zu behandeln, ebenso wie das heidnische Rom es mit den Christen gemacht hatte.
Dieses Aeußerste von unmilder und ungastlicher Regie¬ rungsweise beruhte, wenn sie auch von Fürsten ausging, welche sich die allerchristlichsten nannten, auf einer verkehrten An¬ wendung antiker Staatsmaximen, und über keine Verkehrtheit hat die Geschichte ihr Urtheil klarer ausgesprochen. Davon zeugen die Erinnerungen, welche dem Namen eines Philipp IV., eines Ferdinand II., eines Ludwig XIV. folgen; davon zeugt der jetzige Zustand der Länder, wo in Folge blutiger Gegen¬ reformationen der Staat seine eigenen Kinder ausgestoßen oder hingeopfert hat.
Die einem festlichen Tage geweihte Betrachtung kehrt sich von diesen Schattenseiten ab und wendet sich lieber dahin, wo man, wie im alten Athen, die Gastfreiheit zum Grundsatze der Politik gemacht hat, und das führt uns zu dem Staate, in dem und mit dem wir heute feiern.
"Was thut Gott dem Hause Brandenburg für Gnade," sagte Friedrich Wilhelm I., als die Salzburger ihre schöne Heimath verließen, um zu Tausenden und aber Tausenden in des Königs Lande überzusiedeln, schon in der Ferne einge¬ laden und nun mit Freuden empfangen, unter festlichem Glocken¬ geläute von Ort zu Ort geleitet. Er folgte darin dem Bei¬ spiele seiner Vorfahren, vor Allem dem des Großen Kurfürsten, welcher die Aufhebung des Edicts von Nantes unverzüglich und auf die Gefahr hin, mit dem mächtigen Frankreich in Conflikt zu kommen, in echt evangelischem Sinne beantwortete, indem er den Betroffenen die Hand reichte, den Flüchtigen forthalf, den Geretteten Heimath und Obdach gab. Und das that er nicht aus politischer Berechnung, nein, sein Herz trieb ihn, er konnte nicht anders; er schrieb selbst die Wege und Nachtstationen auf und kümmerte sich um Alles; er behandelte die Schwergeprüften nicht bloß mit weichherzigem Mitleide, sondern mit der Ehrerbietung, wie sie schon die Alten dem Heimathlosen zuwendeten; er ehrte ihre Tradition, ihre Sprache und pflegte mit väterlicher Milde ihre Eigenthümlichkeit, und
Die Gaſtfreundſchaft.
zu behandeln, ebenſo wie das heidniſche Rom es mit den Chriſten gemacht hatte.
Dieſes Aeußerſte von unmilder und ungaſtlicher Regie¬ rungsweiſe beruhte, wenn ſie auch von Fürſten ausging, welche ſich die allerchriſtlichſten nannten, auf einer verkehrten An¬ wendung antiker Staatsmaximen, und über keine Verkehrtheit hat die Geſchichte ihr Urtheil klarer ausgeſprochen. Davon zeugen die Erinnerungen, welche dem Namen eines Philipp IV., eines Ferdinand II., eines Ludwig XIV. folgen; davon zeugt der jetzige Zuſtand der Länder, wo in Folge blutiger Gegen¬ reformationen der Staat ſeine eigenen Kinder ausgeſtoßen oder hingeopfert hat.
Die einem feſtlichen Tage geweihte Betrachtung kehrt ſich von dieſen Schattenſeiten ab und wendet ſich lieber dahin, wo man, wie im alten Athen, die Gaſtfreiheit zum Grundſatze der Politik gemacht hat, und das führt uns zu dem Staate, in dem und mit dem wir heute feiern.
»Was thut Gott dem Hauſe Brandenburg für Gnade,« ſagte Friedrich Wilhelm I., als die Salzburger ihre ſchöne Heimath verließen, um zu Tauſenden und aber Tauſenden in des Königs Lande überzuſiedeln, ſchon in der Ferne einge¬ laden und nun mit Freuden empfangen, unter feſtlichem Glocken¬ geläute von Ort zu Ort geleitet. Er folgte darin dem Bei¬ ſpiele ſeiner Vorfahren, vor Allem dem des Großen Kurfürſten, welcher die Aufhebung des Edicts von Nantes unverzüglich und auf die Gefahr hin, mit dem mächtigen Frankreich in Conflikt zu kommen, in echt evangeliſchem Sinne beantwortete, indem er den Betroffenen die Hand reichte, den Flüchtigen forthalf, den Geretteten Heimath und Obdach gab. Und das that er nicht aus politiſcher Berechnung, nein, ſein Herz trieb ihn, er konnte nicht anders; er ſchrieb ſelbſt die Wege und Nachtſtationen auf und kümmerte ſich um Alles; er behandelte die Schwergeprüften nicht bloß mit weichherzigem Mitleide, ſondern mit der Ehrerbietung, wie ſie ſchon die Alten dem Heimathloſen zuwendeten; er ehrte ihre Tradition, ihre Sprache und pflegte mit väterlicher Milde ihre Eigenthümlichkeit, und
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Die Gaſtfreundſchaft.
zu behandeln, ebenſo wie das heidniſche Rom es mit den
Chriſten gemacht hatte.
Dieſes Aeußerſte von unmilder und ungaſtlicher Regie¬
rungsweiſe beruhte, wenn ſie auch von Fürſten ausging, welche
ſich die allerchriſtlichſten nannten, auf einer verkehrten An¬
wendung antiker Staatsmaximen, und über keine Verkehrtheit
hat die Geſchichte ihr Urtheil klarer ausgeſprochen. Davon
zeugen die Erinnerungen, welche dem Namen eines Philipp IV.,
eines Ferdinand II., eines Ludwig XIV. folgen; davon zeugt
der jetzige Zuſtand der Länder, wo in Folge blutiger Gegen¬
reformationen der Staat ſeine eigenen Kinder ausgeſtoßen
oder hingeopfert hat.
Die einem feſtlichen Tage geweihte Betrachtung kehrt ſich
von dieſen Schattenſeiten ab und wendet ſich lieber dahin, wo
man, wie im alten Athen, die Gaſtfreiheit zum Grundſatze der
Politik gemacht hat, und das führt uns zu dem Staate, in
dem und mit dem wir heute feiern.
»Was thut Gott dem Hauſe Brandenburg für Gnade,«
ſagte Friedrich Wilhelm I., als die Salzburger ihre ſchöne
Heimath verließen, um zu Tauſenden und aber Tauſenden in
des Königs Lande überzuſiedeln, ſchon in der Ferne einge¬
laden und nun mit Freuden empfangen, unter feſtlichem Glocken¬
geläute von Ort zu Ort geleitet. Er folgte darin dem Bei¬
ſpiele ſeiner Vorfahren, vor Allem dem des Großen Kurfürſten,
welcher die Aufhebung des Edicts von Nantes unverzüglich
und auf die Gefahr hin, mit dem mächtigen Frankreich in
Conflikt zu kommen, in echt evangeliſchem Sinne beantwortete,
indem er den Betroffenen die Hand reichte, den Flüchtigen
forthalf, den Geretteten Heimath und Obdach gab. Und das
that er nicht aus politiſcher Berechnung, nein, ſein Herz trieb
ihn, er konnte nicht anders; er ſchrieb ſelbſt die Wege und
Nachtſtationen auf und kümmerte ſich um Alles; er behandelte
die Schwergeprüften nicht bloß mit weichherzigem Mitleide,
ſondern mit der Ehrerbietung, wie ſie ſchon die Alten dem
Heimathloſen zuwendeten; er ehrte ihre Tradition, ihre Sprache
und pflegte mit väterlicher Milde ihre Eigenthümlichkeit, und
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/230>, abgerufen am 24.11.2024.
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