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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
schen Lysandros verurtheilt war, nachdem er gebadet und
Feierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod
voran, und was ist rührender als das Ende der Athener, die ihrer
Stadt den Arginusensieg erfochten hatten! Sie werden das
Opfer eines schnöden Rechtsbruchs, und doch ist ihr letztes
Gebet, daß diese That der Stadt keinen Unsegen bringe,
ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche sie für den
Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden
möchten. So besiegeln sie im Tode die Ueberzeugung, daß
Unrecht leiden besser sei, als Unrecht thun, und ist ein solcher
Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht,
welche über die sichtbare Welt hinausgehen?

Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern,
um die Bedeutung des Unsterblichkeitsglaubens für die Griechen
klar zu machen; wir wissen ja Alle, daß keinerlei Ueberlieferungen
und Gesetze bei ihnen so heilig waren, wie diejenigen, welche
die Ehre der Todten betrafen; daß keine Sünde schwerer war,
als die an einem Verstorbenen begangene, sei es aus Fahr¬
lässigkeit oder böser Absicht, durch That oder lästerndes Wort.
Nach dem blutigsten Kampfe sehen wir die feindlichen Par¬
teien zusammentreten, um sich in stillschweigender Uebereinkunft
zur Bestattung der Gebliebenen zu vereinigen. Liegt diesem
Eifer für die Ehre der Todten nicht die Ueberzeugung zu
Grunde, daß die Geehrten nicht nur leben und zwar in einem
erhöhten, reineren und deshalb besonderer Ehrerbietung wür¬
digen Zustande, sondern daß sie auch persönlich dabei betheiligt
sind, ob und wie die Liebeswerke für sie ausgeführt werden,
und daß ihre Gesinnung auch für die Ueberlebenden nichts
Gleichgültiges sei? Die Todten sind keineswegs Abgeschiedene,
im fernen Hades allen irdischen Beziehungen Entrückte; sie
sind vielmehr mit dem Volke im Ganzen so wie mit den ein¬
zelnen Häusern im allernächsten und ununterbrochenen Zu¬
sammenhange. Die Götter des Volks sind die Götter seiner
Väter. Mit den Tempeldiensten ist die Verehrung derer ver¬
bunden, welche die Tempel gestiftet haben; ihre Gräber sind
im Heiligthume, hier walten sie als segnende Landeshüter,

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
ſchen Lyſandros verurtheilt war, nachdem er gebadet und
Feierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod
voran, und was iſt rührender als das Ende der Athener, die ihrer
Stadt den Arginuſenſieg erfochten hatten! Sie werden das
Opfer eines ſchnöden Rechtsbruchs, und doch iſt ihr letztes
Gebet, daß dieſe That der Stadt keinen Unſegen bringe,
ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche ſie für den
Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden
möchten. So beſiegeln ſie im Tode die Ueberzeugung, daß
Unrecht leiden beſſer ſei, als Unrecht thun, und iſt ein ſolcher
Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht,
welche über die ſichtbare Welt hinausgehen?

Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern,
um die Bedeutung des Unſterblichkeitsglaubens für die Griechen
klar zu machen; wir wiſſen ja Alle, daß keinerlei Ueberlieferungen
und Geſetze bei ihnen ſo heilig waren, wie diejenigen, welche
die Ehre der Todten betrafen; daß keine Sünde ſchwerer war,
als die an einem Verſtorbenen begangene, ſei es aus Fahr¬
läſſigkeit oder böſer Abſicht, durch That oder läſterndes Wort.
Nach dem blutigſten Kampfe ſehen wir die feindlichen Par¬
teien zuſammentreten, um ſich in ſtillſchweigender Uebereinkunft
zur Beſtattung der Gebliebenen zu vereinigen. Liegt dieſem
Eifer für die Ehre der Todten nicht die Ueberzeugung zu
Grunde, daß die Geehrten nicht nur leben und zwar in einem
erhöhten, reineren und deshalb beſonderer Ehrerbietung wür¬
digen Zuſtande, ſondern daß ſie auch perſönlich dabei betheiligt
ſind, ob und wie die Liebeswerke für ſie ausgeführt werden,
und daß ihre Geſinnung auch für die Ueberlebenden nichts
Gleichgültiges ſei? Die Todten ſind keineswegs Abgeſchiedene,
im fernen Hades allen irdiſchen Beziehungen Entrückte; ſie
ſind vielmehr mit dem Volke im Ganzen ſo wie mit den ein¬
zelnen Häuſern im allernächſten und ununterbrochenen Zu¬
ſammenhange. Die Götter des Volks ſind die Götter ſeiner
Väter. Mit den Tempeldienſten iſt die Verehrung derer ver¬
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[224/0240] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. ſchen Lyſandros verurtheilt war, nachdem er gebadet und Feierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod voran, und was iſt rührender als das Ende der Athener, die ihrer Stadt den Arginuſenſieg erfochten hatten! Sie werden das Opfer eines ſchnöden Rechtsbruchs, und doch iſt ihr letztes Gebet, daß dieſe That der Stadt keinen Unſegen bringe, ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche ſie für den Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden möchten. So beſiegeln ſie im Tode die Ueberzeugung, daß Unrecht leiden beſſer ſei, als Unrecht thun, und iſt ein ſolcher Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht, welche über die ſichtbare Welt hinausgehen? Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern, um die Bedeutung des Unſterblichkeitsglaubens für die Griechen klar zu machen; wir wiſſen ja Alle, daß keinerlei Ueberlieferungen und Geſetze bei ihnen ſo heilig waren, wie diejenigen, welche die Ehre der Todten betrafen; daß keine Sünde ſchwerer war, als die an einem Verſtorbenen begangene, ſei es aus Fahr¬ läſſigkeit oder böſer Abſicht, durch That oder läſterndes Wort. Nach dem blutigſten Kampfe ſehen wir die feindlichen Par¬ teien zuſammentreten, um ſich in ſtillſchweigender Uebereinkunft zur Beſtattung der Gebliebenen zu vereinigen. Liegt dieſem Eifer für die Ehre der Todten nicht die Ueberzeugung zu Grunde, daß die Geehrten nicht nur leben und zwar in einem erhöhten, reineren und deshalb beſonderer Ehrerbietung wür¬ digen Zuſtande, ſondern daß ſie auch perſönlich dabei betheiligt ſind, ob und wie die Liebeswerke für ſie ausgeführt werden, und daß ihre Geſinnung auch für die Ueberlebenden nichts Gleichgültiges ſei? Die Todten ſind keineswegs Abgeſchiedene, im fernen Hades allen irdiſchen Beziehungen Entrückte; ſie ſind vielmehr mit dem Volke im Ganzen ſo wie mit den ein¬ zelnen Häuſern im allernächſten und ununterbrochenen Zu¬ ſammenhange. Die Götter des Volks ſind die Götter ſeiner Väter. Mit den Tempeldienſten iſt die Verehrung derer ver¬ bunden, welche die Tempel geſtiftet haben; ihre Gräber ſind im Heiligthume, hier walten ſie als ſegnende Landeshüter,

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/240>, abgerufen am 24.11.2024.