in der Wissenschaft selbst, deren Pflege uns verbindet. Das Wesen einer deutschen Universität beruht auf der Auffassung der Wissenschaft als eines Ganzen; es steht und fällt mit dieser Auffassung.
So wenig aber auch diese Wahrheit in ihrer allgemeinen Geltung angefochten wird, so schwierig ist ihre Verwirklichung, und diese Schwierigkeit -- wer fühlt es nicht? -- wächst von Tage zu Tage. Die Alten hatten noch das schöne Vorrecht, das menschliche Wissen als einen Schatz zu betrachten, dessen Aneignung dem Einzelnen gelingen könne, und in ihren Sprachen wird die Wissenschaft als eine einheitliche bezeichnet. Seitdem aber nach Zersprengung der mittelalterlichen Formen die Wissen¬ schaft eine neue und freie Entwickelung genommen hat, ist auch auf ihrem Gebiete die Theilung der Arbeit immer nothwendiger geworden, immer engere Felder sind mit scharfen Linien um¬ gränzt; jeder einzelne Zweig hat eine besondere Geschichte und Litteratur und nimmt ein ganzes, arbeitsvolles Menschenleben in Anspruch. Auf dieser Arbeitstheilung beruht, wie Niemand verkennen kann, die ganze Bedeutung der wissenschaftlichen Leistungen in den einzelnen Fächern, und doch steht ein großes, wichtiges Gut dabei auf dem Spiele. Diese Gefahr wird gefühlt; es wird beklagt, daß die Gelehrten mehr neben ein¬ ander, als mit einander arbeiten, daß sie sich in ihren Einzel¬ fächern immer strenger und enger absondern, daß die Scheide¬ wände immer höher und undurchsichtiger werden. Die wissen¬ schaftlichen Organe, welche zu großem Nutzen nationaler Bil¬ dung unter Betheiligung der hervorragendsten Männer unseres Volks die gemeinsamen Interessen wissenschaftlicher Bildung vertraten, sind nach einander verstummt; die Versuche, sie durch neue zu ersetzen, sind meistens gescheitert, und wie die Gelehrten mehr als sonst ihre besonderen Wege gehen, so wirkt dies auch auf die Jugend zurück, welche frühzeitig anfängt, die besonderen Kenntnisse ihres Studienfachs allein in das Auge zu fassen, ohne den allgemeinen Wissenschaften die Aufmerksamkeit zu widmen, welche früher als Bedingung jeder höheren Bildung angesehen wurde.
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Das Mittleramt der Philologie.
in der Wiſſenſchaft ſelbſt, deren Pflege uns verbindet. Das Weſen einer deutſchen Univerſität beruht auf der Auffaſſung der Wiſſenſchaft als eines Ganzen; es ſteht und fällt mit dieſer Auffaſſung.
So wenig aber auch dieſe Wahrheit in ihrer allgemeinen Geltung angefochten wird, ſo ſchwierig iſt ihre Verwirklichung, und dieſe Schwierigkeit — wer fühlt es nicht? — wächſt von Tage zu Tage. Die Alten hatten noch das ſchöne Vorrecht, das menſchliche Wiſſen als einen Schatz zu betrachten, deſſen Aneignung dem Einzelnen gelingen könne, und in ihren Sprachen wird die Wiſſenſchaft als eine einheitliche bezeichnet. Seitdem aber nach Zerſprengung der mittelalterlichen Formen die Wiſſen¬ ſchaft eine neue und freie Entwickelung genommen hat, iſt auch auf ihrem Gebiete die Theilung der Arbeit immer nothwendiger geworden, immer engere Felder ſind mit ſcharfen Linien um¬ gränzt; jeder einzelne Zweig hat eine beſondere Geſchichte und Litteratur und nimmt ein ganzes, arbeitsvolles Menſchenleben in Anſpruch. Auf dieſer Arbeitstheilung beruht, wie Niemand verkennen kann, die ganze Bedeutung der wiſſenſchaftlichen Leiſtungen in den einzelnen Fächern, und doch ſteht ein großes, wichtiges Gut dabei auf dem Spiele. Dieſe Gefahr wird gefühlt; es wird beklagt, daß die Gelehrten mehr neben ein¬ ander, als mit einander arbeiten, daß ſie ſich in ihren Einzel¬ fächern immer ſtrenger und enger abſondern, daß die Scheide¬ wände immer höher und undurchſichtiger werden. Die wiſſen¬ ſchaftlichen Organe, welche zu großem Nutzen nationaler Bil¬ dung unter Betheiligung der hervorragendſten Männer unſeres Volks die gemeinſamen Intereſſen wiſſenſchaftlicher Bildung vertraten, ſind nach einander verſtummt; die Verſuche, ſie durch neue zu erſetzen, ſind meiſtens geſcheitert, und wie die Gelehrten mehr als ſonſt ihre beſonderen Wege gehen, ſo wirkt dies auch auf die Jugend zurück, welche frühzeitig anfängt, die beſonderen Kenntniſſe ihres Studienfachs allein in das Auge zu faſſen, ohne den allgemeinen Wiſſenſchaften die Aufmerkſamkeit zu widmen, welche früher als Bedingung jeder höheren Bildung angeſehen wurde.
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Das Mittleramt der Philologie.
in der Wiſſenſchaft ſelbſt, deren Pflege uns verbindet. Das
Weſen einer deutſchen Univerſität beruht auf der Auffaſſung
der Wiſſenſchaft als eines Ganzen; es ſteht und fällt mit
dieſer Auffaſſung.
So wenig aber auch dieſe Wahrheit in ihrer allgemeinen
Geltung angefochten wird, ſo ſchwierig iſt ihre Verwirklichung,
und dieſe Schwierigkeit — wer fühlt es nicht? — wächſt von
Tage zu Tage. Die Alten hatten noch das ſchöne Vorrecht,
das menſchliche Wiſſen als einen Schatz zu betrachten, deſſen
Aneignung dem Einzelnen gelingen könne, und in ihren Sprachen
wird die Wiſſenſchaft als eine einheitliche bezeichnet. Seitdem
aber nach Zerſprengung der mittelalterlichen Formen die Wiſſen¬
ſchaft eine neue und freie Entwickelung genommen hat, iſt auch
auf ihrem Gebiete die Theilung der Arbeit immer nothwendiger
geworden, immer engere Felder ſind mit ſcharfen Linien um¬
gränzt; jeder einzelne Zweig hat eine beſondere Geſchichte und
Litteratur und nimmt ein ganzes, arbeitsvolles Menſchenleben
in Anſpruch. Auf dieſer Arbeitstheilung beruht, wie Niemand
verkennen kann, die ganze Bedeutung der wiſſenſchaftlichen
Leiſtungen in den einzelnen Fächern, und doch ſteht ein großes,
wichtiges Gut dabei auf dem Spiele. Dieſe Gefahr wird
gefühlt; es wird beklagt, daß die Gelehrten mehr neben ein¬
ander, als mit einander arbeiten, daß ſie ſich in ihren Einzel¬
fächern immer ſtrenger und enger abſondern, daß die Scheide¬
wände immer höher und undurchſichtiger werden. Die wiſſen¬
ſchaftlichen Organe, welche zu großem Nutzen nationaler Bil¬
dung unter Betheiligung der hervorragendſten Männer unſeres
Volks die gemeinſamen Intereſſen wiſſenſchaftlicher Bildung
vertraten, ſind nach einander verſtummt; die Verſuche, ſie durch
neue zu erſetzen, ſind meiſtens geſcheitert, und wie die Gelehrten
mehr als ſonſt ihre beſonderen Wege gehen, ſo wirkt dies auch
auf die Jugend zurück, welche frühzeitig anfängt, die beſonderen
Kenntniſſe ihres Studienfachs allein in das Auge zu faſſen,
ohne den allgemeinen Wiſſenſchaften die Aufmerkſamkeit zu
widmen, welche früher als Bedingung jeder höheren Bildung
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/19>, abgerufen am 16.02.2025.
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