ſich die Philoſophie aus Die Philoſophen von Fach haben ſich meiſt nur gelegent¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0308" n="292"/><fw place="top" type="header">Philoſophie und Geſchichte.<lb/></fw> und Geſellſchaft neben Mathematik und Aſtronomie als Bio¬<lb/> logie und Sociologie mit gleicher Methode behandelt werden.</p><lb/> <p>Das Forſchen nach Lebensgeſetzen in der bürgerlichen<lb/> Geſellſchaft wird trotz des wenig empfehlenden Namens der<lb/> neuen Disciplin, wenn es ernſthaft genommen wird, nur an¬<lb/> regend und fruchtbar wirken können. Im Allgemeinen aber<lb/> kann man ſich der Anſicht nicht verſchließen, daß hier mit<lb/> Gewaltſamkeit vereinigt werden ſoll, was ſeinem Weſen nach<lb/> grundverſchieden iſt. Die Geſtirne wandeln ihre gemeſſenen<lb/> Bahnen, Menſchen und Völker können aber irre gehen und bei<lb/> verſchiedenen ſich darbietenden Möglichkeiten ſich falſch ent¬<lb/> ſcheiden. Das Gebiet der ſittlichen Freiheit und Verantwort¬<lb/> lichkeit darf der Hiſtoriker ſich nicht verkümmern laſſen.</p><lb/> <p>Als dieſe Verſuche gemacht wurden, der Geſchichte, der un¬<lb/> fügſamſten aller Disciplinen, den Charakter ſtrengerer Wiſſen¬<lb/> ſchaftlichkeit zu geben oder ſie ganz in die Philoſophie herein¬<lb/> zuziehen, hatte ſich ſchon längſt in freierer Weiſe und ohne künſt¬<lb/> liche Theorie ein fruchtbares Verhältniß zwiſchen Philoſophie<lb/> und Geſchichte in Deutſchland gebildet.</p><lb/> <p>Wie konnte es anders ſein! Seit ſich die Philoſophie aus<lb/> den Feſſeln der Scholaſtik befreit hatte, konnte ſie für ihre Moral,<lb/> Politik und Religionswiſſenſchaft der Geſchichte nicht entbehren,<lb/> und andererſeits mußte ſich jeder Hiſtoriker einer Erweiterung<lb/> ſeines Geſichtskreiſes durch philoſophiſche Studien bedürftig<lb/> fühlen, um für alle im Menſchenleben wirkſamen Kräfte ein<lb/> Verſtändniß zu haben und das geiſtige Leben in ſeiner Tota¬<lb/> lität auffaſſen zu können. Es iſt, wie W. von Humboldt ſagt,<lb/> ohne poetiſchen und philoſophiſchen Sinn um einen Geſchicht¬<lb/> ſchreiber ſchlecht beſtellt.</p><lb/> <p>Die Philoſophen von Fach haben ſich meiſt nur gelegent¬<lb/> lich mit Geſchichte befaßt und auch die »Braunſchweigiſchen<lb/> Annalen« haben mit der Monadenlehre keinen theoretiſchen<lb/> Zuſammenhang. Leibniz zeigte ſich nur auch hier als den<lb/> großen Organiſator geiſtiger Arbeit, indem er in richtiger<lb/> Erkenntniß deſſen, was zur Gründung einer hiſtoriſchen Dis¬<lb/> ciplin nöthig war, auf Urkundenſammlung und Quellenfor¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [292/0308]
Philoſophie und Geſchichte.
und Geſellſchaft neben Mathematik und Aſtronomie als Bio¬
logie und Sociologie mit gleicher Methode behandelt werden.
Das Forſchen nach Lebensgeſetzen in der bürgerlichen
Geſellſchaft wird trotz des wenig empfehlenden Namens der
neuen Disciplin, wenn es ernſthaft genommen wird, nur an¬
regend und fruchtbar wirken können. Im Allgemeinen aber
kann man ſich der Anſicht nicht verſchließen, daß hier mit
Gewaltſamkeit vereinigt werden ſoll, was ſeinem Weſen nach
grundverſchieden iſt. Die Geſtirne wandeln ihre gemeſſenen
Bahnen, Menſchen und Völker können aber irre gehen und bei
verſchiedenen ſich darbietenden Möglichkeiten ſich falſch ent¬
ſcheiden. Das Gebiet der ſittlichen Freiheit und Verantwort¬
lichkeit darf der Hiſtoriker ſich nicht verkümmern laſſen.
Als dieſe Verſuche gemacht wurden, der Geſchichte, der un¬
fügſamſten aller Disciplinen, den Charakter ſtrengerer Wiſſen¬
ſchaftlichkeit zu geben oder ſie ganz in die Philoſophie herein¬
zuziehen, hatte ſich ſchon längſt in freierer Weiſe und ohne künſt¬
liche Theorie ein fruchtbares Verhältniß zwiſchen Philoſophie
und Geſchichte in Deutſchland gebildet.
Wie konnte es anders ſein! Seit ſich die Philoſophie aus
den Feſſeln der Scholaſtik befreit hatte, konnte ſie für ihre Moral,
Politik und Religionswiſſenſchaft der Geſchichte nicht entbehren,
und andererſeits mußte ſich jeder Hiſtoriker einer Erweiterung
ſeines Geſichtskreiſes durch philoſophiſche Studien bedürftig
fühlen, um für alle im Menſchenleben wirkſamen Kräfte ein
Verſtändniß zu haben und das geiſtige Leben in ſeiner Tota¬
lität auffaſſen zu können. Es iſt, wie W. von Humboldt ſagt,
ohne poetiſchen und philoſophiſchen Sinn um einen Geſchicht¬
ſchreiber ſchlecht beſtellt.
Die Philoſophen von Fach haben ſich meiſt nur gelegent¬
lich mit Geſchichte befaßt und auch die »Braunſchweigiſchen
Annalen« haben mit der Monadenlehre keinen theoretiſchen
Zuſammenhang. Leibniz zeigte ſich nur auch hier als den
großen Organiſator geiſtiger Arbeit, indem er in richtiger
Erkenntniß deſſen, was zur Gründung einer hiſtoriſchen Dis¬
ciplin nöthig war, auf Urkundenſammlung und Quellenfor¬
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