Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Das Mittleramt der Philologie. Nur ein Theil der Menschengeschichte scheint ein ganz Und doch ist es so ganz anders! Dennoch ist gerade dieser Freilich ist ein Gegensatz da zwischen Antik und Modern; Aber die alte Welt ist uns keine ferne und fremde geblie¬ Das Mittleramt der Philologie. Nur ein Theil der Menſchengeſchichte ſcheint ein ganz Und doch iſt es ſo ganz anders! Dennoch iſt gerade dieſer Freilich iſt ein Gegenſatz da zwiſchen Antik und Modern; Aber die alte Welt iſt uns keine ferne und fremde geblie¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0024" n="8"/> <fw place="top" type="header">Das Mittleramt der Philologie.<lb/></fw> <p>Nur ein Theil der Menſchengeſchichte ſcheint ein ganz<lb/> abgeſchloſſener zu ſein, ein nach Raum und Zeit abgelegenes<lb/> Gebiet der Forſchung, ich meine die Geſchichte des Alterthums,<lb/> deſſen Völker und Staaten faſt ſpurlos vorübergegangen ſind.<lb/> Seitdem aber iſt, wie uns unſere Jahresrechnung täglich ins<lb/> Gedächtniß ruft, ein neuer Anfang gemacht worden, und was<lb/> jenſeit deſſelben liegt, ſcheint mehr als alles Andere dem<lb/> Sonderintereſſe eines einzelnen Fachs anheim zu fallen.</p><lb/> <p>Und doch iſt es ſo ganz anders! Dennoch iſt gerade dieſer<lb/> Theil der allgemeinen Geſchichtskunde bei dem Auseinander¬<lb/> gehen der Univerſitätsſtudien, wie mir ſcheint, vorzugsweiſe<lb/> berufen, ein Band des Einverſtändniſſes und ein Mittelpunkt<lb/> gemeinſamer Intereſſen zu werden.</p><lb/> <p>Freilich iſt ein Gegenſatz da zwiſchen Antik und Modern;<lb/> eine Kluft zwiſchen allem Vorchriſtlichen und Nachchriſtlichen,<lb/> wie ſie in der Geſchichte nicht größer vorhanden iſt. Aber<lb/> gerade deshalb hat auch <hi rendition="#g">der</hi> Theil der Geſchichte die größte<lb/> Aufgabe, welcher jene getrennten Hälften zu verbinden und<lb/> den Zuſammenhang des geſchichtlichen Bewußtſeins, wo er am<lb/> vollſtändigſten zerriſſen ſcheint, wieder herzuſtellen hat. Denn<lb/> wenn die, Gegenwart ununterbrochen von der Vergangenheit<lb/> zu lernen hat, ſo hat ſie ohne Zweifel dort am meiſten zu<lb/> lernen und von dort am meiſten einzutauſchen, wo bei einem<lb/> hohen und unerreicht gebliebenen Grade der Ausbildung alle<lb/> Lebensverhältniſſe von den unſrigen durchaus verſchieden ſind<lb/> und ihnen fremd gegenüber ſtehen.</p><lb/> <p>Aber die alte Welt iſt uns keine ferne und fremde geblie¬<lb/> ben. Sie war verloren und iſt wieder gefunden, und dies<lb/> Wiederfinden der alten Welt iſt eine Epoche in der neueren<lb/> Culturgeſchichte geworden. Dadurch iſt die Menſchheit nicht<lb/> nur von Neuem in den Beſitz reicher Güter eingeſetzt worden,<lb/> welche ihr abhanden gekommen waren, ſondern es ſind auch<lb/> ſo viel neue Lebenskräfte geweckt und gelöſt worden, daß da¬<lb/> durch an innerer Energie die Völker erſtarkten und innerhalb<lb/> ihrer eigenen Geſchichte zu den größten Leiſtungen befähigt<lb/> wurden.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0024]
Das Mittleramt der Philologie.
Nur ein Theil der Menſchengeſchichte ſcheint ein ganz
abgeſchloſſener zu ſein, ein nach Raum und Zeit abgelegenes
Gebiet der Forſchung, ich meine die Geſchichte des Alterthums,
deſſen Völker und Staaten faſt ſpurlos vorübergegangen ſind.
Seitdem aber iſt, wie uns unſere Jahresrechnung täglich ins
Gedächtniß ruft, ein neuer Anfang gemacht worden, und was
jenſeit deſſelben liegt, ſcheint mehr als alles Andere dem
Sonderintereſſe eines einzelnen Fachs anheim zu fallen.
Und doch iſt es ſo ganz anders! Dennoch iſt gerade dieſer
Theil der allgemeinen Geſchichtskunde bei dem Auseinander¬
gehen der Univerſitätsſtudien, wie mir ſcheint, vorzugsweiſe
berufen, ein Band des Einverſtändniſſes und ein Mittelpunkt
gemeinſamer Intereſſen zu werden.
Freilich iſt ein Gegenſatz da zwiſchen Antik und Modern;
eine Kluft zwiſchen allem Vorchriſtlichen und Nachchriſtlichen,
wie ſie in der Geſchichte nicht größer vorhanden iſt. Aber
gerade deshalb hat auch der Theil der Geſchichte die größte
Aufgabe, welcher jene getrennten Hälften zu verbinden und
den Zuſammenhang des geſchichtlichen Bewußtſeins, wo er am
vollſtändigſten zerriſſen ſcheint, wieder herzuſtellen hat. Denn
wenn die, Gegenwart ununterbrochen von der Vergangenheit
zu lernen hat, ſo hat ſie ohne Zweifel dort am meiſten zu
lernen und von dort am meiſten einzutauſchen, wo bei einem
hohen und unerreicht gebliebenen Grade der Ausbildung alle
Lebensverhältniſſe von den unſrigen durchaus verſchieden ſind
und ihnen fremd gegenüber ſtehen.
Aber die alte Welt iſt uns keine ferne und fremde geblie¬
ben. Sie war verloren und iſt wieder gefunden, und dies
Wiederfinden der alten Welt iſt eine Epoche in der neueren
Culturgeſchichte geworden. Dadurch iſt die Menſchheit nicht
nur von Neuem in den Beſitz reicher Güter eingeſetzt worden,
welche ihr abhanden gekommen waren, ſondern es ſind auch
ſo viel neue Lebenskräfte geweckt und gelöſt worden, daß da¬
durch an innerer Energie die Völker erſtarkten und innerhalb
ihrer eigenen Geſchichte zu den größten Leiſtungen befähigt
wurden.
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