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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Freundschaft im Alterthume.
theilhaftig wußten. Aber hier erkennen wir auch den eigenthüm¬
lichen Standpunkt der Alten. Die Ehe ist nur möglich auf
dem Boden der staatlichen Gemeinschaft, und sie ist für die
Erhaltung derselben unentbehrlich. Sie gehört also nicht in
die Sphäre dessen, was der Neigung des Einzelnen anheim¬
gegeben ist; sie ist eine Bürgerpflicht, von deren Erfüllung
die bürgerliche Stellung abhängig ist. Persönliche Beglückung
und sittliche Veredlung sind wenigstens nicht die Zielpunkte
der Eheschließung; darum war dieselbe eine Sache der nüch¬
ternsten Erwägung, und es schien bedenklich, ja ungehörig,
Herzensstimmungen darauf einwirken zu lassen. Die Frau
hatte keine ebenbürtige Stellung neben dem Manne, die Familie
war nur die erweiterte Persönlichkeit des Hausvaters, die
Liebe desselben zu den Seinigen also nur eine feinere Art von
Selbstliebe.

Die Liebe, welche den Eigenwillen überwinden soll, muß
eine durchaus freie sein, unabhängig von Naturtrieben und äuße¬
ren Rücksichten, ein Bund gleich geordneter Persönlichkeiten, und
darauf beruht nun die besondere Bedeutung der Freundschaft
im Alterthume, daß sie für die höchsten Zwecke menschlicher
Ausbildung, auf welche, wenn auch unbewußt, jede unverdorbene
Menschenseele hinstrebt, das ersetzte, was uns Religion und
Familienleben ist. Die Alten haben Ehebund und Freund¬
schaftsbund niemals auf gleiche Stufe gestellt und wenn sie
verglichen, so haben sie im Sinne David's geurtheilt, wenn
er zu seinem Jonathan sagte: Deine Liebe ist mir sonder¬
licher gewesen, denn Frauenliebe ist. Ja man kann sagen,
daß nur hier ein freies, von allen äußeren Rücksichten unab¬
hängiges, Verhältniß gegeben war, in dem der Mensch ganz
aus sich heraustreten konnte, ein volles Verhältniß menschlicher
Gegenseitigkeit, ein freies Geben und Nehmen. Also kamen
die höchsten Tugenden, Wahrhaftigkeit und Treue, Liebe und
Selbstverläugnung, nur hier zu voller Wirksamkeit, in ihr
überhaupt das sittliche Leben zu seiner reichsten Entfaltung.

Auch die Sprache giebt uns lehrreiche Winke über die
eigenthümliche Auffassung des Freundschaftsbegriffs bei den

Die Freundſchaft im Alterthume.
theilhaftig wußten. Aber hier erkennen wir auch den eigenthüm¬
lichen Standpunkt der Alten. Die Ehe iſt nur möglich auf
dem Boden der ſtaatlichen Gemeinſchaft, und ſie iſt für die
Erhaltung derſelben unentbehrlich. Sie gehört alſo nicht in
die Sphäre deſſen, was der Neigung des Einzelnen anheim¬
gegeben iſt; ſie iſt eine Bürgerpflicht, von deren Erfüllung
die bürgerliche Stellung abhängig iſt. Perſönliche Beglückung
und ſittliche Veredlung ſind wenigſtens nicht die Zielpunkte
der Eheſchließung; darum war dieſelbe eine Sache der nüch¬
ternſten Erwägung, und es ſchien bedenklich, ja ungehörig,
Herzensſtimmungen darauf einwirken zu laſſen. Die Frau
hatte keine ebenbürtige Stellung neben dem Manne, die Familie
war nur die erweiterte Perſönlichkeit des Hausvaters, die
Liebe deſſelben zu den Seinigen alſo nur eine feinere Art von
Selbſtliebe.

Die Liebe, welche den Eigenwillen überwinden ſoll, muß
eine durchaus freie ſein, unabhängig von Naturtrieben und äuße¬
ren Rückſichten, ein Bund gleich geordneter Perſönlichkeiten, und
darauf beruht nun die beſondere Bedeutung der Freundſchaft
im Alterthume, daß ſie für die höchſten Zwecke menſchlicher
Ausbildung, auf welche, wenn auch unbewußt, jede unverdorbene
Menſchenſeele hinſtrebt, das erſetzte, was uns Religion und
Familienleben iſt. Die Alten haben Ehebund und Freund¬
ſchaftsbund niemals auf gleiche Stufe geſtellt und wenn ſie
verglichen, ſo haben ſie im Sinne David's geurtheilt, wenn
er zu ſeinem Jonathan ſagte: Deine Liebe iſt mir ſonder¬
licher geweſen, denn Frauenliebe iſt. Ja man kann ſagen,
daß nur hier ein freies, von allen äußeren Rückſichten unab¬
hängiges, Verhältniß gegeben war, in dem der Menſch ganz
aus ſich heraustreten konnte, ein volles Verhältniß menſchlicher
Gegenſeitigkeit, ein freies Geben und Nehmen. Alſo kamen
die höchſten Tugenden, Wahrhaftigkeit und Treue, Liebe und
Selbſtverläugnung, nur hier zu voller Wirkſamkeit, in ihr
überhaupt das ſittliche Leben zu ſeiner reichſten Entfaltung.

Auch die Sprache giebt uns lehrreiche Winke über die
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[186/0202] Die Freundſchaft im Alterthume. theilhaftig wußten. Aber hier erkennen wir auch den eigenthüm¬ lichen Standpunkt der Alten. Die Ehe iſt nur möglich auf dem Boden der ſtaatlichen Gemeinſchaft, und ſie iſt für die Erhaltung derſelben unentbehrlich. Sie gehört alſo nicht in die Sphäre deſſen, was der Neigung des Einzelnen anheim¬ gegeben iſt; ſie iſt eine Bürgerpflicht, von deren Erfüllung die bürgerliche Stellung abhängig iſt. Perſönliche Beglückung und ſittliche Veredlung ſind wenigſtens nicht die Zielpunkte der Eheſchließung; darum war dieſelbe eine Sache der nüch¬ ternſten Erwägung, und es ſchien bedenklich, ja ungehörig, Herzensſtimmungen darauf einwirken zu laſſen. Die Frau hatte keine ebenbürtige Stellung neben dem Manne, die Familie war nur die erweiterte Perſönlichkeit des Hausvaters, die Liebe deſſelben zu den Seinigen alſo nur eine feinere Art von Selbſtliebe. Die Liebe, welche den Eigenwillen überwinden ſoll, muß eine durchaus freie ſein, unabhängig von Naturtrieben und äuße¬ ren Rückſichten, ein Bund gleich geordneter Perſönlichkeiten, und darauf beruht nun die beſondere Bedeutung der Freundſchaft im Alterthume, daß ſie für die höchſten Zwecke menſchlicher Ausbildung, auf welche, wenn auch unbewußt, jede unverdorbene Menſchenſeele hinſtrebt, das erſetzte, was uns Religion und Familienleben iſt. Die Alten haben Ehebund und Freund¬ ſchaftsbund niemals auf gleiche Stufe geſtellt und wenn ſie verglichen, ſo haben ſie im Sinne David's geurtheilt, wenn er zu ſeinem Jonathan ſagte: Deine Liebe iſt mir ſonder¬ licher geweſen, denn Frauenliebe iſt. Ja man kann ſagen, daß nur hier ein freies, von allen äußeren Rückſichten unab¬ hängiges, Verhältniß gegeben war, in dem der Menſch ganz aus ſich heraustreten konnte, ein volles Verhältniß menſchlicher Gegenſeitigkeit, ein freies Geben und Nehmen. Alſo kamen die höchſten Tugenden, Wahrhaftigkeit und Treue, Liebe und Selbſtverläugnung, nur hier zu voller Wirkſamkeit, in ihr überhaupt das ſittliche Leben zu ſeiner reichſten Entfaltung. Auch die Sprache giebt uns lehrreiche Winke über die eigenthümliche Auffaſſung des Freundſchaftsbegriffs bei den

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/202>, abgerufen am 24.11.2024.