auch die Preußen in allen Zeiten der Spannung und des ge¬ reizten Gegensatzes zwischen Nord und Süd die ihnen ge¬ spendeten Zeichen von Abneigung, Haß und Erbitterung nie¬ mals erwidert, und zwar war das durchaus keine tugend¬ hafte Selbstbeherrschung besonderer Art, sondern eine sittliche Unmöglichkeit, welche sich aus der Erziehungsgeschichte unseres Staats erklärt. Im vollen Bewußtsein eines ununterbrochenen und unentbehrlichen, gastlichen Austausches hat es sich nie¬ mals in einem Gegensatze zum Süden zu fühlen vermocht.
So bezeugt sich die Gastfreundschaft in neuen wie in alten Zeiten als eine Quelle von Macht und Gedeihen, als einen Grundpfeiler geistiger Größe, als einen wesentlichen Factor der Staatengeschichte.
Aber, ich denke, sie geht uns noch näher, noch unmittel¬ barer an. Denn diese Hallen, in denen wir heute unsers Königs Geburtstag feiern, sind sie nicht auch ein Tempel der Gastfreiheit, sind wir nicht die Wirthe, welche die Jugend, die uns ihr freies Vertrauen schenkt, mit dem ausrüsten, wo¬ durch sie in Stand gesetzt wird, selbständig dem Vaterlande zu dienen? Und zwar geben wir nicht, wie andere Wirthe, nur etwas auf unsere Veranstaltung Bereitetes, sondern wir geben uns selbst, unsere eigene Person, das Beste, was wir haben, unsere geistige Erfahrung und Erkenntniß, unsere Ueber¬ zeugung von göttlichen und menschlichen Dingen, im Geben selbst wieder empfangend, am Eifer der Jugend uns erfri¬ schend, an der überzeugenden Kraft die Richtigkeit unserer Mit¬ theilung erprobend. Das also ist die edelste Form gastlicher Gegenseitigkeit, ein Geben und Nehmen, wobei Keiner ärmer wird und Jeder gewinnt. Dieser Geisterverkehr ist es, der unserm Berufe seine Bedeutung giebt, und wie geweiht er¬ scheint uns dieses Haus, wenn wir uns vergegenwärtigen, wieviel geistige Bande hier geknüpft, wieviel elektrische Ströme geistiger Anregung von hier in alle Welt ausgegangen sind!
Aber nicht auf dieses Haus bleibe unser Beruf be¬ schränkt; auch im Leben sollen wir die Kunst edler Gastfrei¬
Die Gaſtfreundſchaft.
auch die Preußen in allen Zeiten der Spannung und des ge¬ reizten Gegenſatzes zwiſchen Nord und Süd die ihnen ge¬ ſpendeten Zeichen von Abneigung, Haß und Erbitterung nie¬ mals erwidert, und zwar war das durchaus keine tugend¬ hafte Selbſtbeherrſchung beſonderer Art, ſondern eine ſittliche Unmöglichkeit, welche ſich aus der Erziehungsgeſchichte unſeres Staats erklärt. Im vollen Bewußtſein eines ununterbrochenen und unentbehrlichen, gaſtlichen Austauſches hat es ſich nie¬ mals in einem Gegenſatze zum Süden zu fühlen vermocht.
So bezeugt ſich die Gaſtfreundſchaft in neuen wie in alten Zeiten als eine Quelle von Macht und Gedeihen, als einen Grundpfeiler geiſtiger Größe, als einen weſentlichen Factor der Staatengeſchichte.
Aber, ich denke, ſie geht uns noch näher, noch unmittel¬ barer an. Denn dieſe Hallen, in denen wir heute unſers Königs Geburtstag feiern, ſind ſie nicht auch ein Tempel der Gaſtfreiheit, ſind wir nicht die Wirthe, welche die Jugend, die uns ihr freies Vertrauen ſchenkt, mit dem ausrüſten, wo¬ durch ſie in Stand geſetzt wird, ſelbſtändig dem Vaterlande zu dienen? Und zwar geben wir nicht, wie andere Wirthe, nur etwas auf unſere Veranſtaltung Bereitetes, ſondern wir geben uns ſelbſt, unſere eigene Perſon, das Beſte, was wir haben, unſere geiſtige Erfahrung und Erkenntniß, unſere Ueber¬ zeugung von göttlichen und menſchlichen Dingen, im Geben ſelbſt wieder empfangend, am Eifer der Jugend uns erfri¬ ſchend, an der überzeugenden Kraft die Richtigkeit unſerer Mit¬ theilung erprobend. Das alſo iſt die edelſte Form gaſtlicher Gegenſeitigkeit, ein Geben und Nehmen, wobei Keiner ärmer wird und Jeder gewinnt. Dieſer Geiſterverkehr iſt es, der unſerm Berufe ſeine Bedeutung giebt, und wie geweiht er¬ ſcheint uns dieſes Haus, wenn wir uns vergegenwärtigen, wieviel geiſtige Bande hier geknüpft, wieviel elektriſche Ströme geiſtiger Anregung von hier in alle Welt ausgegangen ſind!
Aber nicht auf dieſes Haus bleibe unſer Beruf be¬ ſchränkt; auch im Leben ſollen wir die Kunſt edler Gaſtfrei¬
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Die Gaſtfreundſchaft.
auch die Preußen in allen Zeiten der Spannung und des ge¬
reizten Gegenſatzes zwiſchen Nord und Süd die ihnen ge¬
ſpendeten Zeichen von Abneigung, Haß und Erbitterung nie¬
mals erwidert, und zwar war das durchaus keine tugend¬
hafte Selbſtbeherrſchung beſonderer Art, ſondern eine ſittliche
Unmöglichkeit, welche ſich aus der Erziehungsgeſchichte unſeres
Staats erklärt. Im vollen Bewußtſein eines ununterbrochenen
und unentbehrlichen, gaſtlichen Austauſches hat es ſich nie¬
mals in einem Gegenſatze zum Süden zu fühlen vermocht.
So bezeugt ſich die Gaſtfreundſchaft in neuen wie in
alten Zeiten als eine Quelle von Macht und Gedeihen, als
einen Grundpfeiler geiſtiger Größe, als einen weſentlichen
Factor der Staatengeſchichte.
Aber, ich denke, ſie geht uns noch näher, noch unmittel¬
barer an. Denn dieſe Hallen, in denen wir heute unſers
Königs Geburtstag feiern, ſind ſie nicht auch ein Tempel der
Gaſtfreiheit, ſind wir nicht die Wirthe, welche die Jugend,
die uns ihr freies Vertrauen ſchenkt, mit dem ausrüſten, wo¬
durch ſie in Stand geſetzt wird, ſelbſtändig dem Vaterlande
zu dienen? Und zwar geben wir nicht, wie andere Wirthe,
nur etwas auf unſere Veranſtaltung Bereitetes, ſondern wir
geben uns ſelbſt, unſere eigene Perſon, das Beſte, was wir
haben, unſere geiſtige Erfahrung und Erkenntniß, unſere Ueber¬
zeugung von göttlichen und menſchlichen Dingen, im Geben
ſelbſt wieder empfangend, am Eifer der Jugend uns erfri¬
ſchend, an der überzeugenden Kraft die Richtigkeit unſerer Mit¬
theilung erprobend. Das alſo iſt die edelſte Form gaſtlicher
Gegenſeitigkeit, ein Geben und Nehmen, wobei Keiner ärmer
wird und Jeder gewinnt. Dieſer Geiſterverkehr iſt es, der
unſerm Berufe ſeine Bedeutung giebt, und wie geweiht er¬
ſcheint uns dieſes Haus, wenn wir uns vergegenwärtigen,
wieviel geiſtige Bande hier geknüpft, wieviel elektriſche Ströme
geiſtiger Anregung von hier in alle Welt ausgegangen ſind!
Aber nicht auf dieſes Haus bleibe unſer Beruf be¬
ſchränkt; auch im Leben ſollen wir die Kunſt edler Gaſtfrei¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/232>, abgerufen am 27.07.2024.
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