Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Gastfreundschaft.
Die Latiner gingen schließlich in die Römer auf und der
Bundestag an der Ferentina wurde wieder, was er ursprünglich
gewesen war, ein harmloser Festtag und Festschmaus benach¬
barter Gaugenossen.

Mit der steigenden Machtstellung Roms, welche auf dem
Verhältnisse zum latinischen Opfervereine beruht, war auch
die Ausbildung seiner Rechtsanschauungen unzertrennlich ver¬
bunden. Denn nachdem das bürgerliche Recht festgestellt war,
mußte man immer mehr auf solche Fälle Rücksicht nehmen,
wo Fremde und Bürger einander gegenüber standen; man
konnte nicht umhin, die Rechte und Gewohnheiten der Aus¬
länder kennen zu lernen und zu vergleichen; man übte den
Blick, man schärfte das Urtheil, man fand neben den Ab¬
weichungen auch gewisse gemeinsame Rechtsnormen, und so
entwickelte sich ein Völkerrecht, welches mit dem freieren Geiste
der Humanität auf das bürgerliche Recht zurückwirkte. So
erwuchs ein fruchtbarer Völkerverkehr, und wenn man die
Terrasse, von welcher die Vertreter gastbefreundeter Nationen
den Festspielen als Ehrengäste beiwohnten, den Griechenstand
nannte, so entnehmen wir schon daraus, daß nach Verschmelzung
mit den Latinern der nächste Fortschritt darin bestand, daß
Rom mit den Griechen, namentlich den in Gallien ansässigen,
in gastfreundliche Beziehungen trat, und so ist die Stadt von
Stufe zu Stufe im internationalen Verkehr weiter geführt
und durch die Gastfreundschaft für seinen Weltberuf allmählich
ausgebildet worden.

Auch in der Religion herrschte ursprünglich ein Geist
spröder Ausschließlichkeit und Ungastlichkeit. Jede Gemeinde
hatte ihren Gott, dessen Bild oder Wahrzeichen das Unter¬
pfand ihres Heils war; jede Gemeinde hatte den ihrigen für
sich, so daß Keiner von fremdem Stamme zu ihm eingehen
durfte, um Opfer oder Weihegaben darzubringen. Einführung
neuer Götter war also Hochverrath, weil sie die Prärogative
der Staatsgottheit schmälerte, und man hielt in einigen Ge¬
genden feierliche Umzüge mit Waffenspielen, in welchen das
Austreiben der Eindringlinge über die Gränzen des Landes

Die Gaſtfreundſchaft.
Die Latiner gingen ſchließlich in die Römer auf und der
Bundestag an der Ferentina wurde wieder, was er urſprünglich
geweſen war, ein harmloſer Feſttag und Feſtſchmaus benach¬
barter Gaugenoſſen.

Mit der ſteigenden Machtſtellung Roms, welche auf dem
Verhältniſſe zum latiniſchen Opfervereine beruht, war auch
die Ausbildung ſeiner Rechtsanſchauungen unzertrennlich ver¬
bunden. Denn nachdem das bürgerliche Recht feſtgeſtellt war,
mußte man immer mehr auf ſolche Fälle Rückſicht nehmen,
wo Fremde und Bürger einander gegenüber ſtanden; man
konnte nicht umhin, die Rechte und Gewohnheiten der Aus¬
länder kennen zu lernen und zu vergleichen; man übte den
Blick, man ſchärfte das Urtheil, man fand neben den Ab¬
weichungen auch gewiſſe gemeinſame Rechtsnormen, und ſo
entwickelte ſich ein Völkerrecht, welches mit dem freieren Geiſte
der Humanität auf das bürgerliche Recht zurückwirkte. So
erwuchs ein fruchtbarer Völkerverkehr, und wenn man die
Terraſſe, von welcher die Vertreter gaſtbefreundeter Nationen
den Feſtſpielen als Ehrengäſte beiwohnten, den Griechenſtand
nannte, ſo entnehmen wir ſchon daraus, daß nach Verſchmelzung
mit den Latinern der nächſte Fortſchritt darin beſtand, daß
Rom mit den Griechen, namentlich den in Gallien anſäſſigen,
in gaſtfreundliche Beziehungen trat, und ſo iſt die Stadt von
Stufe zu Stufe im internationalen Verkehr weiter geführt
und durch die Gaſtfreundſchaft für ſeinen Weltberuf allmählich
ausgebildet worden.

Auch in der Religion herrſchte urſprünglich ein Geiſt
ſpröder Ausſchließlichkeit und Ungaſtlichkeit. Jede Gemeinde
hatte ihren Gott, deſſen Bild oder Wahrzeichen das Unter¬
pfand ihres Heils war; jede Gemeinde hatte den ihrigen für
ſich, ſo daß Keiner von fremdem Stamme zu ihm eingehen
durfte, um Opfer oder Weihegaben darzubringen. Einführung
neuer Götter war alſo Hochverrath, weil ſie die Prärogative
der Staatsgottheit ſchmälerte, und man hielt in einigen Ge¬
genden feierliche Umzüge mit Waffenſpielen, in welchen das
Austreiben der Eindringlinge über die Gränzen des Landes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0226" n="210"/><fw place="top" type="header">Die Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft.<lb/></fw> Die Latiner gingen &#x017F;chließlich in die Römer auf und der<lb/>
Bundestag an der Ferentina wurde wieder, was er ur&#x017F;prünglich<lb/>
gewe&#x017F;en war, ein harmlo&#x017F;er Fe&#x017F;ttag und Fe&#x017F;t&#x017F;chmaus benach¬<lb/>
barter Gaugeno&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Mit der &#x017F;teigenden Macht&#x017F;tellung Roms, welche auf dem<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e zum latini&#x017F;chen Opfervereine beruht, war auch<lb/>
die Ausbildung &#x017F;einer Rechtsan&#x017F;chauungen unzertrennlich ver¬<lb/>
bunden. Denn nachdem das bürgerliche Recht fe&#x017F;tge&#x017F;tellt war,<lb/>
mußte man immer mehr auf &#x017F;olche Fälle Rück&#x017F;icht nehmen,<lb/>
wo Fremde und Bürger einander gegenüber &#x017F;tanden; man<lb/>
konnte nicht umhin, die Rechte und Gewohnheiten der Aus¬<lb/>
länder kennen zu lernen und zu vergleichen; man übte den<lb/>
Blick, man &#x017F;chärfte das Urtheil, man fand neben den Ab¬<lb/>
weichungen auch gewi&#x017F;&#x017F;e gemein&#x017F;ame Rechtsnormen, und &#x017F;o<lb/>
entwickelte &#x017F;ich ein Völkerrecht, welches mit dem freieren Gei&#x017F;te<lb/>
der Humanität auf das bürgerliche Recht zurückwirkte. So<lb/>
erwuchs ein fruchtbarer Völkerverkehr, und wenn man die<lb/>
Terra&#x017F;&#x017F;e, von welcher die Vertreter ga&#x017F;tbefreundeter Nationen<lb/>
den Fe&#x017F;t&#x017F;pielen als Ehrengä&#x017F;te beiwohnten, den Griechen&#x017F;tand<lb/>
nannte, &#x017F;o entnehmen wir &#x017F;chon daraus, daß nach Ver&#x017F;chmelzung<lb/>
mit den Latinern der näch&#x017F;te Fort&#x017F;chritt darin be&#x017F;tand, daß<lb/>
Rom mit den Griechen, namentlich den in Gallien an&#x017F;ä&#x017F;&#x017F;igen,<lb/>
in ga&#x017F;tfreundliche Beziehungen trat, und &#x017F;o i&#x017F;t die Stadt von<lb/>
Stufe zu Stufe im internationalen Verkehr weiter geführt<lb/>
und durch die Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft für &#x017F;einen Weltberuf allmählich<lb/>
ausgebildet worden.</p><lb/>
        <p>Auch in der Religion herr&#x017F;chte ur&#x017F;prünglich ein Gei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;pröder Aus&#x017F;chließlichkeit und Unga&#x017F;tlichkeit. Jede Gemeinde<lb/>
hatte ihren Gott, de&#x017F;&#x017F;en Bild oder Wahrzeichen das Unter¬<lb/>
pfand ihres Heils war; jede Gemeinde hatte den ihrigen für<lb/>
&#x017F;ich, &#x017F;o daß Keiner von fremdem Stamme zu ihm eingehen<lb/>
durfte, um Opfer oder Weihegaben darzubringen. Einführung<lb/>
neuer Götter war al&#x017F;o Hochverrath, weil &#x017F;ie die Prärogative<lb/>
der Staatsgottheit &#x017F;chmälerte, und man hielt in einigen Ge¬<lb/>
genden feierliche Umzüge mit Waffen&#x017F;pielen, in welchen das<lb/>
Austreiben der Eindringlinge über die Gränzen des Landes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0226] Die Gaſtfreundſchaft. Die Latiner gingen ſchließlich in die Römer auf und der Bundestag an der Ferentina wurde wieder, was er urſprünglich geweſen war, ein harmloſer Feſttag und Feſtſchmaus benach¬ barter Gaugenoſſen. Mit der ſteigenden Machtſtellung Roms, welche auf dem Verhältniſſe zum latiniſchen Opfervereine beruht, war auch die Ausbildung ſeiner Rechtsanſchauungen unzertrennlich ver¬ bunden. Denn nachdem das bürgerliche Recht feſtgeſtellt war, mußte man immer mehr auf ſolche Fälle Rückſicht nehmen, wo Fremde und Bürger einander gegenüber ſtanden; man konnte nicht umhin, die Rechte und Gewohnheiten der Aus¬ länder kennen zu lernen und zu vergleichen; man übte den Blick, man ſchärfte das Urtheil, man fand neben den Ab¬ weichungen auch gewiſſe gemeinſame Rechtsnormen, und ſo entwickelte ſich ein Völkerrecht, welches mit dem freieren Geiſte der Humanität auf das bürgerliche Recht zurückwirkte. So erwuchs ein fruchtbarer Völkerverkehr, und wenn man die Terraſſe, von welcher die Vertreter gaſtbefreundeter Nationen den Feſtſpielen als Ehrengäſte beiwohnten, den Griechenſtand nannte, ſo entnehmen wir ſchon daraus, daß nach Verſchmelzung mit den Latinern der nächſte Fortſchritt darin beſtand, daß Rom mit den Griechen, namentlich den in Gallien anſäſſigen, in gaſtfreundliche Beziehungen trat, und ſo iſt die Stadt von Stufe zu Stufe im internationalen Verkehr weiter geführt und durch die Gaſtfreundſchaft für ſeinen Weltberuf allmählich ausgebildet worden. Auch in der Religion herrſchte urſprünglich ein Geiſt ſpröder Ausſchließlichkeit und Ungaſtlichkeit. Jede Gemeinde hatte ihren Gott, deſſen Bild oder Wahrzeichen das Unter¬ pfand ihres Heils war; jede Gemeinde hatte den ihrigen für ſich, ſo daß Keiner von fremdem Stamme zu ihm eingehen durfte, um Opfer oder Weihegaben darzubringen. Einführung neuer Götter war alſo Hochverrath, weil ſie die Prärogative der Staatsgottheit ſchmälerte, und man hielt in einigen Ge¬ genden feierliche Umzüge mit Waffenſpielen, in welchen das Austreiben der Eindringlinge über die Gränzen des Landes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/226
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/226>, abgerufen am 24.11.2024.