handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns zu einer echten Gemeinschaft verbindet, so lassen Sie mich heute von dem Gute der Freundschaft reden, und zwar von der besonderen Bedeutung, welche dieselbe im Alterthume für die sittliche Erziehung, für die wissenschaftliche Bildung und für das bürgerliche Gemeinwesen gehabt hat.
Der Werth der geistigen Güter wird nicht auf dem Markte des Lebens festgestellt, sondern in dem engeren Kreise derer, welche den Trieb nach sittlicher Vervollkommnung in sich tragen und pflegen. Diesem Triebe steht ein anderer feindlich gegen¬ über, das ist der Trieb der Selbstsucht. Der sittlich rohe Mensch stellt sich in den Mittelpunkt der Welt und weist, je nachdem er geartet ist, durch Gewalt oder List, Alles zurück, was seinen Eigenwillen hemmt. Diese Eigenwilligkeit muß ein Gegengewicht haben, wenn die menschliche Gesellschaft nicht ein Kampfplatz entfesselter Leidenschaften werden soll. Die Gesellschaft schützt sich gegen die Anmaßungen der Einzelnen durch die Sitte, welche der Wille der Gesammtheit feststellt; die Sitte wird im Gesetze anerkannt und seinen Satzungen müssen sich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der Gemeinschaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer Uebereinstimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe. Das Gesetz erzieht den Menschen. In der verständigen Unter¬ ordnung unter dasselbe lernt er die Tugend, welche die Griechen für die Grundtugend hielten, die Sophrosyne, die Tugend des Maßhaltens, der weisen und besonnenen Selbstbeschränkung in Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Mensch. Aber diese Gerechtigkeit ist nur eine äußerliche; sie hemmt den Aus¬ bruch der Selbstsucht, aber den Trieb kann sie nicht entfernen. Das eigentlich sittliche Bedürfniß bleibt also unbefriedigt.
Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die Götter schützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens Recht im Staate geworden ist, die Gottesfurcht unterstützt die Ehrfurcht vor den Gesetzen. Es stellt aber die Religion auch ihre eigenen Forderungen an den Menschen. Sie verlangt, daß er die Götter über sich anerkenne, sie vor den Menschen
Die Freundſchaft im Alterthume.
handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns zu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat.
Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte des Lebens feſtgeſtellt, ſondern in dem engeren Kreiſe derer, welche den Trieb nach ſittlicher Vervollkommnung in ſich tragen und pflegen. Dieſem Triebe ſteht ein anderer feindlich gegen¬ über, das iſt der Trieb der Selbſtſucht. Der ſittlich rohe Menſch ſtellt ſich in den Mittelpunkt der Welt und weiſt, je nachdem er geartet iſt, durch Gewalt oder Liſt, Alles zurück, was ſeinen Eigenwillen hemmt. Dieſe Eigenwilligkeit muß ein Gegengewicht haben, wenn die menſchliche Geſellſchaft nicht ein Kampfplatz entfeſſelter Leidenſchaften werden ſoll. Die Geſellſchaft ſchützt ſich gegen die Anmaßungen der Einzelnen durch die Sitte, welche der Wille der Geſammtheit feſtſtellt; die Sitte wird im Geſetze anerkannt und ſeinen Satzungen müſſen ſich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der Gemeinſchaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer Uebereinſtimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe. Das Geſetz erzieht den Menſchen. In der verſtändigen Unter¬ ordnung unter daſſelbe lernt er die Tugend, welche die Griechen für die Grundtugend hielten, die Sophroſyne, die Tugend des Maßhaltens, der weiſen und beſonnenen Selbſtbeſchränkung in Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Menſch. Aber dieſe Gerechtigkeit iſt nur eine äußerliche; ſie hemmt den Aus¬ bruch der Selbſtſucht, aber den Trieb kann ſie nicht entfernen. Das eigentlich ſittliche Bedürfniß bleibt alſo unbefriedigt.
Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die Götter ſchützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens Recht im Staate geworden iſt, die Gottesfurcht unterſtützt die Ehrfurcht vor den Geſetzen. Es ſtellt aber die Religion auch ihre eigenen Forderungen an den Menſchen. Sie verlangt, daß er die Götter über ſich anerkenne, ſie vor den Menſchen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0200"n="184"/><fwplace="top"type="header">Die Freundſchaft im Alterthume.<lb/></fw> handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns<lb/>
zu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich<lb/>
heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von<lb/>
der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für<lb/>
die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und<lb/>
für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat.</p><lb/><p>Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte<lb/>
des Lebens feſtgeſtellt, ſondern in dem engeren Kreiſe derer,<lb/>
welche den Trieb nach ſittlicher Vervollkommnung in ſich tragen<lb/>
und pflegen. Dieſem Triebe ſteht ein anderer feindlich gegen¬<lb/>
über, das iſt der Trieb der Selbſtſucht. Der ſittlich rohe<lb/>
Menſch ſtellt ſich in den Mittelpunkt der Welt und weiſt, je<lb/>
nachdem er geartet iſt, durch Gewalt oder Liſt, Alles zurück,<lb/>
was ſeinen Eigenwillen hemmt. Dieſe Eigenwilligkeit muß<lb/>
ein Gegengewicht haben, wenn die menſchliche Geſellſchaft nicht<lb/>
ein Kampfplatz entfeſſelter Leidenſchaften werden ſoll. Die<lb/>
Geſellſchaft ſchützt ſich gegen die Anmaßungen der Einzelnen<lb/>
durch die Sitte, welche der Wille der Geſammtheit feſtſtellt;<lb/>
die Sitte wird im Geſetze anerkannt und ſeinen Satzungen<lb/>
müſſen ſich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der<lb/>
Gemeinſchaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer<lb/>
Uebereinſtimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe.<lb/>
Das Geſetz erzieht den Menſchen. In der verſtändigen Unter¬<lb/>
ordnung unter daſſelbe lernt er die Tugend, welche die Griechen<lb/>
für die Grundtugend hielten, die Sophroſyne, die Tugend des<lb/>
Maßhaltens, der weiſen und beſonnenen Selbſtbeſchränkung in<lb/>
Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Menſch. Aber<lb/>
dieſe Gerechtigkeit iſt nur eine äußerliche; ſie hemmt den Aus¬<lb/>
bruch der Selbſtſucht, aber den Trieb kann ſie nicht entfernen.<lb/>
Das eigentlich ſittliche Bedürfniß bleibt alſo unbefriedigt.</p><lb/><p>Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die<lb/>
Götter ſchützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens<lb/>
Recht im Staate geworden iſt, die Gottesfurcht unterſtützt die<lb/>
Ehrfurcht vor den Geſetzen. Es ſtellt aber die Religion auch<lb/>
ihre eigenen Forderungen an den Menſchen. Sie verlangt,<lb/>
daß er die Götter über ſich anerkenne, ſie vor den Menſchen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[184/0200]
Die Freundſchaft im Alterthume.
handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns
zu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich
heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von
der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für
die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und
für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat.
Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte
des Lebens feſtgeſtellt, ſondern in dem engeren Kreiſe derer,
welche den Trieb nach ſittlicher Vervollkommnung in ſich tragen
und pflegen. Dieſem Triebe ſteht ein anderer feindlich gegen¬
über, das iſt der Trieb der Selbſtſucht. Der ſittlich rohe
Menſch ſtellt ſich in den Mittelpunkt der Welt und weiſt, je
nachdem er geartet iſt, durch Gewalt oder Liſt, Alles zurück,
was ſeinen Eigenwillen hemmt. Dieſe Eigenwilligkeit muß
ein Gegengewicht haben, wenn die menſchliche Geſellſchaft nicht
ein Kampfplatz entfeſſelter Leidenſchaften werden ſoll. Die
Geſellſchaft ſchützt ſich gegen die Anmaßungen der Einzelnen
durch die Sitte, welche der Wille der Geſammtheit feſtſtellt;
die Sitte wird im Geſetze anerkannt und ſeinen Satzungen
müſſen ſich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der
Gemeinſchaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer
Uebereinſtimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe.
Das Geſetz erzieht den Menſchen. In der verſtändigen Unter¬
ordnung unter daſſelbe lernt er die Tugend, welche die Griechen
für die Grundtugend hielten, die Sophroſyne, die Tugend des
Maßhaltens, der weiſen und beſonnenen Selbſtbeſchränkung in
Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Menſch. Aber
dieſe Gerechtigkeit iſt nur eine äußerliche; ſie hemmt den Aus¬
bruch der Selbſtſucht, aber den Trieb kann ſie nicht entfernen.
Das eigentlich ſittliche Bedürfniß bleibt alſo unbefriedigt.
Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die
Götter ſchützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens
Recht im Staate geworden iſt, die Gottesfurcht unterſtützt die
Ehrfurcht vor den Geſetzen. Es ſtellt aber die Religion auch
ihre eigenen Forderungen an den Menſchen. Sie verlangt,
daß er die Götter über ſich anerkenne, ſie vor den Menſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/200>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.