Wenn wir in den Schriften der Alten lesen, so sind es nicht nur durch Würde des Gedankens, durch Tiefe des Ge¬ fühls und lebendige Kraft der Sprache ausgezeichnete Stellen, welche unsere Aufmerksamkeit fesseln, sondern nicht selten sind es ganz schlichte und einfache Worte, welche ohne besondere Betonung, ohne Beabsichtigung eines tieferen Eindrucks nieder¬ geschrieben sind, die uns aber dennoch in eigenthümlicher Weise ergreifen, weil sie uns in die Gedankenwelt des Alter¬ thums einen Einblick eröffnen. Zu solchen Stellen gehört nach meinem Gefühle auch diejenige, wo Herodot im vierten seiner Bücher die thrakischen Stämme nennt, welche dem Perserkönige huldigen mußten, und unter ihnen die Geten, "welche an die Unsterblichkeit der Seele glauben." Durch diese einfache Aus¬ sage wird der Volksstamm unserer Aufmerksamkeit empfohlen; der Geschichtschreiber weiß nichts Bezeichnenderes und Be¬ deutenderes von ihm zu melden, er betrachtet diesen Glauben offenbar als seinen eigentlichen Charakterzug.
Gestatten Sie mir, an diese unscheinbaren Worte anzu¬ knüpfen und auf Anlaß derselben eine Seite des Alterthums zu berühren, für welche wir gewiß Alle ein nahes Interesse fühlen. Die nationale Wichtigkeit, welche Herodot dem Un¬ sterblichkeitsglauben beimißt, führt uns zu der Frage, welche Bedeutung derselbe im Sinne der Griechen und welchen Ein¬ fluß er auf die Entwickelung derselben gehabt hat.
XIII. Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
Wenn wir in den Schriften der Alten leſen, ſo ſind es nicht nur durch Würde des Gedankens, durch Tiefe des Ge¬ fühls und lebendige Kraft der Sprache ausgezeichnete Stellen, welche unſere Aufmerkſamkeit feſſeln, ſondern nicht ſelten ſind es ganz ſchlichte und einfache Worte, welche ohne beſondere Betonung, ohne Beabſichtigung eines tieferen Eindrucks nieder¬ geſchrieben ſind, die uns aber dennoch in eigenthümlicher Weiſe ergreifen, weil ſie uns in die Gedankenwelt des Alter¬ thums einen Einblick eröffnen. Zu ſolchen Stellen gehört nach meinem Gefühle auch diejenige, wo Herodot im vierten ſeiner Bücher die thrakiſchen Stämme nennt, welche dem Perſerkönige huldigen mußten, und unter ihnen die Geten, »welche an die Unſterblichkeit der Seele glauben.« Durch dieſe einfache Aus¬ ſage wird der Volksſtamm unſerer Aufmerkſamkeit empfohlen; der Geſchichtſchreiber weiß nichts Bezeichnenderes und Be¬ deutenderes von ihm zu melden, er betrachtet dieſen Glauben offenbar als ſeinen eigentlichen Charakterzug.
Geſtatten Sie mir, an dieſe unſcheinbaren Worte anzu¬ knüpfen und auf Anlaß derſelben eine Seite des Alterthums zu berühren, für welche wir gewiß Alle ein nahes Intereſſe fühlen. Die nationale Wichtigkeit, welche Herodot dem Un¬ ſterblichkeitsglauben beimißt, führt uns zu der Frage, welche Bedeutung derſelbe im Sinne der Griechen und welchen Ein¬ fluß er auf die Entwickelung derſelben gehabt hat.
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[0235]
XIII.
Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
Wenn wir in den Schriften der Alten leſen, ſo ſind es
nicht nur durch Würde des Gedankens, durch Tiefe des Ge¬
fühls und lebendige Kraft der Sprache ausgezeichnete Stellen,
welche unſere Aufmerkſamkeit feſſeln, ſondern nicht ſelten ſind
es ganz ſchlichte und einfache Worte, welche ohne beſondere
Betonung, ohne Beabſichtigung eines tieferen Eindrucks nieder¬
geſchrieben ſind, die uns aber dennoch in eigenthümlicher
Weiſe ergreifen, weil ſie uns in die Gedankenwelt des Alter¬
thums einen Einblick eröffnen. Zu ſolchen Stellen gehört nach
meinem Gefühle auch diejenige, wo Herodot im vierten ſeiner
Bücher die thrakiſchen Stämme nennt, welche dem Perſerkönige
huldigen mußten, und unter ihnen die Geten, »welche an die
Unſterblichkeit der Seele glauben.« Durch dieſe einfache Aus¬
ſage wird der Volksſtamm unſerer Aufmerkſamkeit empfohlen;
der Geſchichtſchreiber weiß nichts Bezeichnenderes und Be¬
deutenderes von ihm zu melden, er betrachtet dieſen Glauben
offenbar als ſeinen eigentlichen Charakterzug.
Geſtatten Sie mir, an dieſe unſcheinbaren Worte anzu¬
knüpfen und auf Anlaß derſelben eine Seite des Alterthums
zu berühren, für welche wir gewiß Alle ein nahes Intereſſe
fühlen. Die nationale Wichtigkeit, welche Herodot dem Un¬
ſterblichkeitsglauben beimißt, führt uns zu der Frage, welche
Bedeutung derſelbe im Sinne der Griechen und welchen Ein¬
fluß er auf die Entwickelung derſelben gehabt hat.
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/235>, abgerufen am 24.11.2024.
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