die Dioskuren bei Laphanes im arkadischen Hochlande, dessen Haus so herrlich gedeiht, daß fortan die Vorräthe nie ver¬ siegen und kein Wanderer vorübergelassen zu werden braucht. So die schmerzenreiche Demeter, welche, in ihrem Irrsal gast¬ lich aufgenommen, die Hauskinder mit göttlicher Kraft nährt und den Segen ihrer Mysterien zurückläßt. Hier ist in den verschiedensten Formen ein Gedanke ausgeprägt, und zwar kein anderer als der, den das apostolische Wort ausspricht: Gastfrei zu sein vergesset nicht, denn durch dasselbige haben Etliche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.
Das ist gerade etwas Besonderes bei der Tugend der Gastfreundschaft, daß hier auch bei den Griechen Religion und Ethik in engem Zusammenhange stehen, wie er sonst nur selten zu Tage tritt. Zeus fordert sie und straft ihre Ver¬ absäumung; sie wird als das sicherste Kennzeichen eines gottes¬ fürchtigen Sinns angesehen, darum kleiden sich die Götter selbst in das menschliche Elend, um an sich zu erproben, wie man den Armen und Obdachlosen auf Erden begegne; darum wacht des Zeus Auge über sie und der Himmelskönig tritt für diejenigen ein, welche auf Erden Niemand haben, der sich ihrer annimmt. So wird aus dem verachteten Fremdling ein Gottesmann, ein Ehrwürdiger, dessen leiseste Kränkung dem Tempelfrevel gleich kommt; denn durch den Oelzweig in seiner Hand stellt er sich in die Hut des Gottesfriedens, in den Schutz des Zeus Xenios.
Als eine religiöse Verpflichtung wird die Gastfreundschaft auch von den Tempelinstituten empfohlen, theils durch fromme Legenden, welche den Segen der Götter bezeugen, theils durch die dem Gottesdienst dienende Kunst. So ließ man in der delphischen Pilgerhalle mitten unter den Gräuelscenen der Zerstörung Ilions die Familie der Antenoriden malen, welche, der Christengruppe auf Kaulbach's Bilde gleich, friedlich und harmlos aus der brennenden Stadt auszieht. Denn Antenor war des Menelaos Gastfreund gewesen, darum er¬ hielt er freies Geleite, nach demselben Rechte, nach welchem
Die Gaſtfreundſchaft.
die Dioskuren bei Laphanes im arkadiſchen Hochlande, deſſen Haus ſo herrlich gedeiht, daß fortan die Vorräthe nie ver¬ ſiegen und kein Wanderer vorübergelaſſen zu werden braucht. So die ſchmerzenreiche Demeter, welche, in ihrem Irrſal gaſt¬ lich aufgenommen, die Hauskinder mit göttlicher Kraft nährt und den Segen ihrer Myſterien zurückläßt. Hier iſt in den verſchiedenſten Formen ein Gedanke ausgeprägt, und zwar kein anderer als der, den das apoſtoliſche Wort ausſpricht: Gaſtfrei zu ſein vergeſſet nicht, denn durch daſſelbige haben Etliche, ohne es zu wiſſen, Engel beherbergt.
Das iſt gerade etwas Beſonderes bei der Tugend der Gaſtfreundſchaft, daß hier auch bei den Griechen Religion und Ethik in engem Zuſammenhange ſtehen, wie er ſonſt nur ſelten zu Tage tritt. Zeus fordert ſie und ſtraft ihre Ver¬ abſäumung; ſie wird als das ſicherſte Kennzeichen eines gottes¬ fürchtigen Sinns angeſehen, darum kleiden ſich die Götter ſelbſt in das menſchliche Elend, um an ſich zu erproben, wie man den Armen und Obdachloſen auf Erden begegne; darum wacht des Zeus Auge über ſie und der Himmelskönig tritt für diejenigen ein, welche auf Erden Niemand haben, der ſich ihrer annimmt. So wird aus dem verachteten Fremdling ein Gottesmann, ein Ehrwürdiger, deſſen leiſeſte Kränkung dem Tempelfrevel gleich kommt; denn durch den Oelzweig in ſeiner Hand ſtellt er ſich in die Hut des Gottesfriedens, in den Schutz des Zeus Xenios.
Als eine religiöſe Verpflichtung wird die Gaſtfreundſchaft auch von den Tempelinſtituten empfohlen, theils durch fromme Legenden, welche den Segen der Götter bezeugen, theils durch die dem Gottesdienſt dienende Kunſt. So ließ man in der delphiſchen Pilgerhalle mitten unter den Gräuelſcenen der Zerſtörung Ilions die Familie der Antenoriden malen, welche, der Chriſtengruppe auf Kaulbach's Bilde gleich, friedlich und harmlos aus der brennenden Stadt auszieht. Denn Antenor war des Menelaos Gaſtfreund geweſen, darum er¬ hielt er freies Geleite, nach demſelben Rechte, nach welchem
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Die Gaſtfreundſchaft.
die Dioskuren bei Laphanes im arkadiſchen Hochlande, deſſen
Haus ſo herrlich gedeiht, daß fortan die Vorräthe nie ver¬
ſiegen und kein Wanderer vorübergelaſſen zu werden braucht.
So die ſchmerzenreiche Demeter, welche, in ihrem Irrſal gaſt¬
lich aufgenommen, die Hauskinder mit göttlicher Kraft nährt
und den Segen ihrer Myſterien zurückläßt. Hier iſt in den
verſchiedenſten Formen ein Gedanke ausgeprägt, und zwar
kein anderer als der, den das apoſtoliſche Wort ausſpricht:
Gaſtfrei zu ſein vergeſſet nicht, denn durch daſſelbige haben
Etliche, ohne es zu wiſſen, Engel beherbergt.
Das iſt gerade etwas Beſonderes bei der Tugend der
Gaſtfreundſchaft, daß hier auch bei den Griechen Religion
und Ethik in engem Zuſammenhange ſtehen, wie er ſonſt nur
ſelten zu Tage tritt. Zeus fordert ſie und ſtraft ihre Ver¬
abſäumung; ſie wird als das ſicherſte Kennzeichen eines gottes¬
fürchtigen Sinns angeſehen, darum kleiden ſich die Götter
ſelbſt in das menſchliche Elend, um an ſich zu erproben, wie
man den Armen und Obdachloſen auf Erden begegne; darum
wacht des Zeus Auge über ſie und der Himmelskönig tritt
für diejenigen ein, welche auf Erden Niemand haben, der ſich
ihrer annimmt. So wird aus dem verachteten Fremdling ein
Gottesmann, ein Ehrwürdiger, deſſen leiſeſte Kränkung dem
Tempelfrevel gleich kommt; denn durch den Oelzweig in ſeiner
Hand ſtellt er ſich in die Hut des Gottesfriedens, in den
Schutz des Zeus Xenios.
Als eine religiöſe Verpflichtung wird die Gaſtfreundſchaft
auch von den Tempelinſtituten empfohlen, theils durch fromme
Legenden, welche den Segen der Götter bezeugen, theils durch
die dem Gottesdienſt dienende Kunſt. So ließ man in der
delphiſchen Pilgerhalle mitten unter den Gräuelſcenen der
Zerſtörung Ilions die Familie der Antenoriden malen, welche,
der Chriſtengruppe auf Kaulbach's Bilde gleich, friedlich
und harmlos aus der brennenden Stadt auszieht. Denn
Antenor war des Menelaos Gaſtfreund geweſen, darum er¬
hielt er freies Geleite, nach demſelben Rechte, nach welchem
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/221>, abgerufen am 22.07.2024.
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