nicht unterbrechen, keinen Zwiespalt eintreten zwischen geist¬ lichen und weltlichen Gewalten, zwischen dem religiösen und dem staatsrechtlichen Gebiete. Der Gründer Roms war auch der erste Augur der Stadt.
Das Königthum wurde aufgehoben, aber die Himmels¬ zeichen, unter denen es gegründet war, blieben, um ohne Bruch die neue Verfassung an die alte anzuknüpfen und auch die neuen, jährlich wechselnden, Gemeindevorstände bei den Göttern des Staats zu beglaubigen. Der unmittelbare und amtliche Verkehr mit ihnen war aber nur denen gestattet, welche voll¬ berechtigte Mitglieder der alten Staatsgemeinschaft waren. Sie betrachteten sich als eine geschlossene Gemeinde den Göt¬ tern gegenüber und an keinem Standesvorrechte haben die Patricier zäher festgehalten, auch nachdem mit den Ehren¬ ämtern des Staats der Verkehr mit den Göttern desselben den Neubürgern gestattet werden mußte.
Nun erhielten die Auspicien wieder eine neue Bedeutung im Staatsleben. Sie dienten dazu, das Rangverhältniß der Staatsämter zu bestimmen, je nachdem die Inhaber derselben in größerem oder geringerem Umfange, in mehr oder minder feierlicher Weise die Götter für die Gemeinde zu befragen berechtigt waren. Je mehr sich aber zwischen Volk und Senat der Gegensatz schärfte, um so mehr wurden die Auspicien eine Waffe des inneren Parteikampfes, eine Schutzwaffe der Regie¬ rungspartei gegen die demokratischen Bewegungen, und ihr Gebrauch in der Weise ausgebildet, daß man mit Hülfe eines Auspicienberichts jede bedenklich werdende Volksversammlung sprengen, ja schon durch Anmeldung einer Himmelsbeobachtung eine Versammlung verhindern und so die wichtigsten Rechte des Volks illusorisch machen konnte.
Eine Verfassung, in der solche Vorkehrungen unentbehrlich schienen, um den Freistaat zu erhalten, wo ein Parteimittel dieser Art von den sogenannten Wohlgesinnten in feierlichen Ausdrücken als eine der ehrwürdigsten Grundfesten des Staats¬ gebäudes gepriesen werden konnte, gab schon dadurch ihre eigene Hinfälligkeit deutlich zu erkennen. Aber die Auspicien über¬
Curtius, Alterthum. 12
Die Unfreiheit der alten Welt.
nicht unterbrechen, keinen Zwieſpalt eintreten zwiſchen geiſt¬ lichen und weltlichen Gewalten, zwiſchen dem religiöſen und dem ſtaatsrechtlichen Gebiete. Der Gründer Roms war auch der erſte Augur der Stadt.
Das Königthum wurde aufgehoben, aber die Himmels¬ zeichen, unter denen es gegründet war, blieben, um ohne Bruch die neue Verfaſſung an die alte anzuknüpfen und auch die neuen, jährlich wechſelnden, Gemeindevorſtände bei den Göttern des Staats zu beglaubigen. Der unmittelbare und amtliche Verkehr mit ihnen war aber nur denen geſtattet, welche voll¬ berechtigte Mitglieder der alten Staatsgemeinſchaft waren. Sie betrachteten ſich als eine geſchloſſene Gemeinde den Göt¬ tern gegenüber und an keinem Standesvorrechte haben die Patricier zäher feſtgehalten, auch nachdem mit den Ehren¬ ämtern des Staats der Verkehr mit den Göttern deſſelben den Neubürgern geſtattet werden mußte.
Nun erhielten die Auſpicien wieder eine neue Bedeutung im Staatsleben. Sie dienten dazu, das Rangverhältniß der Staatsämter zu beſtimmen, je nachdem die Inhaber derſelben in größerem oder geringerem Umfange, in mehr oder minder feierlicher Weiſe die Götter für die Gemeinde zu befragen berechtigt waren. Je mehr ſich aber zwiſchen Volk und Senat der Gegenſatz ſchärfte, um ſo mehr wurden die Auſpicien eine Waffe des inneren Parteikampfes, eine Schutzwaffe der Regie¬ rungspartei gegen die demokratiſchen Bewegungen, und ihr Gebrauch in der Weiſe ausgebildet, daß man mit Hülfe eines Auſpicienberichts jede bedenklich werdende Volksverſammlung ſprengen, ja ſchon durch Anmeldung einer Himmelsbeobachtung eine Verſammlung verhindern und ſo die wichtigſten Rechte des Volks illuſoriſch machen konnte.
Eine Verfaſſung, in der ſolche Vorkehrungen unentbehrlich ſchienen, um den Freiſtaat zu erhalten, wo ein Parteimittel dieſer Art von den ſogenannten Wohlgeſinnten in feierlichen Ausdrücken als eine der ehrwürdigſten Grundfeſten des Staats¬ gebäudes geprieſen werden konnte, gab ſchon dadurch ihre eigene Hinfälligkeit deutlich zu erkennen. Aber die Auſpicien über¬
Curtius, Alterthum. 12
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Die Unfreiheit der alten Welt.
nicht unterbrechen, keinen Zwieſpalt eintreten zwiſchen geiſt¬
lichen und weltlichen Gewalten, zwiſchen dem religiöſen und
dem ſtaatsrechtlichen Gebiete. Der Gründer Roms war auch
der erſte Augur der Stadt.
Das Königthum wurde aufgehoben, aber die Himmels¬
zeichen, unter denen es gegründet war, blieben, um ohne Bruch
die neue Verfaſſung an die alte anzuknüpfen und auch die
neuen, jährlich wechſelnden, Gemeindevorſtände bei den Göttern
des Staats zu beglaubigen. Der unmittelbare und amtliche
Verkehr mit ihnen war aber nur denen geſtattet, welche voll¬
berechtigte Mitglieder der alten Staatsgemeinſchaft waren.
Sie betrachteten ſich als eine geſchloſſene Gemeinde den Göt¬
tern gegenüber und an keinem Standesvorrechte haben die
Patricier zäher feſtgehalten, auch nachdem mit den Ehren¬
ämtern des Staats der Verkehr mit den Göttern deſſelben den
Neubürgern geſtattet werden mußte.
Nun erhielten die Auſpicien wieder eine neue Bedeutung
im Staatsleben. Sie dienten dazu, das Rangverhältniß der
Staatsämter zu beſtimmen, je nachdem die Inhaber derſelben
in größerem oder geringerem Umfange, in mehr oder minder
feierlicher Weiſe die Götter für die Gemeinde zu befragen
berechtigt waren. Je mehr ſich aber zwiſchen Volk und Senat
der Gegenſatz ſchärfte, um ſo mehr wurden die Auſpicien eine
Waffe des inneren Parteikampfes, eine Schutzwaffe der Regie¬
rungspartei gegen die demokratiſchen Bewegungen, und ihr
Gebrauch in der Weiſe ausgebildet, daß man mit Hülfe eines
Auſpicienberichts jede bedenklich werdende Volksverſammlung
ſprengen, ja ſchon durch Anmeldung einer Himmelsbeobachtung
eine Verſammlung verhindern und ſo die wichtigſten Rechte
des Volks illuſoriſch machen konnte.
Eine Verfaſſung, in der ſolche Vorkehrungen unentbehrlich
ſchienen, um den Freiſtaat zu erhalten, wo ein Parteimittel
dieſer Art von den ſogenannten Wohlgeſinnten in feierlichen
Ausdrücken als eine der ehrwürdigſten Grundfeſten des Staats¬
gebäudes geprieſen werden konnte, gab ſchon dadurch ihre eigene
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/193>, abgerufen am 22.07.2024.
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