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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Arbeit und Muße.
den Beruf, die Menschen zu lehren, wie sie sich in rechter
Weise freuen sollen. So erhielt das Saitenspiel seine Be¬
deutung für das Leben der Griechen, das, mit der Ausrüstung
moderner Tonkunst verglichen, so armselige Geräth der sieben¬
saitigen Leier -- und wo hat doch ein geringes Werkzeug
solche Macht entfaltet, wo ist es so sehr das Wahrzeichen und
der ideale Mittelpunkt eines reich entfalteten Volkslebens ge¬
worden, wie die Leier bei den Hellenen, das Symbol helleni¬
scher Muße! Von ihr dachten sie, daß sie Himmel und Erde
beherrsche. "Denn auch des Kriegs wilder Gott," sangen sie,
"läßt starrender Speere Gewühl hinter sich und labt sein Herz
an Liedeslust. Auch die Herzen der Götter durchdringt der
Saiten Zaubergewalt, von der Hand des Apollon gepflegt
und der Kunst holder Musen".

Die Musenkunst stattete die Feste so herrlich aus, daß
die Bürger, allen Geschäften entrückt, Tage lang in voller
Spannung den Wettkämpfen ihrer Dichter zuhörten. Auch
beim häuslichen Mahle kreiste die Leier, und wie man das ge¬
sellige Zusammensein durch geistigen Genuß zu adeln, durch
Scherz und Ernst zu würzen wußte, zeigte Platon's Gastmahl
in einem verklärten Abbild. Ja, wenn wir noch heute unab¬
lässig beschäftigt sind, den ganzen Reichthum dessen, was von
den Griechen in ihrer Muße gedacht und gedichtet ist, immer
vollständiger zu würdigen, so hat man in der That den Ein¬
druck, als wenn bei ihnen das natürliche Verhältniß umgekehrt
und des Volks ganze Arbeit in die Ausstattung der Muße
verlegt worden sei.

Und doch war dies immer nur die andere Seite seiner
Thätigkeit, die Ergänzung der praktischen Wirksamkeit, welche
mit unbeschränkter Energie dem Ausbau der Verfassungen, der
Leitung des Gemeinwesens, der Vertheidigung seiner Unab¬
hängigkeit zugewendet war. In der Pflege der musischen
Künste war aber die volle Freiheit des geistigen Lebens
so sehr die Hauptsache, daß man die Meisterschaft in einer
einzelnen Kunst auf Kosten jener Freiheit nicht erkaufen
wollte; Gesang und Saitenspiel als ein besonderer Lebens¬

Arbeit und Muße.
den Beruf, die Menſchen zu lehren, wie ſie ſich in rechter
Weiſe freuen ſollen. So erhielt das Saitenſpiel ſeine Be¬
deutung für das Leben der Griechen, das, mit der Ausrüſtung
moderner Tonkunſt verglichen, ſo armſelige Geräth der ſieben¬
ſaitigen Leier — und wo hat doch ein geringes Werkzeug
ſolche Macht entfaltet, wo iſt es ſo ſehr das Wahrzeichen und
der ideale Mittelpunkt eines reich entfalteten Volkslebens ge¬
worden, wie die Leier bei den Hellenen, das Symbol helleni¬
ſcher Muße! Von ihr dachten ſie, daß ſie Himmel und Erde
beherrſche. »Denn auch des Kriegs wilder Gott,« ſangen ſie,
»läßt ſtarrender Speere Gewühl hinter ſich und labt ſein Herz
an Liedesluſt. Auch die Herzen der Götter durchdringt der
Saiten Zaubergewalt, von der Hand des Apollon gepflegt
und der Kunſt holder Muſen«.

Die Muſenkunſt ſtattete die Feſte ſo herrlich aus, daß
die Bürger, allen Geſchäften entrückt, Tage lang in voller
Spannung den Wettkämpfen ihrer Dichter zuhörten. Auch
beim häuslichen Mahle kreiſte die Leier, und wie man das ge¬
ſellige Zuſammenſein durch geiſtigen Genuß zu adeln, durch
Scherz und Ernſt zu würzen wußte, zeigte Platon's Gaſtmahl
in einem verklärten Abbild. Ja, wenn wir noch heute unab¬
läſſig beſchäftigt ſind, den ganzen Reichthum deſſen, was von
den Griechen in ihrer Muße gedacht und gedichtet iſt, immer
vollſtändiger zu würdigen, ſo hat man in der That den Ein¬
druck, als wenn bei ihnen das natürliche Verhältniß umgekehrt
und des Volks ganze Arbeit in die Ausſtattung der Muße
verlegt worden ſei.

Und doch war dies immer nur die andere Seite ſeiner
Thätigkeit, die Ergänzung der praktiſchen Wirkſamkeit, welche
mit unbeſchränkter Energie dem Ausbau der Verfaſſungen, der
Leitung des Gemeinweſens, der Vertheidigung ſeiner Unab¬
hängigkeit zugewendet war. In der Pflege der muſiſchen
Künſte war aber die volle Freiheit des geiſtigen Lebens
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[153/0169] Arbeit und Muße. den Beruf, die Menſchen zu lehren, wie ſie ſich in rechter Weiſe freuen ſollen. So erhielt das Saitenſpiel ſeine Be¬ deutung für das Leben der Griechen, das, mit der Ausrüſtung moderner Tonkunſt verglichen, ſo armſelige Geräth der ſieben¬ ſaitigen Leier — und wo hat doch ein geringes Werkzeug ſolche Macht entfaltet, wo iſt es ſo ſehr das Wahrzeichen und der ideale Mittelpunkt eines reich entfalteten Volkslebens ge¬ worden, wie die Leier bei den Hellenen, das Symbol helleni¬ ſcher Muße! Von ihr dachten ſie, daß ſie Himmel und Erde beherrſche. »Denn auch des Kriegs wilder Gott,« ſangen ſie, »läßt ſtarrender Speere Gewühl hinter ſich und labt ſein Herz an Liedesluſt. Auch die Herzen der Götter durchdringt der Saiten Zaubergewalt, von der Hand des Apollon gepflegt und der Kunſt holder Muſen«. Die Muſenkunſt ſtattete die Feſte ſo herrlich aus, daß die Bürger, allen Geſchäften entrückt, Tage lang in voller Spannung den Wettkämpfen ihrer Dichter zuhörten. Auch beim häuslichen Mahle kreiſte die Leier, und wie man das ge¬ ſellige Zuſammenſein durch geiſtigen Genuß zu adeln, durch Scherz und Ernſt zu würzen wußte, zeigte Platon's Gaſtmahl in einem verklärten Abbild. Ja, wenn wir noch heute unab¬ läſſig beſchäftigt ſind, den ganzen Reichthum deſſen, was von den Griechen in ihrer Muße gedacht und gedichtet iſt, immer vollſtändiger zu würdigen, ſo hat man in der That den Ein¬ druck, als wenn bei ihnen das natürliche Verhältniß umgekehrt und des Volks ganze Arbeit in die Ausſtattung der Muße verlegt worden ſei. Und doch war dies immer nur die andere Seite ſeiner Thätigkeit, die Ergänzung der praktiſchen Wirkſamkeit, welche mit unbeſchränkter Energie dem Ausbau der Verfaſſungen, der Leitung des Gemeinweſens, der Vertheidigung ſeiner Unab¬ hängigkeit zugewendet war. In der Pflege der muſiſchen Künſte war aber die volle Freiheit des geiſtigen Lebens ſo ſehr die Hauptſache, daß man die Meiſterſchaft in einer einzelnen Kunſt auf Koſten jener Freiheit nicht erkaufen wollte; Geſang und Saitenſpiel als ein beſonderer Lebens¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/169>, abgerufen am 04.12.2024.